Eine rote Alge zwischen mehreren grünen Markoalgen auf dem Meeresgrund.
Lösen Algen alle unsere Probleme? (Bild: Damsea/​Shutterstock)

Klimareporter°: Herr Smetacek, können Algen den Klimawandel aufhalten?

Victor Smetacek: Algen können die Welt retten. Davon bin ich überzeugt. Wir müssen uns jetzt nur richtig ins Zeug legen und zu Aqua-Landwirten werden. Wir brauchen riesige Algen-Plantagen im offenen Ozean. Anders lässt sich unsere Zivilisation, wie wir sie heute kennen, nicht erhalten.

Selbst wenn alle Anstrengungen hochgefahren werden, das 1,5-Grad-Ziel lässt sich Ihrer Ansicht nach über die altbekannten Klimaschutz-Maßnahmen – Energiewende, Effizienz, Suffizienz – nicht erreichen?

1,5 Grad Erderwärmung ist schon zu viel. Das ist eine Zahl, die politisch beschlossen wurde, weil man sich dachte, das lässt sich gut kommunizieren. Es geht in erster Linie darum, die Kipppunkte der großen Eisschilde zu vermeiden.

Denn wenn die mal richtig anfangen zu schmelzen – daran kann sich die Menschheit nicht anpassen. Das ist ausgeschlossen.

Nicht nur der Meeresspiegel steigt dadurch an. Meeresströmungen und Ökosysteme brechen zusammen. Extremwetterereignisse nehmen zu. Wenn riesige Eisklippen vom Grönland-Eisschild ins Meer stürzen, führt das zu unvorstellbaren Flutwellen an unseren Küsten.

Um das aufzuhalten, müssen wir also nicht nur unsere Emissionen auf null senken, sondern – so argumentieren Sie – auch die CO2-Konzentration der Atmosphäre drastisch reduzieren.

Seit der Industrialisierung haben wir etwa 650 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in Form von CO2 in die Atmosphäre gepustet. Davon müssten wir mindestens 500 Milliarden Tonnen wieder aus der Atmosphäre entfernen, um zu dem sicheren Klima des Holozäns zurückzukehren.

Also das Zeitalter, in dem die gesamte menschliche Zivilisationsgeschichte stattfand und das nun möglicherweise vom sogenannten Anthropozän abgelöst wird.

Wir haben die Möglichkeit, wieder in ein stabiles Holozän-Klima zurückzukehren. Was wir dafür brauchen, ist jede Menge Platz. Ich will Ihnen die Größe mal verständlich machen.

Biomasse, ob Alge, Kartoffel oder Mensch, besteht aus etwa zehn Prozent Kohlenstoff. 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen und in Biomasse zu lagern, entspricht einem Volumen von 5.000 Kubikkilometern.

Stellen Sie sich also eine Wand vor, die ein Kilometer hoch, ein Kilometer breit und 5.000 Kilometer lang ist, bestehend aus komprimierter Biomasse. So viel Platz gibt es nur in den Ozeanen, in der Hochsee.

Bevor irgendwas auf dem Meeresboden gelagert werden kann, muss es angebaut werden. Wie stellen Sie sich die Realisierung dieser gigantischen Algen-Plantagen vor?

50 Prozent der Erdoberfläche liegen in den großen Meereswirbeln. Das sind ozeanische Wüsten. Da ist kaum Leben und auch sonst nichts. In diesen Wirbeln sind zum Beispiel die großen Plastikinseln und entkommen ihnen nicht.

Meereforscher Victor Smetacek schaut zwischen zwei Bambusstämmen hervor.
Bild: privat

Victor Smetacek

ist emeritierter Professor am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeres­forschung in Bremerhaven. Smetacek hat sich sein Leben lang mit Meeres­biologie und der Bedeutung der Alge für den Kohlenstoff­kreislauf beschäftigt.

Nun könnte man diese Flächen mit Nährstoffen versorgen. Das ginge ziemlich einfach. Das Tiefenwasser ist voll mit Nährstoffen.

Man müsste also Rohre – zwischen 300 und 500 Meter lang – vertikal im Meer aufstellen. Durch die Dichteunterschiede würde es automatisch zu einem Wasseraustausch zwischen warmem, salzreichem Oberflächenwasser und kaltem, salzarmem Tiefenwasser kommen.

Durch diese Nährstoffflüsse würden Algen anfangen, dort zu wachsen. Ich spreche von Makroalgen, die wir ausbringen und die einfach auf der Meeresoberfläche schwimmen. Es ist ähnlich wie am Anfang der Zivilisationsgeschichte in Mesopotamien, Indien oder China.

Damals wurde Wasser von Flüssen abgezweigt und in trockene Gebiete geleitet, um dort etwas anzubauen. Dasselbe machen wir nun im Meer, nur mit Nährstoffen anstelle von Wasser.

