Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).
Klimareporter°: Herr Sladek, die Erneuerbaren-Branche fordert, dass der Gesetzgeber noch unverzichtbare Gesetze verabschiedet wie die Umsetzung der RED-III-Richtlinie der EU oder die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes, um Genehmigungen bei Windkraft, Photovoltaik, Speichern, Offshore-Elektrolyse und Netzausbau zu beschleunigen. Stand jetzt wird davon nichts mehr beschlossen. Eine neue Regierung ist frühestens im Mai 2025 handlungsfähig. Droht uns ein halbes Jahr energiepolitischer Stillstand?
Sebastian Sladek: Es ist wirklich bedauerlich, aber spätestens mit dem Auseinanderfallen der Ampel-Regierung Anfang November war erwartbar, dass viele wichtige Gesetzesverfahren nun nicht mehr abgeschlossen werden.
Die aktuelle Regierung hat keine politische Mehrheit, das erschwert natürlich die Verabschiedung notwendiger Gesetze im Energiebereich erheblich. Vielleicht werden einzelne Teile der Energiewirtschaftsgesetz-Novelle verabschiedet wie die Absenkung der Direktvermarktungsschwelle oder Maßnahmen, um die Überlastung der Stromnetze durch Einspeisespitzen zu reduzieren.
Trotz Wahlkampfgetöse könnte es hier unter Umständen noch politische Mehrheiten geben. Ich kann mir auch vorstellen, dass einige Punkte, die auf europarechtlichen Vorgaben beruhen, beschlossen werden, wie zum Beispiel die Verpflichtung für Stromversorger, Festpreisverträge anzubieten.
Die größten Bauchschmerzen habe ich beim Umgang mit der RED-III-Richtlinie der EU. Ihre Umsetzung in Deutschland ist entscheidend für die Beschleunigung von Genehmigungen für wichtige Energiewendetechnologien. Genau an dieser Stelle bräuchte es jetzt politische Geschlossenheit. Ein Scheitern der RED-III-Umsetzung wäre ein schwerer Schlag für die Branche und die Energiewende.
Der Bundestag muss liefern, besonders bei der Genehmigungsbeschleunigung. Es wäre katastrophal, wenn hier nichts geschieht, weil das die gesamte Energiewende ins Stocken bringen könnte.
Ich appelliere eindringlich an die Opposition, diese Prozesse nicht zu blockieren. Die nächsten Monate sind entscheidend. Es liegt in der Verantwortung aller politischen Akteure, die notwendigen Schritte zu unternehmen, damit wir unabhängiger von fossilen Energieimporten werden.
Klar, die Herausforderungen sind groß, aber wir dürfen nicht den Mut verlieren. Die Transformation hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung ist nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern auch eine ökonomische Chance. Wir müssen jetzt die Weichen stellen, um langfristig erfolgreich zu sein.
Die Leute interessieren sich nicht für parteipolitisches Geplänkel, sondern erwarten von der Politik, dass sie entschlossen handelt und die notwendigen Rahmenbedingungen schafft. Gemeinsam und entschieden können wir die Energiewende meistern und gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen – sofern die parteipolitische Kindsköpfigkeit hintansteht.
2024 könnte mit 17.500 Megawatt einen neuen Solar-Ausbaurekord bringen. Der Zuwachs bei der Windkraft liegt allerdings um etwa ein Viertel unter dem des Vorjahres. Beim Biogas setzt sich die Stagnation fort. Ist die Energiewende ins Stocken geraten?
Der Zubau der Solarenergie hat sich in den letzten Jahren wirklich positiv entwickelt. Wir sollten alles dafür tun, diesen Trend nicht zu brechen.
Keine Frage, dass mit Blick auf das Ziel von mindestens 80 Prozent Erneuerbaren bis 2030 die zusätzlichen Photovoltaik-Mengen nun auch effizienter ins Gesamtsystem integriert werden müssen.
Ich bin allerdings skeptisch, ob alle von der Bundesregierung im aktuellen Entwurf des Energiewirtschaftsgesetzes vorgeschlagenen Maßnahmen so zielführend sind und immer auch die Wirtschaftlichkeit im Blick haben.
Grundsätzlich muss die Photovoltaik viel stärker als Teil des Stromdesigns der Zukunft gedacht werden. Das Energiesystem ist stärker in Richtung Flexibilität und Speicherung überschüssiger Strommengen zu entwickeln. Vor allem müssen die Netzbetreiber befähigt werden, ihre Netze schneller und einfacher auszubauen.
Die Windenergie sehe ich in der Tat als aktuelles Sorgenkind der Energiewende. Auch unsere Windparkprojekte sind mit vielen Problemen konfrontiert – etwa der lokale Widerstand der "Nimby"-Vertreter, die die Windräder nur nicht in ihrem Hinterhof – not in my backyard – haben wollen.
Dazu kommen leider auch einige öffentliche Flächeneigentümer, die horrende Pachtsummen für ihre Flächen verlangen. Die Gründe für die Windkraft-Probleme sind vielfältig.
Zwar hat der Gesetzgeber unter anderem durch die verpflichtende Ausweisung von Landesflächen für die Windenergie und der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren schon erste Schritte in die richtige Richtung unternommen. Aber ganz konkret fehlt uns bei den Projekten vor Ort die politische Unterstützung für unsere Vorhaben. Teilweise werden Behörden sogar explizit dafür eingesetzt, um Windprojekte zu verhindern. Hier muss es aus meiner Sicht dringend einen Kulturwandel geben.
