Zwei Windräder stehen in einem Mischwald, davor ein Weizenfeld.
Windkraft im Wald ist ein emotionales Thema. (Foto: Andreas Deutsch/​Pixabay)

Thüringen meint es ernst mit dem Klimaschutz. Ein im vergangenen Dezember verabschiedetes Gesetz sieht vor, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 schrittweise um bis zu 95 Prozent zu senken. Das geht nur mit einem deutlich stärkeren Ausbau der Windenergie. Die Fläche, auf der Windkraft steht, soll langfristig von derzeit 0,3 Prozent auf ein Prozent der Landesfläche gesteigert werden.

Auf der anderen Seite wächst der organisierte Widerstand gegen den Ausbau der Windkraft. Auch wenn 2018 eine Forsa-Umfrage zu dem Schluss kam, dass über 70 Prozent der Thüringer hinter der Windkraft stehen, werden immer mehr Bürgerinitiativen dagegen gegründet. 50 sollen es bereits in Thüringen sein.

Als Antwort darauf richtete das Umweltministerium an der landeseigenen Thüringer Energie- und Greentech-Agentur (Thega) im Jahr 2015 die Servicestelle Windenergie ein. Unter der Leitung von Ramona Rothe kümmern sich die beiden Projektleiter Frank Schindler und Thomas Platzek um sämtliche Anliegen rund um die Windkraft im Land. An oberster Stelle steht das Ziel, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen.

Landesenergieagenturen gibt es auch in anderen Bundesländern, aber nur wenige mit einem eigenen Bereich für die Windenergie. "Was uns anders macht, ist, dass wir beherzt an der Basis arbeiten. Wir fertigen zwar auch Studien und Evaluationen an, aber viel wichtiger ist es uns, da zu helfen, wo die Hütte brennt. Man kommt nicht umhin, mit den Menschen vor Ort zu reden, und zwar in einer klaren, verständlichen Sprache", sagt Rothe.

Oftmals geht Ablehnung neuer Windmühlen einher mit mangelndem Wissen über die Vorteile für die Kommunen und die Bürger. Auch die Stadtverwaltungen sind nicht immer gut informiert, selbst wenn sie sich für die Windkraft aussprechen und davon profitieren wollen.

"Wir haben sehr viele ehrenamtlich arbeitende Bürgermeister, die können sich nicht so intensiv mit der komplexen Windenergie beschäftigen", sagt Projektleiter Schindler. Manch einer fühle sich damit schon mal hoffnungslos überfordert. "Wir haben aber auch Bürgermeister, die nur die negative Stimmung einiger weniger lauter Bürgerinitiativen aufgreifen und mit Blick auf ihre Wiederwahl neue Windräder pauschal ablehnen."

Ramona Rothe sieht sich und ihre Mitarbeiter der Servicestelle als "Vernetzer". Sie beraten Kommunen, Bürger sowie Land- und Forstwirte zu Themen wie Pacht oder Beteiligungsmodelle. Sie unterstützen die Windparkplaner bei regionalen Dialogveranstaltungen und treten dort als neutrale Ansprechpartner auf, initiieren und begleiten Interessengemeinschaften und fördern den Austausch mit den Landes- und Kommunaleinrichtungen, Behörden und Verbänden.

Mit dem Veranstaltungsformat "Recht und Kommune" in Zusammenarbeit mit einer Anwaltskanzlei richten sie sich gezielt an Bürgermeister. Auch den einen oder anderen lokalen Konflikt muss das Team um Ramona Rothe moderieren. Mehr als 270 Unternehmen und über 100 Kommunen hat die Servicestelle in den letzten vier Jahren seit ihrer Entstehung beraten sowie 160 Bürgeranfragen bearbeitet.

