Schöne sanierte Altbaufassade in Berlin-Prenzlauer Berg.
Häuser einer Wohnungsbaugenossenschaft in Berlin: Wohnungen in Mieterhand sind ein Mittel gegen Gentrifizierung. (Foto: Dietmar Gust/​Berliner Energieagentur)

Wird eine laute und von Abgasen belastete Wohngegend konsequent vom Autoverkehr befreit, wird das Leben auf und an den Straßen lebenswerter. Das ist ein Fortschritt, der vor allem denen zugutekommt, die dort wohnen und leben.

Nun zeigen die wenigen erfolgreichen Beispiele einer solchen lokal begrenzten Verkehrswende, dass diese Gegenden begehrter werden. Die Konkurrenz um die Mietwohnungen treibt den Mietpreis in die Höhe und zugleich werden Investoren angelockt, die sich von höherpreisigen Immobilien mehr Rendite erwarten. Die ansässigen Mieterinnen und Mieter geraten unter Druck. Nicht selten werden sie offen oder mit subtilen Mitteln herausgedrängt.

Der Zusammenhang von erfolgreicher lokaler Verkehrswende und drohender Gentrifizierung ist empirisch belegt und er liegt auch voll in der Logik des Wohnungsmarktes. Wo es sich angenehmer wohnen lässt, da steigt die Nachfrage nach Wohnungen.

Aber ganz grundsätzlich: Weil das so ist, sollen wir auf Verbesserungen der Lebensqualität verzichten?

Diese Frage bezieht sich ja nicht nur auf Verkehrsbelastungen, sondern ebenso auf Sicherheit und Kriminalität, auf die Qualität und Ausstattung von Wohnungen, auf die Versorgung mit Schulen und Arztpraxen sowie auf Erholungsflächen, Parks und künftig mehr denn je auf entsiegelte Flächen, durch die Hitzewellen und Starkregen besser bewältigt werden.

All das sind Gentrifizierungstreiber. Oftmals treten diese Treiber auch parallel oder sogar zeitgleich auf.

Mietrecht ändern, Genossenschaften stärken

Das Gentrifizierungsproblem muss anders gelöst werden als durch den Verzicht auf eine bessere Lebensqualität. Der beste Schutz vor Verdrängung ist ein Mietrecht, das den Mieter:innen eine starke Position gibt und nur Vergleichsmieten mit Preisdeckel erlaubt.

Es braucht zugleich einen hohen Bestand von Wohnungen in kommunaler Hand und vor allem in Mieterhand beziehungsweise in gemeinschaftlichem Eigentum. Die Stadt Wien war und ist ein überzeugendes Beispiel. Klassische Genossenschaften und selbstorganisierte Hausprojekte à la "Mietshäuser Syndikat" sind ein wirksamer Schutz gegen renditegierige Investoren.

Porträtaufnahme von Weert Canzler.
Foto: David Außerhofer

Weert Canzler

ist Co-Leiter der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung des Wissenschafts­zentrums Berlin (WZB). Der Politik- und Sozial­wissenschaftler ist Autor zahlreicher Bücher zur Verkehrs­wende.

Schon länger gibt es in Berlin das bezirkliche Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten, mit dem der spekulative Ausverkauf von Mietshäusern erschwert werden soll. Und im Übrigen: Grund und Boden muss dem Markt entzogen werden – wie Hans-Jochen Vogel schon vor mehr als 50 Jahren forderte. Nun ja, das ist ein ganz dickes Brett.

Ein zweiter Schwerpunkt im Kampf gegen die Gentrifizierung besteht darin, die verschiedenen Hebel zur Verbesserung der Lebensqualität möglichst oft und an vielen Orten gleichzeitig anzusetzen. Das gilt auch für den Verkehr.

Werden in Berlin nicht nur an fünf Straßenzügen und Kreuzungen Durchfahrtsperrungen und eine Umwidmung von Stellplätzen realisiert, sondern an fünfzig, verteilen sich auch die positiven Effekte besser. Die Basis der attraktiven Wohnlagen würde schnell deutlich breiter.

Wenn dann noch stadtweit Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit und – so viel utopischer Überschuss muss sein – ein generelles Fahrverbot für SUVs mit mehr als 1,5 Tonnen Gewicht erlassen werden, steigt generell die Aufenthaltsqualität in der Stadt.

Gentrifizierung und die Angst davor lassen sich nicht ignorieren. Wie ein Kaninchen auf die Schlange zu starren und nichts zu tun, ist aber keine Option. Für den Verkehr gilt: Das beste Mittel gegen einen möglichen Gentrifizierungsschub infolge befreiter Straßen und Plätze sind mehr befreite Straßen und Plätze.

Der Text ist eine Antwort auf den Beitrag von Przemysław Borucki:

 

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Beiträge erscheinen zugleich im WZB-Blog der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität.

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