Die Bioenergie genießt in der Bevölkerung in aller Regel eine hohe Akzeptanz. Dennoch gibt es auch Kritik an ihrem Einsatz – etwa wegen geringer Flächeneffizienz oder unzureichender Nachhaltigkeit. Der Gesetzgeber ringt seit 2022 um die Veröffentlichung einer sogenannten Nationalen Biomassestrategie, in der die künftige Anwendung des Energieträgers skizziert werden soll.
Bis heute liegt die fertige Strategie nicht vor und wir werden sie in dieser Legislaturperiode bestimmt auch nicht mehr zu sehen bekommen. Nicht nur die Bioenergiebranche – wir alle brauchen endlich mehr Gewissheit, wo die Reise hingehen soll.
Das Ergebnis der 29. Weltklimakonferenz in Baku ist ein Minimalkonsens, mit dem das komplette Scheitern des globalen Klimaschutzes verhindert wurde. Die 300-Milliarden-Einigung bei den Finanzen muss im kommenden Jahr auf 1.300 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Bei der Treibhausgasminderung gab es gar keinen messbaren Fortschritt. Hand aufs Herz: Interessiert so ein klimapolitisches Desaster in Deutschland noch jemand?
Die COP 29 hat bei Weitem nicht die notwendigen Entscheidungen gebracht. Die Staatengemeinschaft musste zudem verhindern, dass das zentrale Bekenntnis zur Abkehr von fossilen Energien durch Lobbyisten und Länder wie Saudi-Arabien verwässert wird.
In puncto Emissionsminderung waren meine Erwartungen an eine Weltklimakonferenz in der fossilen Autokratie Aserbaidschan tatsächlich überschaubar. Was soll man von einem Land erwarten, dessen Geschäftsmodell auf Öl und Gas beruht und dessen Präsident fossile Energien als "Geschenk Gottes" bezeichnet?
Auch wenn das Thema Klima gerade weniger präsent in der öffentlichen Debatte zu sein scheint – das Bewusstsein für die Klimakrise ist in der deutschen Bevölkerung unverändert hoch. Das zeigen so gut wie alle Studien.
Der Boom beim Ausbau der Erneuerbaren und die vielen lokalen Initiativen aus der Zivilgesellschaft sind ein klares Indiz, dass Bürgerinnen und Bürger sowie große Teile der Wirtschaft handeln, statt zu resignieren.
Beim kommenden Klimagipfel COP 30 in Brasilien geht es darum, dass alle Staaten ihre aktualisierten Klimapläne zum Erreichen der Paris-Ziele vorlegen. Der beste Beitrag, den Deutschland und die EU liefern können, liegt in unserem eigenen Interesse: ambitionierte Maßnahmen, die unsere eigene und die globale Zukunft sichern.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Immer wieder überraschend ist, wie lange ein toter Gaul sich doch reiten lässt. Die Darstellung einiger Medien, Wirtschaftsminister Habeck habe vor dem Atomausstieg 2023 bei seiner französischen Amtskollegin um Strom "gebettelt", ist ein neuer Tiefpunkt in der weiterhin künstlich befeuerten Atomdebatte und in der politischen Kultur.
Dass rechte Publikationen wie Cicero, Bild und Nius der Atomkraft das Wort reden und den Grünen maximalen Schaden zufügen wollen, ist sicher nicht überraschend. Erschreckend ist aber, wie sehr die Narrative verfangen und ein Teil unserer Medienlandschaft das Framing unreflektiert übernimmt.
Darum sei an die Fakten erinnert: 2022 standen weite Teile des französischen AKW-Parks wegen Wartungen und technischen Störungen still. Darum erkundigte sich der Wirtschaftsminister, ob Frankreich mit höherem Strombedarf aus dem europäischen Verbundnetz rechnet.
Es war also keine "Strombettelei", wie manche Zeitungen titelten, sondern die Sorge um die gesamteuropäische Versorgungssicherheit, die in diesem Brief geäußert wurde.
Es gibt so viele grundlegende Fakten, die in solchen Geschichten von weiten Teilen der Presselandschaft komplett ignoriert werden: dass das Auslaufen der Atomkraftwerke auf den Beschluss der schwarz-gelben Bundesregierung von 2011 zurückgeht und nur zufällig in die Amtszeit der Ampelregierung fiel.
Dass die letzten drei Atomkraftwerke am Ende nur drei Prozent der deutschen Stromversorgung ausmachten und ihr Fehlen weder auf die Strompreise noch auf die CO2-Emissionen in Deutschland einen negativen Effekt hatte.
Dass Atomkraftwerke immens komplex und aufwendig sind, sodass man sie nicht einfach so "weiterlaufen" lassen kann, sondern es dazu Sicherheitsprüfungen, qualifiziertes Personal und gegebenenfalls neuen Kernbrennstoff braucht.
Dass sich die Betreiber selbst seit 2011 auf das Aus vorbereitet haben und an einem Weiterbetrieb nicht interessiert sind. Dass der Weiterbetrieb enorm teuer käme und Aufwand und Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnis stehen.
Und über die Ewigkeitskosten habe ich noch gar nicht gesprochen.
Wenn also die konservative Medienwelt diese völlig korrekte Anfrage Habecks zu einem Skandal und zu einer Täuschung der Bevölkerung umdichtet und die Opposition ungeachtet aller Fakten diese Geschichte triumphierend weiterverbreitet, lässt das schon erahnen, wie schmutzig, geradezu trumpesk der bevorstehende Wahlkampf werden wird. Ich habe jetzt schon keine Lust mehr.
Fragen: Jörg Staude