Neue Formen der fachlichen Aufklärung helfen dabei, etwa Weiterbildungsfahrten mit dem Bus zu verschiedenen Windenergieanlagen. Bürgermeister, Landespolitiker oder Studierende bekommen so einen Einblick in Genehmigungsverfahren und naturschutzfachliche Maßnahmen, in die technischen Aspekte rund um den Bau der Anlagen und Themen wie Repowering oder Möglichkeiten der Beteiligung.

Thüringen vergibt "Siegel für faire Windenergie"

Als vorbildhaft gilt deutschlandweit vor allem das "Siegel für faire Windenergie", das die Servicestelle an Windparkplaner vergibt, die sich freiwillig dazu verpflichten, bestimmte "Leitlinien" einzuhalten, also detaillierte Vorgaben zur Zusammenarbeit mit Bürgern, Kommunen und regionalen Unternehmen.

Dazu gehören unter anderem die frühe Einbindung der Einwohner, eine transparente Kommunikation, Teilhabe und faire Verträge. 50 Firmen tragen derzeit das Siegel. Ob die Kriterien eingehalten werden, überprüft Projektleiter Platzek zweimal jährlich.

"Wir wollen Wege finden, wie wir in Thüringen die Wertschöpfung erhöhen können. Etwa 50 Prozent des Strombedarfs werden importiert, zum Beispiel aus der Lausitz. Da steckt unglaubliches Potenzial drin, das muss nur einer heben", sagt Platzek.

Außerdem haben fast 90 Prozent der Investoren und Projektierungsunternehmen ihren Sitz nicht in Thüringen. So gehen dem Land ebenfalls Gewerbesteuereinnahmen verloren, die normalerweise auch am Firmenhauptsitz anfallen. Das will die Beratungsstelle zusammen mit den Siegelpartnern ändern.

Eine wichtige Forderung aus den Siegel-Leitlinien ist etwa, einen Flächenpool einzurichten, der alle Beteiligten im Umkreis der ausgewiesenen Fläche mit Pachtgeldern berücksichtigt und nicht nur die, auf denen die Mühle tatsächlich stehen soll. So wird nachbarschaftlicher Neid besser verhindert. Des Weiteren sollen die Projektierer beantragen, möglichst viel der Gewerbesteuer an die Windpark-Gemeinden zu zahlen.

Besonders gut lassen sich die wirtschaftlichen Chancen am Windpark Holzthaleben in Helbedündorf im Kyffhäuserkreis darstellen. Der Siegelpartner WPD hat dort fünf Anlagen installiert und dabei mit in der Region ansässigen Unternehmen zusammengearbeitet.

Gemeinsam mit den Flächeneigentümern, der Gemeinde, örtlichen Verbänden und der Naturschutzbehörde hatte WPD den Park frühzeitig geplant. Alle Flächeneigentümer im Vorranggebiet werden finanziell berücksichtigt. Aus den Pachteinnahmen wurde eine Stiftung gegründet, über die Spenden in lokale Einrichtungen wie Grundschule, Kindergarten oder Feuerwehr fließen. Zur offiziellen Einweihung Mitte 2016 gab es ein Fest für die Bürger und Beteiligten.

Ein zentrales Thema ist stets der Artenschutz. In Holzthaleben wurden Ablenkflächen und damit neue Lebensräume und Jagdreviere für den Rotmilan geschaffen, sodass der Greifvogel nicht im Windpark nach Nahrung sucht. In anderen Gemeinden erarbeiten die Siegelpartner und die Servicestelle ebenfalls maßgeschneiderte Lösungen. So wurde im nordthüringischen Kyffhäuserkreis beim Windpark Heldrungen von Sabowind mit der Renaturierung eines Bachs der Natur- und Hochwasserschutz verbessert sowie auf einer Fläche von 3.000 Quadratmetern eine Feldhecke und eine Streuobstwiese angelegt.

