Andreas Knie. (Bild: David Außerhofer)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.

Klimareporter°: Herr Knie, bisher gibt es noch keine bundesweite Fußverkehrsstrategie, aber sie könnte ein Tagesordnungspunkt auf der Verkehrsministerkonferenz Mitte April sein. Worum geht es dabei und welche Bedeutung hat so eine Strategie für die Verkehrswende?

Andreas Knie: Der Fußverkehr wird seit vielen Jahrzehnten völlig vernachlässigt. Seit der Pandemie zeigte sich aber, dass der Anteil der Wege, die täglich zu Fuß unternommen werden, stark gestiegen ist. Mit stabilen 25 bis 28 Prozent sind die Füße damit nach dem Auto das wichtigste Verkehrsmittel. Gemessen daran wird viel zu wenig getan.

Dabei kann hier mit geringem Aufwand große Wirkung erzielt werden, um den Anteil dieses nun wirklich sehr umweltfreundlichen Verkehrsmittels noch deutlich zu erhöhen. Gerade sehr junge und sehr alte Menschen wären dankbar und würden viel mehr zu Fuß unterwegs sein, wenn es einfacher, sicherer und bequemer wäre.

Dafür müsste man aber den öffentlichen Raum neu aufteilen und dem ruhenden und fließenden Fahrzeugverkehr Platz wegnehmen. Aber hierfür bräuchte es Mut, den die Verkehrsminister und -ministerinnen von Bund und Ländern gerade nicht haben.

Aktivist:innen, die ein Waldgrundstück nahe der Tesla-Autofabrik in Grünheide besetzen, warnen vor den Umweltfolgen der sogenannten Gigafactory von Elon Musk. Gleichzeitig stellen sie Elektroautos als saubere Verkehrsalternative infrage. Haben sie nicht recht damit, dass wir statt einer bloßen Antriebswende eine Mobilitätswende brauchen?

Die Nachricht vom Protestcamp hat große Freude bei den Chefs von Daimler, BMW, VW, von Leag und RWE und bei vielen anderen Industriekapitänen in Deutschland ausgelöst. Da knallten sogar Sektkorken. Endlich hat die Protestbewegung den Richtigen identifiziert, der hier alles durcheinanderbringt. Die Kampagnenmillionen gegen Elon Musk waren nicht vergebens. Nun ist bald Schluss mit dem Fluch der E‑Autos, die auch noch in Brandenburg produziert werden.

Dann kann die seriöse deutsche Industrie wieder ganz in Ruhe richtige Verbrennungsmotoren bauen, die immer größer, schwerer und teurer werden, und sie kann die Fahrzeuge weiterhin mit manipulierten Abgasanlagen verkaufen, ohne dass es jemand merkt.

Dann können RWE und Leag wieder ungestört völlig sinnlos Braunkohle aus der Erde baggern und Ewigkeitsschäden produzieren, als ob es kein Morgen gäbe. Wasser, das war ja nur das Problem von Tesla. In Zeiten von Instagram und Tiktok ist es aber auch nicht leicht, alles zu verstehen.

Jahrzehntelang hat die Deutsche Bahn die Wartung und Modernisierung des Schienennetzes vernachlässigt. Nun soll das nachgeholt werden, indem in den nächsten Jahren 40 Hauptkorridore über Monate komplett gesperrt und von Grund auf saniert werden. Diverse Bahnfachleute warnen davor, dass dies den Autoverkehr sprunghaft ansteigen lasse und so der Verkehrswende schade statt nutze. Sehen Sie das auch so?

Dass saniert werden muss, war immer klar. Es gab aber zu jeder Zeit viel zu wenig Geld. Die deutsche Politik setzt auf den Verkehrsträger Straße, die Schiene steht immer im Schatten. So weit, so schlecht.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass Planung und Ausführung dieser Baustellen von Menschen gemacht werden, die alle Auto fahren und daher auch alle wie Autofahrer denken. Da ist es auch kein Problem, monatelang Strecken einfach stillzulegen, denn die Bahn ist ja nur was für die Freizeit und für Leute, die zu viel Zeit haben.

Die Entscheidung für diese Form der Sanierung wird sehr folgenreich sein: Operation gelungen, Patient tot.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Wir hatten es immer schon vermutet, aber nun haben wir die Zahlen. Die Fahrleistungen der Pkw sind in Berlin gesunken. Zwar steigt die Zahl der angemeldeten Fahrzeuge, aber die gefahrenen Kilometer werden weniger.

Die Zählstellen zeigen in Berlin eine abnehmende Zahl durchfahrender Pkws. Seit 2015 sind es rund 15 Prozent weniger, und davon kann man dann auch die zurückgehenden Verkehrsleistungen ableiten. Die Zahl der Staus geht zurück, gerade auch dort, wo Fahrradwege gebaut wurden, das Abendland ist also nicht untergegangen.

Gerne kolportierte "Wahrheiten" vom Autoverkehr, der wie Wasser ist und daher nicht aufgehalten werden kann, fallen durch diese senatseigenen Daten in sich zusammen.

Was die politische Konsequenz davon sein muss, ist klar: sofortiges Moratorium für alle Straßenneubauten. Keine Inbetriebnahme des 16. Bauabschnitts der Stadtautobahn A 100, sofortiger Stopp der Planungen des 17. Abschnitts sowie das sofortige Ende der Tangentialverbindung Ost.

Und – wie durch ein Wunder: Berlin hätte wieder Geld für Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung.

Fragen: David Zauner

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