Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Green City AG.
Klimareporter°: Herr Mühlhaus, CDU und CSU im Bundestag sperren sich gegen klimafreundliche Konjunkturprogramme nach der Coronakrise. Wie schätzen Sie die jetzige politische Stimmung in Sachen Klimaschutz ein?
Jens Mühlhaus: Ich kann sehr gut verstehen, dass für viele der Klimaschutz – wenn plötzlich die gesamte Wirtschaft einbricht – nicht das dringendste Problem ist. Eigene existenzielle Sorgen, vor allem bei vielen Selbstständigen und Angestellten in bedrohten Branchen, treten in den Vordergrund, aber auch viele organisatorische Probleme, wie etwa Schulkinder, die plötzlich den ganzen Tag zu Hause verbringen, oder die Frage, was im nächsten Urlaub passieren soll.
Ich empfinde bei der Verknüpfung der beiden Megakrisen, Coronavirus und Klimawandel, ein Störgefühl. Das wird beiden Problemen nicht gerecht. Corona kann und muss sofort bewältigt werden, Dauer ein oder zwei Jahre, fertig. Wenn ich versuche, die Klimakrise damit zu vergleichen, wird mir ehrlich gesagt sehr schummerig – die Dimension ist ohne Zweifel eine andere, deutlich größere.
Die existenzielle Wucht der Coronakrise legt aber einige sehr wichtige Erkenntnisse offen.
Erstens: "Geht nicht" gibts nicht mehr. Die Macht der Sachzwänge, die uns die Politik seit Jahrzehnten als Abwehr gegen jegliche Veränderung entgegenhält, hat sich als Farce erwiesen. Alles geht, wenn es muss.
Zweitens: Die Macht der Wissenschaft setzt sich in der Krise durch. Das ist eine gute Nachricht. Und vielleicht gibt es hier sogar eine Verknüpfung zur Klimakrise: Sind es nicht die jungen Leute von Fridays for Future, die sich sehr erfolgreich seit mehr als einem Jahr konsequent auf die Erkenntnisse der Wissenschaft stützen? Hat Fridays for Future den Virologen hier den Boden bereitet?
Auf jeden Fall wird es der Politik jetzt schwerer fallen, die Klimawissenschaftler und Biologen und Physiker zu ignorieren, die so dringend und mit so vielen Erkenntnissen vor dem Klimawandel warnen.
Drittens legt die Coronakrise Strukturen und Probleme sehr deutlich offen. Das Wesentliche tritt an die Oberfläche, weil die vielen unwichtigen Dinge und die vielen schönen oder unnötigen Ablenkungen wegfallen. Und so sehen wir zum Beispiel die Probleme des unmäßigen Konsums, die Fehlallokationen des Kapitalismus sehr deutlich.
Wir sehen, wer warum mit welchen Lobbyisten was durchgebracht hat. Wir sehen unglaubliche Fehlsteuerungen unserer Gesellschaft, letzte Woche etwa in der Fleischindustrie, und ich hoffe, dass es den Profiteuren dieser Ausbeutung in den kommenden Wochen nicht gelingt, wieder den Mantel des Vergessens über diese Erkenntnisse zu breiten.
Ein Beispiel für diesen Kampf sind die jetzt aufkommenden Konjunkturpakete für die Nachcoronazeit. Und man sieht: Eine neue Abwrackprämie für die Autoindustrie hat es schwer, vor allem bei fehlenden Anreizen für den Klimaschutz und gleichzeitiger Dividendenausschüttung plus Ziehen von Kurzarbeitergeldern. Das war bei der letzten Krise noch anders. SPD, bleib dieses Mal standhaft, dabei sein ist nicht alles!
Also, die Stimmung in Sachen Klimaschutz: Momentan ist er ein untergeordnetes Thema in der öffentlichen Wahrnehmung, und zwar zu Recht. Aber es werden jetzt mächtige Umwälzungen entschieden, mit unglaublichen Geldsummen, und wenn diese Konjunkturprogramme nicht den Klimaschutz als zentrales Steuerungselement berücksichtigen, dann werden in der Nachcoronazeit noch mehr Menschen auf der Straße stehen als vor Corona.
Das sollten sich alle Regierungspolitiker besonders in der Union klarmachen, die jetzt alte, ohnehin sterbende klimaschädliche Wirtschaftszweige weiterhin auf Jahrzehnte an den Tropf hängen wollen, statt Wind- und Solarenergie klar an die erste Stelle zu setzen.
Am Wochenende des Fußballs: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel! Wir haben Krisenjahre vor uns. Und Jahre der Auseinandersetzung. Die Klimakrise wird massiv in den Vordergrund drängen. Wer jetzt falsch handelt und nicht der Wissenschaft folgt, wird dies in den nächsten Jahren rechtfertigen müssen.
Wie es mit den erneuerbaren Energien weitergehen soll, wenn die EEG-Förderung mit diesem Jahr ausläuft, fragt Klimareporter° in einer Serie. Was sind die wichtigsten Punkte, die die Politik anpacken muss, wenn sie einen neuen gesetzlichen Rahmen schafft?
Eine einfache Frage, die eine sehr komplexe Sachlage als Hintergrund hat. Wir reden vom Übergang von der fossilen zur regenerativen Energiewirtschaft. Es gibt so viele wichtige Punkte und Gesetze, auf die die Klimabewegung und die Erneuerbaren-Branche seit Jahren warten. Die Technik ist vorhanden, die Physik ist klar, die Richtung auch, die Dringlichkeit auch. Einzig die Politik schläft.