Über die Gründung von Interessengemeinschaften der Flächeneigentümer kann ein Teil der Pacht für das soziale oder ökologische Gemeindewohl gespendet werden. "Hier sind es dann die Bürger selbst, die ein Gemeinschafts- und Akzeptanzgefühl entwickeln, wenn sie einmal im Jahr überlegen, was mit dem Geld gemacht werden soll", sagt Rothe. "Wertschöpfung wird manchmal viel zu groß gedacht, es sind auch die ganz kleinen Dinge, mit denen sie ihrer Gemeinde viel Gutes tun können."

"Es sind immer nur einige wenige, die so laut sind"

Doch bei allen Vorteilen für die oftmals unterfinanzierten Kommunen: Manchmal verläuft nicht alles glatt für Windparkplaner. An vielen Orten wird heftig gegen die Regionalplanung und um neue Parks gestritten. Dabei scheint der Ton immer rauer zu werden. So kam es etwa im November 2017 bei einer Infomesse von Abo Wind zum geplanten Windpark im Wald nahe dem 1.200-Einwohner-Dorf St. Gangloff zu massiven Störungen.

Abo Wind war die erste Firma, die das Siegel für faire Windenergie erhielt. In St. Gangloff kümmerte sie sich von Anfang an um Transparenz und Beteiligung, auch über eine eigene Projekthomepage. Zu der Infomesse waren der Umweltstaatssekretär Olaf Möller, Kommunalpolitiker und die Anwohner eingeladen. Auch die lokale Bürgerinitiative "Unser Holzland – Kein Windkraftland" hätte einen eigenen Stand bekommen, um ihre Argumente vorzubringen. Die aber verweigerte den Dialog – und meldete stattdessen eine offizielle Demonstration an. Weshalb dann auch die Polizei anwesend war.

Mehr als 70 Leute bauten sich vor dem Gemeindehaus auf. Mit Trillerpfeifen und Anti-Wind-Liedern störten sie die Veranstaltung, pfiffen und buhten andere Besucher aus und hielten teilweise beleidigende Reden.

"Es ist wichtig, vor Ort zu sein und das Angebot zur Information zu machen. Trotzdem ist das natürlich ein schwaches Verständnis von demokratischem Miteinander, wenn man nur noch pfeift, statt sich zu unterhalten", sagt Daniel Duben von Abo Wind. Aber auch: "Man darf nicht den Fehler machen, diese schreiende Minderheit zu überhöhen. Die waren schon sehr laut und aggressiv, aber es sind eben immer nur einige wenige, die so laut sind." Normalerweise würden die Infomessen wertgeschätzt und gut von der Bevölkerung angenommen.

Nur wenige Teilnehmer stammten laut Augenzeugenberichten aus St. Gangloff, die anderen Protestierenden waren offensichtlich extra angereist. Das deutet auf eine zunehmende Professionalisierung der Bürgerinitiativen hin. Viele von ihnen sind untereinander vernetzt.

"Mit dem Thema Windkraft im Wald haben die Bürgerinitiativen in Thüringen nochmal deutlich zugelegt", sagt Rothe. Das könne auch an den Energiewendegegnern in der AfD liegen. Sie würden sich gezielt in den Kommunen beim Bürgerprotest einklinken. Die AfD selbst schreibt auf ihrer Homepage, dass "derzeit Bürgerinitiativen gegen neue Windkraftanlagen wie Pilze aus dem Boden schießen". Und: "Wir von der AfD unterstützen sie."

"Aus unserer Sicht kann man manchmal komplett am demokratischen Verhalten der Menschen zweifeln", sagt Rothe. "Wir sagen immer, wer die Kinderstube nicht im Schweinsgalopp durchritten hat, mit dem reden wir auch und versuchen, in einen vernünftigen Austausch zu kommen, selbst wenn die Einstellungen konträr zueinander sind."

