Einige Windräder in Landschaft mit Wäldern und feldern, im Hintergrund ein großes Kohlekraftwerk mit neun dampfenden Kühltürmen.
Bis die Leag mit erneuerbaren Energien das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde ersetzen kann, wird es noch dauern. (Foto: Thomas Knauer/​Visdia/​Shutterstock)

Im Tagebau Jänschwalde der Lausitz Energie AG (Leag) nördlich von Cottbus ist dieses Jahr Schluss. Jedenfalls mit der Förderung von Braunkohle. Grundwasser muss weiter heraufgepumpt werden – und zwar noch bis 2044.

Die weiteren zwei Jahrzehnte Wasserheben verlangt zumindest ein Leag-Antrag für die Nach-Kohle-Zeit. Fast 1,4 Milliarden Kubikmeter Grundwasser sollen nötig sein, um – so die Tagebaulogik – die Standsicherheit der Kohlegrube und das Entstehen einer Folgelandschaft mit drei Restseen zu gewährleisten.

1,4 Milliarden Kubikmeter, das ist das 14-Fache des jährlichen Wasserverbrauchs Berlins. Wie die Leag auf so eine gewaltige Menge kommt, lasse sich aus dem Antrag nicht herauslesen, kritisierte jüngst der Umweltverband Grüne Liga.

Mit ihrem Antrag ignoriere die Leag den zunehmenden Wassermangel in der Lausitz und nutze zudem ein Grundwassermodell, das den Klimawandel ausblende, so die Umweltschützer weiter. Für den Zeitraum von 2020 bis 2100 seien zum Beispiel bei der Grundwasserneubildung als Berechnungsgrundlage die Daten aus der Zeit von 1980 bis 2010 genommen worden.

"Das daraus resultierende Szenario ist zu unwahrscheinlich, um Grundlage für die Planung der Folgelandschaft oder die Umweltprüfung zu sein", argumentiert Grüne-Liga-Vorsitzender René Schuster. Nach seinem Eindruck will die Leag deutlich mehr abpumpen, als für die Sicherheit der Ex-Kohlegrube nötig ist, um mehr Wasser in den Kühltürmen des Kraftwerks Jänschwalde verdampfen lassen zu können.

Denn erst Ende 2028 – fünf Jahre nach dem Aus des nahen Tagebaus – sollen laut Kohleausstiegsgesetz die letzten beiden der sechs Jänschwalder 500-Megawatt-Blöcke abgeschaltet werden. Die Braunkohle für die Stromproduktion wird aus weiter südlich gelegenen Leag-Gruben herangekarrt.

Selbstverständlich hat der Autor bei der Leag eine Stellungnahme zur Kritik des Umweltverbandes angefragt. Eine Antwort gibt es bis heute nicht, nicht einmal eine Bestätigung oder Ablehnung der Anfrage.

Die Verweigerungshaltung ist nichts Neues. Seit Jahren hüllt sich die Leag, zweitgrößter Stromlieferant Deutschlands, bei unliebsamen Fragen in Schweigen. Selbst eine persönliche Zusage des aktuellen Leag-Vorstandschefs Thorsten Kramer an den Autor für ein Interview wurde von der Pressestelle des Unternehmens in Abrede gestellt. So arbeitet jemand, der die Öffentlichkeit hinters Licht führen will.

Lage für Leag doppelt misslich

Wenigstens gibt es in Deutschland die Vorschrift, dass Aktiengesellschaften und GmbHs, aus denen sich die Leag-Gruppe zusammensetzt, einen Jahresabschluss im Bundesanzeiger zu veröffentlichen haben. Seit Mitte Dezember sind so die Abschlüsse der Bergbau AG und der Kraftwerke AG für das Geschäftsjahr 2021 einsehbar.

Dort bieten sich interessante Einblicke. So profitierte die Leag laut den Unterlagen nicht groß von den schon 2021 gestiegenen Strompreisen. Der Grund ist bekannt: Braunkohlestrom wird meist auf Jahre im Voraus am sogenannten Terminmarkt verkauft.

Ein Braunkohleverstromer kann so zwar gut kalkulieren, muss den Strom aber letzten Endes zu dem zuvor vereinbarten Preis abgeben. Steigen die Strompreise am Markt, müssen Erzeuger, die am Terminmarkt vorab verkauften, die Differenz zu ihrem niedrigeren Preis sogar als Sicherheit hinterlegen.

Es könnte ja sein, dass Kraftwerke unerwartet ausfallen. Der Stromlieferant müsste dann, um seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen, kurzfristig Ersatzstrom zum höheren Preis besorgen. Da will der Käufer sichergehen.

In der Börsensprache nennen sich diese Sicherheiten Margin Calls. Um diese 2021 leisten zu können, musste die Leag offenbar ein Gutteil ihrer gehorteten CO2-Zertifikate verkaufen.

