Porträtaufnahme von Tim Meyer.
Tim Meyer. (Foto: Naturstrom)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Tim Meyer, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Meyer, diese Woche ist herausgekommen, wie sich das Bundeswirtschaftsministerium das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz vorstellt. Sie haben bereits kritisiert, wie mit dem Eigenverbrauch umgegangen werden soll. Wie bewerten Sie denn die Mengen an erneuerbarer Kapazität, die das Wirtschaftsressort im kommenden Jahrzehnt ausschreiben lassen will?

Tim Meyer: Die sind ganz klar zu niedrig, weil sie den zusätzlichen Ökostrombedarf durch die Sektorenkopplung nicht berücksichtigen.

Alle sind sich einig, dass schnelle Emissionsminderungen im Wärme- und Verkehrsbereich hauptsächlich über den Einsatz von Stromanwendungen zu erreichen sind. Also beispielsweise über Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen, die mit Ökostrom betrieben werden.

Zusätzlich gilt grüner Wasserstoff, der aus Ökostrom gewonnen wird, als Wunderwaffe für die Dekarbonisierung von Industrieprozessen. Vor dieser Entwicklung verschließt das Bundeswirtschaftsministerium im Referentenentwurf die Augen und blendet dabei sogar die eigene Wasserstoffstrategie aus.

Man darf dahinter gleich doppeltes Kalkül befürchten: Erstens wird der Eindruck erweckt, die niedrigen Ausbaupfade des Referentenentwurfs würden genügen, um bis 2030 das gesteckte Ziel von 65 Prozent Erneuerbaren im Strombereich zu erreichen.

Zweitens könnte im Fall einer solcherart bewusst in Kauf genommenen Zielverfehlung die fossile Energiewirtschaft wieder zum Zuge kommen, indem sie mit Erdgasimporten zur Herstellung von "blauem Wasserstoff" als vorgeblicher Retter in der Not beispringt.

Was erhoffen Sie sich von der Ressortabstimmung zum neuen EEG, die jetzt ansteht?

Die Hauptsache ist, dass die Ausbaupfade an die Realität angepasst und somit deutlich erhöht werden.

Außerdem gibt es keinen Grund, den solaren Eigenverbrauch bei ausgeförderten Anlagen und im Gewerbebereich so zu drangsalieren, wie es im Referentenentwurf der Fall ist. Da muss sich etwas tun! Die Eigenverbrauchsoptimierung durch Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge oder Speicher ist doch der erste Schritt zur Sektorenkopplung.

Eine Zumutung ist außerdem die Verschärfung der Sechs-Stunden-Regelung für Windparks. Bislang gilt: Wenn am Kurzfristmarkt der Strombörse sechs Stunden oder länger negative Preise herrschen, entfällt der Vergütungsanspruch.

Aus sechs Stunden sollen nun für neu zu errichtende Anlagen künftig 15 Minuten werden. Die zu erwartenden Produktionsausfälle müssen von Projektentwicklern einkalkuliert werden, das führt zu höheren Zuschlägen bei den Ausschreibungen.

Vor allem aber drängen solche Mechanismen die kleinen und bürgernahen Projektierer noch weiter aus dem Markt.

Denn die Einschätzung und Beherrschung der stetig wachsenden energiewirtschaftlichen Risiken des Anlagenbetriebs fällt naturgemäß großen Energieversorgern leichter als Energiegenossenschaften. Ich befürchte, dass das Bundeswirtschaftsministerium eine solche Entwicklung zumindest wissentlich in Kauf nimmt.

Ich bin gespannt, ob diese Punkte bereits in der Ressortabstimmung diskutiert werden. Spätestens im parlamentarischen Verfahren sollten sie aber aufs Tapet kommen.

Die Windkraft an Land kommt nur voran, wenn die Branche stärker auf Kooperation setzt – auch mit denen, die sie bislang eher als Gegner wahrnimmt, sagt Torsten Raynal-Ehrke, Chef des Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende, im Interview mit Klimareporter°. Wie sehen Sie das?

