Die kühlende Wirkung eines dichten Blätterdachs haben die meisten schon selbst einmal beim Spaziergang durch den Wald erlebt. Wenn sich die Baumkronen jedoch lichten, geht nicht nur der Kühleffekt zurück, auch das Ökosystem verändert sich. In der Klimaforschung wurde dies bislang nicht ausreichend berücksichtigt.
Forscher:innen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) sowie den Universitäten Cambridge und Jena haben nun die Klimaerwärmung unter dem Kronendach mit Zahlen unterlegt – und damit den Unterschied zum Freiland.
Herkömmliche Wetterstationen stehen in der Regel auf freiem Feld und messen die Temperatur in 1,5 bis zwei Metern Höhe. Die von ihnen gelieferten Daten zur Klimaerwärmung sind somit für Wälder nur bedingt aussagekräftig.
Das belegen die Untersuchungsergebnisse. Für die Studie wurde an 100 Orten die Temperatur im Waldesinneren gemessen und in einem Computermodell mit Daten über die Baumkronendichte von Wäldern kombiniert, die bis zu 80 Jahre zurückreichen. Die Studie wurde im Fachmagazin Science veröffentlicht.
Der Großteil aller landlebenden Tier- und Pflanzenarten weltweit ist in Wäldern zu Hause – und dort oft im Unterwuchs und auch im Boden. Dichte Baumkronen beeinflussen maßgeblich das Waldmikroklima. Waldgebiete kühlen in der Regel nachts weniger stark ab und begrenzen die Erwärmung der Luft im Laufe des Tages.
Wenn das Kronendach der Bäume aber lichter wird, lässt der kühlende Effekt nach – es wird sogar sprunghaft wärmer. "Das ist wichtig zu wissen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität zu verstehen", sagt der Waldökologe Markus Bernhardt-Römermann von der Uni Jena.
Alle Organismen – wie übrigens auch der Mensch – haben ein Temperaturoptimum, an das sie angepasst sind. Wenn die Durchschnittstemperaturen steigen, profitieren wärmeliebende Arten und verdrängen Arten, die an kühlere Bedingungen angepasst sind.
Weil das Temperaturoptimum von Waldorganismen jedoch deutlich unter den tatsächlich gemessenen Temperaturen liegt, befürchten die Forscher:innen, dass sich die Organismen nicht ausreichend auf die Klimaänderungen einstellen können.
"Sie passen sich nicht so schnell an die generell veränderten klimatischen Bedingungen an", sagt Bernhardt-Römermann. "Stattdessen leben viele Arten – in Bezug auf den globalen Klimawandel – in einem zunehmend suboptimalen Temperaturbereich."
Waldverjüngung wird beeinträchtigt
Die Gründe für solche Verzögerungen sind noch weitgehend unbekannt. Aber die Auswirkungen sind erheblich. Einst heimische Arten könnten von wärmeliebenden Arten verdrängt werden und möglicherweise lokal aussterben.
Tatsächlich hat sich der Kronenzustand bei allen Baumarten in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Wie der jüngste Waldzustandsbericht der Bundesregierung belegt, sind die Baumkronen lichter geworden und den Anteil der Bäume mit intakten Kronen ist rückläufig. Heute haben 36 Prozent aller Bäume lichte Kronen, 1984 waren es erst 23 Prozent.
Das ist auf ein Bündel an Ursachen zurückzuführen. Intensive Forstwirtschaft, massive Stickstoffeinträge, steigende Temperaturen infolge des ungebremsten Treibhausgasausstoßes sowie ausbleibende Niederschläge setzen die Wälder unter Druck.
Die Klimaforschung geht davon aus, dass Hitzewellen und Dürreperioden infolge steigender Durchschnittstemperaturen zunehmen werden. Dies wird auch die Artenvielfalt in den Wäldern verändern.
Die fortschreitende Erwärmung in den Forsten und Wäldern hat aber auch Einfluss auf die Bäume selbst. Die Temperaturveränderungen beeinträchtigen nachwachsende Bäume und somit die Fähigkeit des Waldes, sich selbst zu verjüngen. Waldökologe Bernhardt-Römermann warnt, dass viele Baumarten Schwierigkeiten bekommen werden.
"Eine zu starke Auflichtung des Kronendaches sollte – wo immer es möglich ist – vermieden werden", sagt er. Das verändere die Bedingungen im Waldesinneren und beeinflusse das gesamte Ökosystem.