Im Jahresabschluss 2021 der Leag-Kraftwerke-AG (LE-K) liest sich das so: "Das Jahr 2021 war von der Corona-Pandemie und von stark ansteigenden Strom- und CO2-Zertifikat-Preisen geprägt. Letzteres führte dazu, dass die LE-K durch die Absicherungsstrategie (Hedging) hohe Margining-Zahlungen als Sicherheitsleistungen aufbringen musste."

Dem daraus resultierenden zusätzlichen Liquiditätsbedarf habe man durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten begegnen können, heißt es weiter. Infolge der gestiegenen Marktpreise seien dabei hohe Erträge erzielt worden.

In der Tat kletterte der CO2-Preis im Laufe des Jahres 2021 von 30 bis auf 80 Euro pro Tonne. Die Einnahmen aus dem Verkauf der CO2-Zertifikate belaufen sich laut dem Jahresabschluss auf deutlich mehr als drei Milliarden Euro.

Die entstandene Lage ist letztlich aber doppelt blöd für die Leag. Zum einen musste sie ihren Vorrat an billigen Zertifikaten von früher losschlagen. Mit solchen Altbeständen federn viele fossile Erzeuger den Anstieg des CO2-Preises noch immer ab.

Zum anderen wird die Notwendigkeit für die Leag, sich in Zukunft mit neuen CO2-Zertifikaten zu höheren Preisen einzudecken, zu steigenden Kosten führen, wie das Unternehmen im Jahresabschluss bedauert.

Mit dem Zertifikate-Ausverkauf hat die Leag vermutlich ein Gutteil ihrer finanziellen Reserven verpulvert. Anders ist auch kaum zu erklären, warum sie 2022 beim kriegsbedingten Ausbruch der Energiekrise und weiter steigenden Strompreisen von der staatlichen Förderbank KfW mit einem Kredit über mehr als fünf Milliarden Euro zahlungsfähig gehalten werden musste, vor allem, um eben wiederum Forderungen aus Margin Calls abzudecken.

Wie giga ist die "Gigawattfactory"?

Zu all diesen Vorgängen gibt sich die Leag äußert wortkarg. Lieber verbreitet sie seit Monaten Jubelnachrichten über ihre geplante "Gigawattfactory" und die Lausitz als künftiges "grünes Powerhouse".

Mit dem Factory-Plan will die Leag bis 2030 erneuerbare Energien mit einer Kapazität von 7.000 Megawatt aufbauen – nominell etwa so viel, wie der Konzern heute noch an Braunkohleverstromung betreibt.

Als Gigawattfactory bezeichnet die Leag laut ihrer Website zunächst eine Reihe von Solar- und Windenergieprojekten im Lausitzer Revier und im Revier Halle/​Leipzig, die größtenteils 2023 bis 2026 ans Netz gehen sollen.

Zusammengerechnet ergeben diese Projekte nach jetzigem Stand rund 1.100 Megawatt Photovoltaik und knapp 130 Megawatt Windkraft. Insgesamt lassen sich damit in hiesigen Breiten jährlich schätzungsweise 1,5 Milliarden Kilowattstunden erzeugen.

Zur Factory zählt die Leag weiter Großbatterien und andere Speicherkonzepte, um insbesondere den Solarstrom zu Zeiten verfügbar zu haben, in denen die Sonne nicht scheint, der Strombedarf aber hoch ist und sich entsprechende Preise erzielen lassen.

Zum Label Gigawattfactory gehören aber auch mehrere neue Erdgaskraftwerke, die nach moderner Sprechweise "H2‑ready" sein sollen, also prinzipiell irgendwann später Wasserstoff verbrennen können. Von solchen Kraftwerken will die Leag an den Kohlestandorten Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Lippendorf insgesamt 2.400 Megawatt bauen.

Für Lippendorf und Schwarze Pumpe seien bereits die Genehmigungsanträge eingereicht, schreibt die Leag. Was das genau heißt, ist unklar. Denn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat gerade höchstpersönlich angekündigt, der Bau der gesamten Gas-H2-Kraftwerksflotte werde in diesem Jahr wettbewerblich ausgeschrieben.

Die neuen Gas-H2-Anlagen sollen dabei nach dem Willen der Bundesregierung ausschließlich der Abdeckung von Spitzenlast dienen, wenn also das angestrebte klimaneutrale Energiesystem den Strombedarf trotz aller Flexibilität nicht decken kann. Mehr Betriebszeit als heutige Gaskraftwerke, die im Schnitt 3.100 Stunden im Jahr Strom produzieren, wird da auch für H2‑Kraftwerke kaum zusammenkommen.