Nach diesem Grundsatz handeln wir in unseren Projekten schon seit vielen Jahren, indem wir früh mit den Gemeinderäten und Bürgermeistern vor Ort ins Gespräch gehen, Bürgersprechstunden und Führungen anbieten, vergünstigte Stromtarife und direkte Beteiligungsmöglichkeiten aufsetzen.

Das entspricht zum einen unserer Überzeugung, wie eine bürgernahe Energiewende zu funktionieren hat. Zum anderen wollen wir ja als Anlagenbetreiber auch lange in den Regionen vor Ort bleiben.

Der eine oder andere Projektentwickler insbesondere im Windbereich, der die schlüsselfertigen Projekte weiterverkauft und dann mit den Zuständen vor Ort nichts mehr zu schaffen hat, hat das sicherlich in früheren Jahren anders gehandhabt und dabei verbrannte Erde hinterlassen.

Dadurch sind viele der Gegner, auf die Torsten Raynal-Ehrke hinweist, ja erst entstanden. Das baden die Unternehmen der Branche heute gemeinsam aus, indem sie sich in fast jedem Projekt mit einer kleinen, aber lautstarken Fundamentalopposition auseinandersetzen müssen – auch wir.

In dieser Situation ist es wichtig, möglicherweise verlorenes Vertrauen bei der großen Mehrheit der Neutralen wiederzugewinnen. Und das tut man am besten, indem man sich früh zusammen an einen Tisch setzt und die Karten auf selbigen legt.

Wenn das allseits etablierte Praxis wird, bessert sich mit einem gewissen Zeitversatz auch die Stimmungslage in den Gemeinden, davon bin ich fest überzeugt.

Jugendliche aus Portugal verklagen die EU und andere europäische Staaten wegen mangelhaftem Klimaschutz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wie finden Sie es, dass Klimaaktivist:innen immer häufiger vor Gerichte ziehen?

Kann man das schlecht finden? Dass Klimaschutz heute so wahrnehmbar auf der politischen Agenda steht, haben wir ja vor allem engagierten jungen Menschen zu verdanken.

Demonstrieren, sich zur Wahl stellen, gründen und mitarbeiten – aber eben auch klagen: Demokratische Rechtsstaaten bieten engagierten Menschen ein breites Instrumentarium, zu gestalten und auf Grenzen hinzuweisen. Für mich ist es da absolut konsequent, dass Klimaaktivist:innen und in diesem Fall eben Jugendliche auch juristische Schritte nutzen, wenn sich dafür ein Anknüpfungspunkt bietet.

Gerade dieser Verweis auf Verfassungen und Grundrechte macht doch deutlich, wie grundlegend und breit die Debatte über die Vorsorgepflichten von Staaten und generationenübergreifende Chancengerechtigkeit geführt werden muss.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Na, das war natürlich der aus dem Nichts aufgetauchte Referentenentwurf zur EEG-Novelle! Nachdem wir dazu bisher über Versäumnisse und Mängel geredet haben, möchte ich der Vollständigkeit halber auch auf eine kleine positive Überraschung hinweisen: die Änderungen beim Mieterstrom.

Beispielsweise soll der Mieterstromzuschlag von der Einspeisevergütung der Photovoltaikanlage entkoppelt werden. Das ist dringend nötig, denn die bisherige Logik hatte dazu geführt, dass der Zuschlag je nach Projektausgestaltung zuletzt häufig bei null lag.

Auch an ein, zwei anderen Stellschrauben wurde gedreht – zum Besseren. Es ist zu hoffen, dass Mieterstrom künftig deutlich mehr Akteuren Spaß macht – auch und gerade bei der bislang größtenteils abwartenden Immobilienwirtschaft.

Damit Mieterstrom wirklich fliegt, werden aber noch weitere Änderungen nötig sein.

Fragen: Susanne Schwarz