Angela Merkel mit besorgtem Gesicht
Muss Angela Merkel jetzt mitansehen, wie ihre Klimapolitik von der eigenen Fraktion demontiert wird? (Foto/​Ausschnitt: EVP/​Flickr)

Als das jüngste Klimaschutz-Papier der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag am Wochenende bekannt und prompt kritisiert wurde, beschwichtigte die Fraktion. Mit der 13-seitigen Vorlage wolle man keineswegs vom "Green Deal" der EU-Kommission abrücken oder sich gegen die Erhöhung des EU-Klimaziels stellen. Liest man aber das Papier im Klimareporter° vorliegenden Wortlaut, drängt sich ein ganz anderer Eindruck auf.

"Eine klimaneutrale EU bis 2050 bleibt unser erklärtes Ziel" – das ist so ziemlich der einzige Satz im ganzen Positionspapier, bei dem die Unionsfraktion keinen klimapolitischen Rückzieher macht.

Schon das wichtigste Mittel zum Erreichen der Klimaneutralität – die Anhebung des EU-Klimaziels für 2030 von 40 Prozent CO2-Einsparung auf 50 bis 55 Prozent – stellt für die Abgeordneten von CDU und CSU eine "weitreichende Zielverschärfung" dar.

Aus ihrer Sicht ist nur der – bekanntlich nicht Paris-kompatible – Reduktionspfad, den Deutschland Ende 2019 mit dem Klimapaket beschlossen hat, "ökonomisch, technologisch und sozial verantwortbar." Und deshalb: "Eine Erhöhung des EU-Klimaziels für 2030 ohne Änderung am bestehenden Lastenverteilungsschlüssel lehnen wir ab."

Anders gesagt: Wenn die EU mehr Klimaschutz betreiben will, dann sollen das die anderen Länder allein stemmen, aber nicht Deutschland.

Für den Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer zeigt dieser Punkt besonders, wie weit die Unionsfraktion inzwischen von der notwendigen Klimapolitik entfernt ist. "Wir müssen mehr einsparen und es nicht auf andere abschieben", sagt Krischer.

Aber auch das eigene Einsparen will die Union durch Buchungstricks erleichtern. So setzt sich die Fraktion dafür ein, dass Deutschland sich "Klimamaßnahmen und Emissionsminderungen in Drittstaaten" anrechnen lassen darf.

Das zielt zum Beispiel auf Solarprojekte, bei denen in Nordafrika mit deutscher Hilfe "grüner" Wasserstoff hergestellt und nach Deutschland importiert werden soll. Das würde nicht nur hierzulande die Emissionen senken, weil fossile Brennstoffe ersetzt würden – obendrauf käme für die deutsche Einsparbilanz noch die mutmaßliche CO2-Minderung, die die ferne Solaranlage erbringt.

Hoher CO2-Preis "nicht verständlich"

Auffallend an dem gesamten Unionspapier ist vor allem, wie stark die Fraktion darauf setzt, den Marktkräften beim Klimaschutz freien Lauf zu lassen. So begrüßen es CDU und CSU, dass durch den Corona-Einbruch der Wirtschaft die Preise für CO2-Emissionsrechte sinken und die Kostenbelastungen für die Wirtschaft abnehmen.

"Es ist nicht verständlich, warum Grüne und SPD national einen möglichst hohen CO2-Preis einfordern", schreiben die Autoren und behaupten entgegen aller Erfahrung, dass marktwirtschaftliche Instrumente dazu führten, dass "CO2 dort eingespart wird, wo dies am kosteneffizientesten möglich ist". Wahr ist dagegen zunächst: Wenn die Emissionen fast nichts oder zu wenig kosten, wird erst einmal nichts eingespart.

Als schließlich "idealen Schlüssel" für einen weltweit erfolgreichen Klimaschutz sieht die Unionsfraktion einen "globalen Kohlenstoffmarkt" an. Die EU müsse daher mit Staaten und Regionen wie Kalifornien, Neuseeland und China, die bereits einen Zertifikatehandel haben, über eine Verknüpfung der Systeme verhandeln und zudem weitere Länder ermutigen, einen Zertifikatehandel einzurichten.

Das wäre noch begrüßenswert, wenn die konservative Fraktion sich nicht zugleich um die Entwicklung der sogenannten "Angebotsseite" des Kohlenstoffmarktes Gedanken machen und dazu recht umstrittene Ideen aus der Versenkung holen würde: "Wer negative Emissionen erzeugt, muss damit handeln und davon profitieren können (zum Beispiel Wälder, Moore, Humusaufbau – national wie international –; Biokraftstoffe, die Methanausbringung unterbinden und bilanziell negative Emissionen verursachen)", heißt es schwarz auf weiß.

Fraktion fällt ihrer Kanzlerin in den Rücken

Emissionen aller Art möglichst unreguliert handelbar zu machen, ist der Union augenscheinlich am wichtigsten. Klimaschutz-Standards stören da nur.

So wird in dem Papier der von der EU-Kommission erwogene CO2-Grenzausgleichsmechanismus, um CO2-lastig hergestellte "klimaschmutzige" Importe zu verhindern, abgelehnt. Dieser Mechanismus hätte "massive negative Auswirkungen auf die internationalen Handelsbeziehungen", wird gewarnt.

Der Grenzmechanismus würde, wie die Union zugleich betont, aber auch "hohe Risiken" für den Wirtschaftsstandort Deutschland bergen, wenn bei seiner Einführung zugleich bisherige Carbon-Leakage-Schutzmaßnahmen wegfielen – wie freie Zertifikatszuteilung, EEG-Entlastungen, Energiesteuerentlastungen und Strompreiskompensationen.

Freie Märkte sind nach Lesart der Union gut und schön, aber nur dann, wenn die bisherigen milliardenschweren Klima-Privilegien für Industrie und Wirtschaft erhalten bleiben.

Mit Klimaschutz hat all das wenig zu tun. Auch fällt die Unionsfraktion ihrer eigenen Kanzlerin in den Rücken. Merkel hatte beim kürzlichen Petersberger Klimadialog das EU-Ziel für 2030 begrüßt, die Emissionen gegenüber 1990 um 50 bis 55 Prozent zu reduzieren.

Nun hat die Klimakanzlerin selbst in den eigenen Reihen offenbar nichts mehr zu sagen.

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