Aber die Bürgerinitiativen arbeiten mit Verunsicherung, teils mit Fehlinformationen. "Sie geben aus unserer Sicht absichtlich viel zu hohe Zahlen an, behaupten, Fundamente seien 30 Meter tief oder dass die Grundstücke in der Nähe von Anlagen nichts mehr wert seien. Es ist schwer auf der sachlichen Ebene gegen die Beziehungsebene anzugehen", sagt Frank Schindler.

Windkraft ist ein großes Wahlkampfthema

Das Thema Wind spielt auch im laufenden Wahlkampf eine große Rolle. Ende Oktober wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Neueste Wahlumfragen sehen voraus, dass die derzeitige rot-rot-grüne Landesregierung abgewählt wird.

Zwar werden die Grünen wahrscheinlich einige Stimmen dazugewinnen, Linke und SPD jedoch deutlich verlieren. Es sieht durchaus danach aus, dass eine Koalition aus CDU und AfD, eventuell mit der FDP, regieren könnte. Alle drei Parteien stehen nicht für eine beschleunigte Energiewende, die AfD lehnt sie sogar komplett ab.

Auch die Thüringer CDU steht nicht hinter den Windzielen der aktuellen Landesregierung. Ganz umschwenken auf die Linie der AfD wird sie aber wohl nicht. Das wäre auch unglaubwürdig, schließlich wurden von den rund 800 Windrädern im Land mehr als 700 unter einer CDU-Regierung errichtet. Weil aber gerade das Thema Wald sehr aufgeladen ist, wollen die Christdemokraten dort weitere Windmühlen ausschließen. Ohne Wind im Wald wird es in Thüringen jedoch kaum gehen.

Die politische Gemengelage könnte die Arbeit der Servicestelle Windenergie in Zukunft erschweren. Aus deren Sicht war es eine gute Entscheidung, dass der Thüringer Landtag Mitte Juni ein Gesetz zum Landeshaushalt 2020 verabschiedet hat – mit über elf Milliarden Euro ist der Etat so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht. Das Gesetz wird über die Regierungszeit von Rot-Rot-Grün hinausreichen. So wird im Falle einer schwierigen und langwierigen Regierungsbildung nach der Wahl das Land nicht monatelang ohne Geld in der Luft hängen.

Auch die Finanzierung der Thega und ihrer Wind-Servicestelle sind zunächst gesichert, die Gesellschafterstruktur ist als GmbH und Tochterunternehmen der Landesentwicklungsgesellschaft von den Ministerien entkoppelt. Sollte das Budget der Servicestelle in Zukunft doch zusammengestrichen werden, dürfte es aber düster aussehen für neue Windparks.

"Natürlich bewegen uns die anstehenden Landtagswahlen. Wir können nur dafür werben, dass unabhängig von politischen Konstellationen die Energiewende und der Klimaschutz gezielt vorangebracht werden. Es bedarf unabhängiger Beratungsstellen, gerade bei komplexen Themen wie der Windenergienutzung", sagt Rothe.

Komplett auflösen wird man die Servicestelle wohl nicht, dafür ist sie bereits zu bekannt. Doch es kann natürlich sein, dass sie kein Geld mehr bekommt, um zu den Kommunen rauszufahren oder jede Bürgerveranstaltung zu begleiten.

Daher plädiert die Servicestelle dafür, dass die Windbranche sich deutlicher an die Regierung wenden sollte. Rothe: "Wir müssen jetzt Zeichen setzen. Neben 'Fridays for Future' gibt es auch Initiativen aus der Wirtschaft wie die 'Entrepreneurs for Future', die sich klar zum Klimaschutz bekennen. Auch diese Unternehmen sollten Druck bei der Politik für eine beschleunigte Energiewende aufbauen."

Klar ist, die Aufklärungsarbeit der Servicestelle ist in jedem Fall wichtig, um bei skeptischen Bürgern Verständnis und Akzeptanz für die Windenergie zu fördern. Und immerhin – auch andere Bundesländer beraten mittlerweile darüber, ähnliche Stellen einzurichten. Thüringens Modell macht Schule.

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