Kopf eines Rotmilans mit markantem Schnabel in Seitenansicht, Aufnahme aus dem Hochwildschutzpark Rheinböllen.
Rotmilan (Milvus milvus). (Foto: DFSB/​Flickr)

Als Anfang September 2019, kurz vor dem Windgipfel von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Umweltverbände und Wirtschaft ein Zehn-Punkte-Papier zum Ausbau der Windenergie vorlegten, war der Naturschutzbund vorher aus dem Bündnis ausgestiegen. Bei einigen für den Naturschutz kritischen Punkten habe es Formulierungen gegeben, die Naturschutzbelange zu Kann-Vorschriften deklassierten, erklärte der Nabu damals sein Nein.

Bei dem heute allein von Umweltverbänden veröffentlichten Thesenpapier zur "Beschleunigung eines naturverträglichen Ausbaus der Windenergie" ist der Naturschutzbund wieder mit von der Partie – und das, obwohl das Papier dafür plädiert, im Interesse der Windkraft mehr "artenschutzrechtliche Ausnahmen nach dem Bundesnaturschutzgesetz" zuzulassen.

In der heiß gelaufenen Debatte um Windkraft und Vogelschutz hatte zum Beispiel die Fachagentur Windenergie davon gesprochen, Zahl und Höhe von Windkraftanlagen würden die Zahl der Rotmilane nicht beeinflussen. Andere Kritiker eines "überzogenen Artenschutzes" argumentierten, dass es darum gehen müsse, den Bestand einer Art zu schützen, aber nicht jedes einzelne Tier.

Im Naturschutzrecht auf EU- und Bundesebene gehe es grundsätzlich immer darum, Arten – also deren Populationen – gut zu erhalten, erläutert Nabu-Ornithologe Lars Lachmann gegenüber Klimareporter°. Dem Nabu sei es schon immer um den Erhalt der Populationen gegangen – bei der Windenergie seien jedoch das "einzige zur Verfügung stehende rechtliche Mittel die individuenbezogenen Verbote". Deswegen müsse bei Rechtsstreitigkeiten momentan immer "individuenbezogen" argumentiert werden, so Lachmann.

Möglich seien Ausnahmen vom Individuenschutz, wenn die Population ausreichend geschützt ist. "Diese Ausnahmen kann man aber nur nutzen, wenn man den Schutz der Populationen tatsächlich gewährleistet", stellt der Nabu-Experte klar. Dieses Herangehen habe man dem jetzigen Papier zugrunde gelegt.

Regelmäßige, quasi pauschale Ausnahmen vom Artenschutz – wie sie Windbranche und Politik fordern – darf es für den Nabu nur geben, wenn der Erhalt der Arten durch Schutzprogramme gesichert und im Rahmen eines Monitorings ständig überprüft wird. Sobald die Zahl der Ausnahmen zu einer Verschlechterung führt, dürfe es keine weiteren Ausnahmen geben, betont Lachmann. "Darauf werden wir als Umweltverbände achten."

Naturschutzverbände und Windbranche gegen 1.000-Meter-Abstand

Schätzungen, wie viel Fläche sich durch ein anderes Herangehen beim Artenschutz zusätzlich für die Windkraft erschließen lässt, können bisher weder die Umweltverbände noch die Windbranche liefern. Eine entsprechende Analyse sei in Arbeit, sagt Lachmann. Auf jeden Fall rechneten die Umweltverbände damit, dass mit geregelten Ausnahmen vom Artenschutz bei gleichzeitigem Populationsschutz Windparks besser geplant und vorhandene Windeignungsgebiete wirklich genutzt werden können.

Die sich nun abzeichnende Entspannung für die Windkraft dürfe aber nicht durch Einschränkungen an anderer Stelle zunichtegemacht werden, betonen die Umweltverbände – beispielsweise durch pauschale 1.000-Meter-Abstände zu Wohnbauten. Das könne Konflikte mit dem Natur- und Artenschutz wieder anheizen.

In dem Papier sprechen sich die Umweltverbände dafür aus, an Land jährlich 4.000 Megawatt Windkraft neu zu installieren. Vor allem diesen Punkt wertet der Windbranchenverband BWE als Signal, dass die "Energiewende von einer breiten Mehrheit unterstützt wird", wie BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm gegenüber Klimareporter° betont.

Auch für Axthelm gibt es keinen Grund für eine bundeseinheitliche Abstandsregelung. Solche restriktiven Eingriffe gefährdeten die Energiewende. Der Bund müsse nun die gesetzgeberischen Fesseln lösen, so Axthelm. Dafür könne der Bundeswirtschaftsminister beim Treffen im Kanzleramt heute Abend gemeinsam mit den Ländern einen Aufschlag machen.

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