Nach dieser Vorrede, weil noch drängender, die drei wichtigsten Punkte für eine sofortige EEG-Novelle für Neuanlagen mit Begleitgesetzen in diesem Jahr:
Erstens: Weg mit den Bremsen bei der Solarenergie. Der Deckel bei 52.000 Megawatt muss weg, und die anderen Behinderungen wie die Größenbegrenzung auf zehn Megawatt auch. Dazu noch endlich die Fesseln für den Mieterstrom lösen. Es könnte so einfach sein. Und die Solarenergie ist der Energieerzeuger der Zukunft. Was für ein riesiges Potenzial wir hier haben, so ungenutzt. Entfesselt einfach diesen Riesen!
Zweitens: Weg mit den Bremsen für die Windenergie, Klarheit bei den Abstandsregeln. Ohne massiven Ausbau der Windenergie in Europa wird es keine 100 Prozent Erneuerbaren geben. Dann können wir uns auch die Offensive bei den E-Autos sparen.
Drittens und nochmal: Weg mit den Windenergie-Bremsen, die Genehmigungspraxis muss entrümpelt und beschleunigt werden. Ein Windpark muss in einer Legislaturperiode eines kommunalen Parlaments geplant und gebaut werden können. Eine Genehmigung darf nicht länger als ein Jahr dauern, so lange haben wir im Klimawandel nicht mehr Zeit, ehrlich. Es geht nicht, dass ein einzelner Vogel einen ganzen Windpark verhindert, wenn die Population insgesamt wächst. Artenschutz gegen Klimaschutz auszuspielen wird den Arten nicht helfen, im Gegenteil.
Was das Auslaufen des EEG für 20 Jahre alte Anlagen angeht: Das ist eine komplizierte Sache, Ziel muss aber sein, ausnahmslos alle Anlagen am Netz zu behalten. Solaranlagen halten viel länger als 20 Jahre. Wir betreiben bei Green City mehrere solcher Anlagen, ich spreche aus Erfahrung. Wir können es uns nicht leisten, dass Wind- oder Solaranlagen jetzt wieder abgeschaltet werden.
Falls die stromwirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch nicht stimmen – Stichworte Mieterstrom, grüner Regionalstrom, Abstandsregeln in der Windkraft – dann brauchen wir ein kleines Nachfolge-EEG, also eine verlässliche Vergütung für die Altanlagen, die etwa kleine, aber notwendige Nachinvestitionen absichern.
Da reichen dann auch fünf Jahre, denn in den kommenden fünf Jahren wird die gesamte Stromwirtschaft so weit in Richtung Erneuerbare verändert sein, dass keiner mehr Altanlagen abschalten wird, weil – anders als heute – eine eigenständige Vermarktung des Stroms möglich ist. Mit einer solchen Brücke in die Zukunft bleibt dann noch genügend Zeit, diese Zukunft auszugestalten.
Bei Green City versuchen wir uns schon an dieser Ausgestaltung und bieten seit Kurzem den "Power2People-Tarif" an. Das ist ein Stromtarif, der alte Solaranlagen nach dem jeweiligen EEG-Ende am Netz behält. Wir kaufen den Solarstrom den Betreibern verlässlich ab, und unsere Stromkunden bekommen diesen nicht mehr geförderten Solarstrom aus ihrer Steckdose.
Ein solches Modell könnte die Zukunft sein: Viele Stromkunden sichern vielen Solaranlagen die Zukunft auch ohne die entsprechenden Gesetze. Also, auf gehts, Alt-Solarbetreiber und ihr Pioniere und Stromkunden, gehen wir gemeinsam in die Zukunft!
Das Ziel – sowohl bei der EEG-Novelle als auch bei Nachfolgeregelungen für Alt-EEG-Anlagen und bei unserem innovativen Solarstromtarif – ist immer: 100 Prozent Ökostrom bis 2035, denn sonst gelingt die Klimaneutralität bis 2050 auch nicht. Wir brauchen Tempo!
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Ich habe mich ehrlich gesagt gefreut, dass wir bei Green City in dieser Woche dank der Corona-Lockerungen mit der Rückkehr aus dem Homeoffice beginnen konnten. Wir haben zwar in den letzten Wochen wirklich perfekt virtuell miteinander gearbeitet – und dafür möchte ich mich auch bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich bedanken. Aber mir hat der persönliche Kontakt mit den Kollegen schon sehr gefehlt.
Natürlich wird die Arbeit im Büro auch bei uns erst ganz langsam und unter strengen Auflagen wieder anlaufen. Es ist aber ein kleiner Schritt in Richtung einer neuen Normalität.
Dazu gehört auch, dass es in der Green City Energy AG eine Veränderung im Vorstand gab. Mein Kollege Frank Wolf und ich werden ab sofort von Marcus Jentsch als Finanzvorstand unterstützt. Ich bin wirklich happy darüber, dass wir ihn mit seiner langjährigen Erfahrung in der Energiewirtschaft für unser Team gewinnen konnten und freue mich, dass wir jetzt mit ihm zu dritt an der Spitze unsere Projekte vorantreiben.
Fragen: Susanne Schwarz