Aufnahme aus dem Weltraum: Breites Wolkenband vor blauem Untergrund, im Hintergrund der gekrümmte Erdhorizont.
Durch Kondensationseffekt sichtbarer Jetstream über Kanada. (Foto: NASA/​Wikimedia Commons)

Der Sommer 2018 hatte es in sich. Rekordhitze und Dürren, aber auch Starkregen und Überschwemmungen waren auf der Nordhalbkugel der Erde zu verzeichnen. In Deutschland wurde ein neuer Jahres-Temperaturrekord aufgestellt, Frankfurt am Main zum Beispiel brachte es auf satte 108 "Sommertage" mit 25 Grad und mehr.

Vor allem die extrem lange Trockenheit von Februar bis November machte Mensch und Natur zu schaffen. Getreide vertrocknete auf den Feldern, Setzlinge in den Wäldern gingen millionenfach ein, die Pegel am Rhein sanken auf den niedrigsten je gemessenen Wert.

Hitzewellen gab es auch in Russland und im Westen der USA. In Osteuropa und Japan hingegen kam es zu verheerenden Überschwemmungen.

Als eine Ursache für den "Jahrhundertsommer" und die anderen Wetterextreme haben Klimaforscher Veränderungen im Jetstream ausgemacht – jenem Starkwind-Band auf der Nordhalbkugel, das dort normalerweise die Hoch- und Tiefdruckgebiete von West nach Ost schiebt.

Der Jetstream weht in einer Höhe von acht bis zwölf Kilometern über den mittleren Breiten rund um die Erde und erreicht dabei Spitzengeschwindigkeiten von 500 Kilometern pro Stunde. Bei Reisen über den Atlantik zeigt sich seine Kraft, Flüge von Europa nach Amerika dauern üblicherweise länger als in Gegenrichtung.

Stationäre Wetterlagen ersetzen Westwindströmung

Der Jetstream, auch Strahlstrom genannt, bildet sich dort, wo die kalten Luftmassen aus der Arktis und die warmen vom Äquator aufeinandertreffen, die West-Ost-Ausrichtung entsteht durch die Erdrotation. Er bewegt sich dabei allerdings meist nicht ganz geradlinig, sondern in leichten Wellen, er flattert sozusagen.

 

Im Sommer des Jahres 2018 passierte etwas Besonderes. Die Wellen des Windbandes kamen förmlich zum Stehen, anstatt weiterzuwandern, wie normalerweise üblich. Der Jetstream mäanderte zwischen Nord und Süd, und ein Tief über dem Ostatlantik – vor Spanien und der Biskaya – wurde dadurch praktisch "festgesetzt".

Heiße Luftströmungen, die ursprünglich aus Nordafrika stammten, wurden so Richtung Frankreich und generell Mitteleuropa gelenkt – und zwar ungewöhnlich lange. Der "Supersommer" war die Folge.

Das Jahr 2018 bestätigte damit eine Tendenz, die Klimaforscher bereits seit Längerem beobachtet hatten: Der Jetstream schwächt sich immer wieder ab und weht dann seltener auf einem relativ geraden Kurs parallel zum Äquator, stattdessen schlängelt er sich öfter in Riesenwellen über die Nordhalbkugel.

Die in Mitteleuropa vorherrschende Westwindströmung wird häufiger durch stationäre Wetterlagen ersetzt. Verharren die Jetstream-Wellen über Wochen an einer Stelle, kann aus ein paar warmen, sonnigen Tagen eine Hitzewelle oder eine Dürre entstehen, und aus ein paar regnerischen Tagen können Fluten werden.

Warme Arktis, schwacher Jetstream, extremes Wetter

Eine im vorigen Jahr veröffentlichte Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) belegte diese Zusammenhänge. "Unsere Studie zeigt, dass die spezifischen Orte und der Zeitpunkt der Wetterextreme im Sommer 2018 nicht zufällig waren", erläuterte Leitautor Kai Kornhuber, der am PIK und an der Universität Oxford forscht. Sie seien direkt mit einem sich wiederholenden Muster im Jetstream verbunden gewesen – ähnlich wie in früheren Jahren mit extremen Wetterereignissen, so bei den Hitzewellen in Europa in den Jahren 2003, 2006 und 2015.