So schnell wird die Leag nicht grün

Hinzuzurechnen zur Factory-Kapazität wären noch das im Bau befindliche konventionelle Leag-Gaskraftwerk Leipheim (300 Megawatt) sowie die künftige Müllverbrennungsanlage EVA in Jänschwalde (50 Megawatt Strom, der gesetzlich zu 50 Prozent als Ökostrom gilt).

Grob geschätzt kommt die Leag damit auf Basis konventioneller Verbrennungstechniken nach heutigem Stand auf eine neu gebaute Stromerzeugung von jährlich über sieben Milliarden Kilowattstunden.

Nimmt man den Wind- und Solarstrom hinzu, könnte die Leag ab 2028 – wenn das Kraftwerk Jänschwalde endgültig abgeschaltet wird – mit der Gigawattfactory und anderen neuen Kapazitäten dann geschätzt rund neun Milliarden Kilowattstunden jährlich aufbringen und die Jänschwalder Braunkohle-Erzeugung in etwa ersetzen.

2028 verfügt die Leag allerdings nach geltendem Ausstiegsplan auch noch über insgesamt 5.000 Megawatt Braunkohle in Schwarze Pumpe, Boxberg und Lippendorf. Die Anlagen erzeugen derzeit um die 30 Milliarden Kilowattstunden im Jahr.

Die Proportionen zeigen klar: Bis 2030 bleibt die Leag ein hauptsächlich fossiler Stromerzeuger, der vom klimaschädlichsten aller Brennstoffe lebt und wegfallende Braunkohle in erster Linie durch Erdgas ersetzt.

Von den geplanten 7.000 Megawatt der Factory ist derzeit erst rund die Hälfte in der Umsetzung. Dass die 7.000er-Marke bis 2030 erreicht wird, halten viele Fachleute aufgrund der Genehmigungs- und Bauzeiten für unwahrscheinlich.

Und selbst wenn die Factory diese Kapazität erreicht, würde sich die Marktposition der Leag deutlich verschlechtern. 7.000 Megawatt Wind, Sonne und Erdgas/​Wasserstoff sind in einem klimaneutralen Stromsystem nicht dasselbe wie 7.000 Megawatt Braunkohle in der alten Energiewelt.

Angesichts dessen lässt sich zumindest nachvollziehen, warum sich die Leag gegen einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg wehrt. Wenn der Konzern die nach 2028 verbleibenden 5.000 Megawatt Kohle auch noch kurzfristig vom Netz nehmen muss, ist die heutige Marktmacht dahin.

Der Unternehmenschef gibt sich entgegenkommend

Anders als früher kann die Leag die Ausstiegsdebatte aber nicht mehr einfach aussitzen. So kann sich Leag-Chef Kramer inzwischen vorstellen – wie er jüngst verkündete –, dass sein Unternehmen 2033 nicht mehr von der Kohle lebt. Tatsächlich erscheint eine Fertigstellung der Gigafactory drei Jahre nach 2030 deutlich wahrscheinlicher.

Kramer hat aber noch weitere Bedingungen. So müsse Versorgungssicherheit gewährleistet und der Kraftwerkspark auf Wasserstoff umgerüstet sein, sodass die Leag auf einen Anteil von zehn Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland kommen kann, zählte Kramer auf.

Die Vorgabe von zehn Prozent erscheint ziemlich hoch gegriffen. Denn schon für 2030 geht die Bundesregierung davon aus, dass in Deutschland 750 Milliarden Kilowattstunden Strom verbraucht werden, mehr als heute wegen der allseitigen Elektrifizierung.

Zehn Prozent von 750 Milliarden wären 75 Milliarden Kilowattstunden. 2021 verfügte die Kraftwerks-AG der Leag über ein Stromaufkommen von 49,5 Milliarden Kilowattstunden, davon stammten rund 40 Milliarden aus eigener Braunkohle.

Nimmt man Kramers Ankündigung für bare Münze, müsste die Leag ihr Stromaufkommen bis 2033 also um rund die Hälfte steigern. Das erscheint illusorisch – es sei denn, die Leag wird künftig zum großen Stromeinkäufer, beispielsweise von ihrer Muttergesellschaft EP Power Europe (EPPE) mit Sitz in Prag, die über Kraftwerke aller Art – von AKW bis Biomasse – mit aktuell 26.000 Megawatt gebietet.

Eigentümer von EPPE ist – wie praktisch – die EPH-Gruppe des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský, dem auch die Hälfte der Leag gehört. Die andere Hälfte gehört PPF Investments, einem Finanzkonzern. Hauptaktionäre von PPF sind die Erben des tschechischen Milliardärs Petr Kellner.

Was die Milliardäre von der Gigawattfactory halten und was sie dort wirklich zu investieren bereit sind, würde man das Unternehmen gern fragen. Aber dazu wird es wohl weiterhin keine Antworten geben. Lieber hängt sich die Leag ein grünes Mäntelchen um, um ihre fossile Seele zuzudecken.

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