Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, bei deutschen Bundesanleihen sieht der US-Vermögensverwalter Blackrock ein überdurchschnittliches Klimarisiko. Sind Sie überrascht?

Matthias Willenbacher: Überhaupt nicht. Blackrock-Chef Larry Fink hatte ja schon im Januar eine grundlegende Umgestaltung der Finanzwelt in Aussicht gestellt und eine klare Warnung an die globalen Konzernlenker ausgesprochen. Das Klimarisiko sei eben auch ein Anlagerisiko und deswegen werde Nachhaltigkeit zu einem wesentlichen Bestandteil der Portfoliokonstruktion und des Risikomanagements bei Blackrock.

Vor diesem Hintergrund ist der Schritt, deutsche Bundesanleihen nach unten zu gewichten, nur konsequent. Warum sollten sich Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit nur an Unternehmen richten? Auch staatliche Emittenten von Anleihen müssen den Bewusstseinswandel an den globalen Finanzmärkten, den Fink beschreibt, zur Kenntnis nehmen.

Und Deutschlands Klimapolitik kann – da darf man sich nichts mehr vormachen – im internationalen Vergleich nicht bestehen. Das allein wäre schlimm genug. Noch schlimmer wird es, wenn man sieht, dass auch die Staaten, die bei Blackrock besser abschneiden, nämlich Frankreich, Italien und Finnland, bei Weitem nicht genug tun, um die Klimakrise abzuwenden.

In jedem Fall aber gilt: Olaf Scholz und die gesamte Bundesregierung sollten die Entscheidung von Blackrock als unmissverständliches Signal verstehen: Wer keine anspruchsvolle Klimapolitik macht, der begeht viele Sünden. Eine davon ist, die internationale Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu verspielen.

Das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank torpediert den Klimaschutz, hat eine Studie von britischen Universitäten und Nichtregierungsorganisationen ergeben. Ist das klimaschädliche Portfolio der EZB ein Signal dafür, dass die betreffenden Anleihen bei anderen Interessent:innen weniger attraktiv werden?

Schön wäre es, aber dem ist nicht so. Das klimaschädliche Portfolio der EZB ist vielmehr ein weiterer trauriger Beleg, dass hinter den forschen Parolen, mit denen die Chefin Christine Lagarde seit ihrem Amtsantritt eine grüne Neuausrichtung der EZB einschließlich ihrer Anleihekaufprogramme angekündigt hat, gar nichts steckt.

Die EZB kauft seit Sommer 2016 Unternehmensanteile und muss dabei bestimmte Kriterien beachten. Dazu gehört auch eine gute Bonität. Die EZB kauft also beileibe keinen Ramsch – anders als vielleicht bei den Staatsanleihen. Sie verfolgt vielmehr das Ziel, die Finanzierungsbedingungen für europäische Unternehmen zu verbessern.

Das Problem ist schlichtweg, dass bei den Kriterien, die für die Entscheidung über den Kauf einzelner Anleihen angelegt werden, der Klimaschutz fehlt.

Das hat fatale Folgen: Unternehmen, die sich klimaschädlich verhalten, können sich leichter refinanzieren, Neuemissionen tätigen, Kapitalerhöhungen vornehmen und letztlich weiterwachsen. Und dies alles zu einer Zeit, in der in politischen Sonntagsreden das Hohelied auf Sustainable Finance gesungen wird.

Die einzige Hoffnung ist: In dieser Hinsicht sind nicht nur ansonsten reichlich skrupellose Marktakteure wie Blackrock weiter. Auch die Europäische Investitionsbank beweist sich immer mehr als Treiber einer Nachhaltigkeitswende im Finanzsektor. Vielleicht sollte Christine Lagarde also ein paar Nachhilfestunden bei ihren Luxemburger Kolleg:innen nehmen.

Vor zwei Monaten ist Exxon nach über hundert Jahren aus dem US-Aktienindex Dow Jones geflogen. Hängt das auch damit zusammen, dass der US-Ölmulti den Ölbedarf überschätzt?

