Europaparlamentsgebäude in Straßburg
Die Abgeordneten im Europaparlament haben die Klima-Signale gehört – die Regierungen der 27 EU-Staaten offenbar noch nicht. (Foto/​Ausschnitt: Wikiolo/​Wikimedia Commons)

Um Europas Politikgeschehen zu verstehen, müssen wir in der Zeit zurückgehen. Ende 2019 stellte die neue EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen ihren "European Green Deal" vor. Die EU soll klimaneutral werden – bis 2050.

Das Herzstück dieses grünen Deals sollte das EU-Klimaschutzgesetz werden – und es sollte alles ganz schnell gehen.

Anfang März 2020 – rund vier Monate nach der Green-Deal-Ankündigung – legte die Kommission ein "Europäisches Klimagesetz" vor.

Zwölf Seiten sollten also die nächsten 30 Jahre Klimapolitik des größten Binnenmarktes der Welt bestimmen. Da musste zwangsläufig etwas fehlen.

Kern des Gesetzentwurfs war das Klimaziel für 2030 mit einer vorsichtigen Reduktion der CO2-Emissionen um 50 bis 55 Prozent gegenüber 1990 sowie der Festschreibung des Ziels "Klimaneutralität 2050". Das zögerliche Verhalten resultierte aus der heiklen Frage, wie viel die EU-Mitgliedsstaaten bereit sind mitzutragen.

Klimapolitik wird gern beklatscht, aber ungern gemacht. So ist es auch hier. Blumige Worte, wenig Substanz. Es herrschte Angst unter den Mitgliedsstaaten. Angst, die sich durch die Corona-bedingte Wirtschaftskrise noch verstärkte. Doch diese Panik ist fehl am Platz.

Zunächst übernahm das EU-Parlament das Gesetz und verhandelte im Akkord einen klimapolitischen Meilenstein: Im Oktober 2020 wurden ein Klimaziel für 2030 von minus 60 Prozent ohne irgendwelche Rechentricks sowie weitere Klima-Instrumente wie ein Treibhausgas-Budget oder das Verbot fossiler Subventionen beschlossen.

Ökonomische Bewertung stützt 60-Prozent-Ziel

Eine neue, heute veröffentlichte Bewertungsstudie der Managementberatung Cambridge Econometrics im Auftrag der Grünen-Fraktion stützt den 60-Prozent-Beschluss des EU-Parlaments. Danach würden durch einen Kohleausstieg bis 2030 nicht nur die Emissionen massiv sinken, die Wirtschaft würde auch kräftig wachsen – durch die deutliche Zunahme der Investitionen in erneuerbare Energien und Effizienz. Mehr als eine Million Jobs könnten dann entstehen, vor allem eben im Erneuerbaren-Sektor.

Auch die Verkehrswende kann endlich kommen. Denn der Verkehr würde bis 2030 elektrisch werden und die Klarheit bringen, die sich VW, Daimler und Co wünschen. Schluss mit dem Zickzack bei den Antrieben, das Rennen ist gemacht. Der Pkw der Zukunft wird elektrisch sein.

Das sagt nicht nur VW-Chef Diess, sondern auch das EU-Parlament. Dieser Investitions-Boost kann kommen, wenn sich die aktuelle Blockadehaltung des Ministerrats, der Vertretung der 27 Mitgliedsstaaten, löst und der Beschluss des Parlaments angenommen wird – sagt die Studie.

Michael Bloss

ist Verhandlungsführer der Grünen im Europäischen Parlament für das EU-Klimagesetz. 2019 wurde Bloss ins Europa­parlament gewählt. Sein Feld ist die Klimapolitik, unter anderem als Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Zuvor war der Stuttgarter nach einem entsprechenden Studium in Dresden und London im Bereich der inter­nationalen Entwicklungs­politik tätig, unter anderem für die UN.

Doch nicht nur die Studie von Cambridge Econometrics zeigt, wie wertvoll ein starker Klimaschutz für die europäische Wirtschaft und selbstverständlich auch für das Klima ist. Klimaschutz und Wirtschaft – das sind keine gegensätzlichen Pole mehr. Beides geht Hand in Hand.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, die Denkfabrik Agora Energiewende, das Umweltbundesamt – sie alle plädieren schon lange für einen massiven Ausbau der Erneuerbaren, für eine Sanierungswelle, für eine Mobilitätswende. Dafür braucht es einen Rahmen, den die Klimaziele liefern.

Auch die europäischen Bürger:innen fordern das seit Langem und tragen die Erneuerung der Wirtschaft mit, wie Umfragen zeigen. Doch während die USA zurück auf dem Klimaparkett sind, die Wirtschaft Klarheit fordert und hohe Klimaziele mitträgt, passierte bei der EU bislang wenig.

Mit Tricks und Zähneknirschen einigten sich die 27 EU-Staaten im vergangenen Dezember auf eine Treibhausgas-Minderung um 55 Prozent – netto. Fachleuten zufolge bedeutet das nach bisheriger Rechenart ein reales Minus von 52 Prozent. Endlich konnten die Verhandlungen beginnen.

Doch fast fünf Monate nach dem Beschluss des Parlaments stellt sich mehr und mehr die Frage: Wo ist denn nun das Klimagesetz?

EU-Staaten blockieren

Nun, es steckt in den Verhandlungsmühlen der EU fest. Anders gesagt: Die EU-Staaten wollen mit den Vorschlägen des Parlaments wenig anfangen. Weder beim Verbot fossiler Subventionen noch beim Recht auf Klimaschutz sieht der Ministerrat Handlungsbedarf und kommt dem Parlament entgegen.

Beim Klimaziel für 2030 herrscht bedrücktes Schweigen. Der vorgeschlagene wissenschaftliche Klimarat ist den EU-Staaten ein Dorn im Auge und beim Treibhausgas-Budget stellen sie mehr Fragen, als sie Antworten liefern können. Dabei sollte doch alles schnell gehen.

Es droht ein Scheitern der Verhandlungen, ein Scheitern des grünen Deals von Ursula von der Leyen, ihres Megaprojekts – während draußen die Klimakrise weiter Fahrt aufnimmt.

Das Zögern des EU-Ministerrats überrascht leider wenig. Während das Parlament die Stimmen der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Bürger:innen ernst nimmt und dem Klimanotstand gerecht wird, werden in intransparenten Hinterzimmerverhandlungen des Rates Absprachen getroffen, die fatal sind.

Inmitten der Corona- und Klimakrise geht es mit der europäischen Wirtschaft steil bergab, Millionen haben ihren Job verloren oder sind in Kurzarbeit. Investitionen werden vertagt, was die Abwärtsspirale beschleunigt. Die Treibhausgas-Emissionen knickten zwar Corona-bedingt ein, doch droht dieser Effekt durch das Anheizen der fossilen Industrie wieder zu verpuffen.

Dabei ist die Ausgangslage perfekt. Die EU hat ein 1,8 Billionen Euro schweres Corona-Paket geschnürt. 40 Prozent der Gelder sind für Klima-Investitionen vorgesehen. Damit sollen somit idealerweise der Ausbau der Erneuerbaren, mehr Energieeffizienz und weitere Klimaprojekte finanziert werden. Geld ist also da, doch bei den Klimazielen herrscht Panik.

Das muss nicht sein, wie die neue Studie zeigt. Angst ist immer ein schlechter Ausgangspunkt für etwas Neues. Deshalb ist es an der Zeit, endlich Mut zu zeigen, die Klima-Flagge zu hissen, sich der Klima- und Corona-Krise zu stellen und den Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität mit einem starken Klimaziel für 2030 anzugehen.

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