Ein interessanter Vergleich: Nährstoffflüsse, um den Ozean nutzbar zu machen. Wie groß sollen diese Plantagen denn sein?

Das Potenzial ist beinahe unbegrenzt. Es hängt allein davon ab, wie viele Rohre wir versenken. Das Einzige, was Algen davon abhält zu wachsen, sind fehlende Nährstoffe. Und die lassen sich über diese Rohre ziemlich unkompliziert liefern.

Tausende solcher Rohre auszubringen, klingt nicht unkompliziert.

Vielleicht sogar Millionen Rohre. Wir müssen schließlich riesige Mengen CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Wenn die ersten Pilotprojekte laufen, geht das ganz schnell.

Es braucht ja keine Technik, sondern nur Rohre. Die Erdölplattformen auf dem Meer sind wesentlich aufwendiger und anspruchsvoller. Dieselben Unternehmen, die die Plattformen hergestellt haben, könnten sich nun auf Rohre fokussieren.

Was soll dann mit diesen riesigen Mengen an Algen passieren?

Aus Algen lässt sich zum einen ein plastikähnlicher Stoff herstellen. Anstatt aus Erdöl könnte also alles aus Algen hergestellt werden. Auch die gesamte Infrastruktur, die für die Algen-Farmen gebraucht werden würde, könnte aus Algen hergestellt und mit Solarenergie betrieben werden. Sonne gibt es schließlich genug auf der Hochsee.

Und der Rest der Algenmasse wird auf dem Tiefseeboden gelagert. Das sind riesige Flächen, von denen nur ein kleiner Teil gebraucht werden würde.

Besteht nicht die Gefahr, dass sich diese Algenmasse unter Wasser abbaut und der gebundene Kohlenstoff doch wieder in Form von Methan oder CO2 in die Atmosphäre gelangt?

Nicht, wenn man sie davor behandelt. Man könnte sie in Gelee verwandeln, indem man die Alginate freisetzt.

Diese komprimierten, verdichteten Algen-Geleeblöcke sind absolut undurchlässig und können damit auch nicht verrotten. Der Kohlenstoff wäre damit dem Kohlenstoffkreislauf entzogen und die Geleeblöcke sind das nächste Erdöl in einigen Millionen von Jahren.

Bleiben wir bei den möglichen Gefahren Ihrer Idee. Dass Algen die Strudel verlassen und Ökosysteme gefährden oder es doch unabschätzbare Folgen für die Tiefsee gibt, das sind alles unbegründete Sorgen?

Nein. Das sind sehr ernstzunehmende Sorgen. Ich glaube nur, dass es für all diese Sorgen Lösungen gibt. Es können Schiffe um die Plantagen kreisen und Algen, die aus dem Strudel entkommen, wieder einsammeln. Allerdings keine Motorboote, sondern Schiffe, die mit der Geschwindigkeit der Natur arbeiten, also Segelschiffe.

Und man hätte das Algenwachstum total unter Kontrolle. Sobald man mit der Düngung aufhört, also die Rohre entfernt, stoppt das Algenwachstum beinahe sofort. Das geht innerhalb von einem Jahr.

Sollten sich nun einige Länder dazu entschließen, ihrem Vorschlag zu folgen, wie viel CO2 ließe sich realistisch damit bis 2030, 2040, 2050 entfernen?

Das hängt davon ab, wie schnell und umfassend solche Projekte umgesetzt werden.

Also genaue Zahlen gibt es noch nicht?

Natürlich braucht es noch Pilotprojekte. Aber wenn Millionen Rohre ausgebracht werden, dann können der Atmosphäre in wenigen Jahren 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff entzogen werden.

Algen könnten also den Klimawandel im Alleingang aufhalten?

Es ist denkbar.

Natürlich müssen gleichzeitig auch die Emissionen auf null reduziert werden und so weiter und so fort. Aber das allein wird nicht reichen. Und ich kenne keine bessere Lösung als diese Algen-Farmen.

Es gab ja bereits diverse Untersuchungen zu Eisendüngung im Ozean. Ich habe an einigen dieser Untersuchungen mitgewirkt. Damit lassen sich vielleicht ein bis zwei Milliarden Tonnen Kohlenstoff jährlich aus der Atmosphäre ziehen. Das reicht bei Weitem nicht aus.

 

Gibt es denn schon Pilotprojekte?

Seafields ist eine Firma, die diese Idee von mir ausführen will. Sie macht bereits einige Pilotprojekte mit Sargassum-Algen und sammelt Geld via Crowdfunding.

Es steht noch ganz am Anfang, aber ich bin überzeugt, es ist die beste Lösung, die wir haben. Ich hoffe, dass es noch zu einer weltweiten Bewegung wird.

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