Dass Exxon so fundamentale Probleme hat, hat sicherlich viele Ursachen. Die Wichtigste ist: Anders als BP, Shell oder Total, die seit Jahren an einer Klimastrategie arbeiten, hat Exxon hier erheblichen Nachholbedarf. Zudem hat das Unternehmen dramatische Fehlentscheidungen beim Fracking getroffen, für die es jetzt büßen muss.

Und, ja, von einem steigenden Ölbedarf auszugehen, war naiv. Das spricht sich jetzt auch in den USA herum. Der diesjährige Ausblick der IEA, der Internationalen Energieagentur, zeichnet nun auch endlich das Bild, das in Europa niemand mehr überrascht: Das Öl-Zeitalter geht zu Ende.

Unternehmen wie Exxon, die sich zu lange dieser Realität verweigert haben, haben deshalb wohl keine Zukunft mehr.

Am Dienstag wählen die USA ihren künftigen Präsidenten. Wie blicken Sie auf das Geschehen?

Es scheint so absurd, dass man es sich kaum zu sagen traut: Trotz der abenteuerlichen Klimapolitik des Präsidenten Trump haben die Erneuerbaren in den USA zuletzt einen echten Boom erlebt.

Das liegt zum einen sicherlich daran, dass die Amerikaner halt gute Geschäftsleute sind und deshalb alle ideologischen Scheuklappen ablegen, wenn die Preise so spektakulär nach unten purzeln, wie es bei Wind- und vor allem Solarenergie der Fall ist.

Zum anderen muss man auch sehen, dass Energiepolitik weitgehend Zuständigkeit der Bundesstaaten ist. Staaten wie Washington, Kalifornien, Oregon, Texas und Iowa haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht – ohne dass Trump dies hätte verhindert können.

Aber trotzdem ruhen natürlich meine Hoffnungen auf Joe Biden. Zwar ist an seinem Klima- und Energieplan so manches auszusetzen. Vor allem irritiert, dass er nicht wirklich klarmacht, was er unter "clean energy" versteht. Hier sind zu viele Hintertüren für Atomkraft und CCS offen.

Trotzdem wäre ein US-Präsident Biden für den weltweiten Kampf gehen die Klimakrise und für eine Energiewende hin zu 100 Prozent Erneuerbaren tausendmal hilfreicher als vier weitere Jahre Donald Trump.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Meine rheinland-pfälzische Landsfrau Julia Klöckner. Die Landwirtschaftsministerin stellt sich allen Ernstes vor den Bundestag und lobt den lausigen Kompromiss im EU-Agrarministerrat als "Systemwechsel" in Richtung Nachhaltigkeit.

Das muss man sich vorstellen: Während die EU endlich die überfällige Anhebung der 2030er-Klimaziele in Angriff nimmt, werden Natur- und Klimaschutz in der europäischen Agrarpolitik zurück in die Nische gedrängt. Als ob die Landwirtschaft nicht für zehn Prozent der CO2-Emissionen in Europa verantwortlich wäre – von den Verlusten bei der Artenvielfalt durch die konventionelle Landwirtschaft ganz zu schweigen.

Seit Jahrzehnten wird uns nun schon ein "Greening" der europäischen Agrarpolitik versprochen, und es passiert nichts. Stattdessen wird nun ein krankes System zulasten von Menschen, Umwelt, Klima, Tieren und Pflanzen mit über 400 Milliarden Euro Steuergeldern aufrechterhalten.

Und was tut die zuständige Ministerin und Agrarratsvorsitzende Klöckner? Etikettenschwindel betreiben, Fake News verbreiten und Politikversagen schönreden – etwas anderes fällt ihr nicht ein.

Ich traue ihr ja alles Mögliche zu, aber die Dreistigkeit, mit der sie die Rückschritte in der EU-Agrarpolitik als Durchbruch im Sinne des European Green Deal zu verkaufen versucht, hat selbst mich überrascht.

Fragen: Susanne Schwarz

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