Ausnahmewinter 2020

Wetter ist chaotisch – auch in Zeiten der Klimakrise. Diesen Winter konnte von einem schwachen Jetstream keine Rede sein. Das begünstigte auch einen starken nördlichen Polarwirbel. Unter anderem trug diese Lage sogar zu dem Ozonloch bei, das über der Arktis entdeckt wurde. Außerdem führte sie zu einem milden Winter auf der Nordhalbkugel.

"Im Zuge des Klimawandels werden wir häufiger die gegenteilige Lage erleben, wie es in den Vorjahren auch der Fall war", erklärt Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut. "Der Jetstream – ein Starkwindband, das normalerweise den Polarwirbel in Schach hält – fällt zunehmend schwächer aus und lässt den Polarwirbel zerfransen." Dann strömen eisige Winde bis in unsere Breitengrade und der Winter wird kälter, wie es in den vergangenen Jahren an der US-Ostküste zu beobachten war.

Das mache die aktuelle Wetterlage umso außergewöhnlicher, so Rex. (scz)

Häufigkeit und Dauer hätten etwa seit der Jahrhundertwende zugenommen, so die Experten. "In den zwei Jahrzehnten vor 1999 gab es keine Sommer, in denen wir dieses Muster der stockenden Wellen über eine Dauer von zwei Wochen oder noch länger hatten", berichtete Ko-Autor Dim Coumou vom PIK und der Freien Universität Amsterdam. Seither habe es hingegen bereits sieben solcher Sommer gegeben.

Unterstützt wird diese Analyse auch von Wissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI). Ihnen gelang es in ihrem globalen Klimamodell, einen Zusammenhang zwischen dem "Schlängelkurs" des gebremsten Jetstreams und der globalen Erwärmung herzustellen.

Als eine Ursache dafür identifizierten sie das Schrumpfen des arktischen Meereises und die daran gekoppelte besonders starke Erwärmung der nördlichsten Region des Planeten – sie verläuft etwa doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt auf dem Planeten. Dadurch werden sich vor allem im Sommer die Temperaturunterschiede zwischen Arktis und Äquator immer geringer, was zur Folge hat, dass der Antrieb für den Jetstream schwächer wird.

"Sollte die Eisdecke weiter schrumpfen, gehen wir davon aus, dass die bisher beobachteten Extremwetterereignisse in den mittleren Breiten in ihrer Häufigkeit und Intensität zunehmen werden", sagte AWI-Professor Markus Rex. Und daran, dass das Eis tendenziell weiter schmilzt, gibt es keine Zweifel.

Hitzewellen, aber auch Kälteeinbrüche

Auch die PIK-Forscher erwarten, dass der Jetstream in Zukunft noch häufiger einrasten wird – unter anderem auch, weil sich die Landmassen auf der Erde schneller erwärmen als die Meeresgebiete. Der erhöhte Temperaturkontrast begünstige das Entstehen des stagnierenden Wellenmusters, das zu den Hitzewellen führte.

"Ein weiterer relevanter Faktor könnte sein, dass der nördliche Atlantik sich abgekühlt hat, wahrscheinlich als Folge der Verlangsamung der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation, besser bekannt als Golfstrom", erläuterte PIK-Professor Stefan Rahmstorf.

Die Experten halten die Entwicklung beim Jetstream für besonders gefährlich, weil die anhaltenden Hitzewellen zum allgemeinen Temperaturanstieg durch die globale Erwärmung noch hinzukommen. Das erhöhe das Risiko besonders extremer Hitzewellen, vor allem in Regionen wie Europa und Nordamerika, warnen sie.

Allerdings kann der wellenförmige Verlauf des "Strahlstroms" im Winter dort auch gegenteilige Folgen haben – er kann zu ungewöhnlich starken Kälteeinbrüchen führen, so wie in den USA und Kanada Anfang 2019. Ein schwacher Jetstream hatte damals mit besonders großen Wellen ein Einfallstor nach Süden für die eisige Polarluft geöffnet.

US-Präsident Donald Trump lag deswegen mit seiner Twitter-Intervention zu der Frostattacke voll daneben: "Was zum Teufel ist mit der Erderwärmung los? Bitte komm schnell zurück, wir brauchen dich."

Serie: Kippelemente

Werden die Kippelemente im Klima- und Erdsystem ausgelöst, kann es zu Kettenreaktionen kommen, durch die sich die Erderwärmung unkontrollierbar verstärken würde. Wissenschaftler haben 16 Kippelemente identifiziert, die sogar für ein Ende der menschlichen Zivilisation, wie wir sie kennen, sorgen könnten. Wir stellen sie in einer Serie vor.

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