Grafik: Eine Pflanze, die aus einem Haufen Geldscheine wächst
Grafik: Kristin Rabaschus

"ESG" auf allen Kanälen: Die Europäische Union setzt darauf, die Bundesregierung tut es, und auch für Industrie, Banken und Fondsbranche hat das Kürzel derzeit eine hohe Priorität.

Es steht für die englischen Begriffe environment (Umwelt), social (Soziales) und governance (gute Unternehmensführung). Allerdings ist vieles, was heute unter dem Gütesiegel "ESG" angeboten wird, bestenfalls Greenwashing.

Vieles aber auch gute Absicht, und manches zeigt bereits Wirkung – vor allem, weil es im wohlverstandenen wirtschaftlichen Interesse vieler Unternehmen liegt, ihre Geschäftsmodelle nachhaltig auszurichten.

"Nachhaltiges Wirtschaften ist nicht nur eine ethische, sondern auch eine unmittelbar ökonomische Frage", analysiert der internationale Beratungsriese KPMG. Hierzu bringt die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrem jüngsten Finanzstabilitätsbericht einen ganz neuen Zungenschlag in die Diskussion ein.

Der Finanzstabilitätsbericht erscheint zweimal im Jahr. Die EZB schätzt darin Stabilität und Krisenfestigkeit des Finanzsystems im Euroraum ein. Nun versuchten die Zentralbanker in Frankfurt am Main erstmals eine Analyse der Auswirkungen des Klimawandels auf Banken, Fonds und Versicherungen.

Fazit: Die EZB sieht vergleichsweise hohe Risiken aus dem Klimawandel. Die Gefahren könnten bis zu rund einem Drittel des Kreditengagements von Banken gegenüber Unternehmenskunden außerhalb des Finanzsektors betreffen, schreibt die Notenbank.

Dabei gilt es zum einen physische Risiken zu beachten. Beispielsweise könnte eine Fabrik, die durch einen Kredit der Bank X finanziert wurde, künftig zu nah an einem Fluss liegen, der infolge häufigerer Starkregen über die Ufer treten könnte.

Zu berücksichtigen sind zum anderen sogenannte transitorische Risiken durch Regulierungen. So könnten Staaten übergroße Pkw verbieten. Banken, die Aktien von Autokonzernen besitzen, drohten dann erhebliche Verluste.

"Die Richtung ist klar – Ambition und Tempo fehlen"

Rund 80 Prozent ihrer Kredite haben die Banken der Eurozone an Firmen vergeben, für die zumindest eines der möglichen Klimarisiken von Bedeutung ist, die also beispielsweise von Hagelschlag oder Waldbrand bedroht sind.

Mit ihrer ersten inhaltlichen Analyse setzt die Europäische Zentralbank ihre Auseinandersetzung mit dem Klimawandel fort. Im Januar hatte sie bereits den Aufbau eines Kompetenzzentrums zu Klimafragen beschlossen.

Die etwa zehnköpfige neue Einheit soll mit bestehenden Teams aus unterschiedlichen Bereichen der Zentralbank zusammenarbeiten und direkt an EZB-Präsidentin Christine Lagarde berichten.

Kritik an den Anfängen einer grünen Geldpolitik kommt nicht nur von Nichtregierungsorganisationen. "Die Richtung ist klar – doch es fehlen Ambition und Tempo", bemängelt auch Pierre Monnin vom Council on Economic Policies (CEP), einer Denkfabrik in Zürich. Der von der EZB ins Auge gefasste Zeitrahmen von drei bis fünf Jahren für die Umsetzung werde der Dringlichkeit des Themas nicht gerecht.

EZB-Präsidentin Lagarde behält jedoch die Ruhe. Im Januar 2020 hatte sie die Überprüfung der geldpolitischen Strategie angekündigt. "Bei unserer Strategieüberprüfung untersuchen wir (auch), wie und in welchen Bereichen sich der Klimawandel und seine Bekämpfung konkret auf unsere Politik auswirken können."

Immerhin besitzt die Bank bereits Klimarisikokennzahlen für einen Großteil der Unternehmensfinanzierungen. Doch müssten in der neuen geldpolitischen Strategie – die alte geht auf das Jahr 1998 zurück – auch Themen wie Staatsverschuldung, Wohnkosten oder Corona berücksichtigt werden. In der zweiten Jahreshälfte will die Notenbank das Ergebnis bekannt geben.

Weniger fossile Anleihekäufe würden bereits wirken

Aus dem deutschen Sachverständigenrat ("Fünf Weise") wurde die Sorge geäußert, dass die Zentralbank "ihr Mandat ins Politische überdehnt". Schließlich agiert die EZB unabhängig von Regierungen, Parlamenten und Politik. Und sie ist laut Maastrichter Vertrag allein der Geldwertstabilität verpflichtet.

Die Geldwertstabilität, also nur mäßig steigende Preise, könnten allerdings mittelfristig durch einen ungebremsten Klimawandel gefährdet werden.

Dass die klimapolitische Aufgabe der EZB nicht ausufern muss, darauf weist die Zentralbank der Zentralbanken, die in Basel beheimatete Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), in einer Untersuchung hin. Danach ist lediglich ein Prozent der CO2-intensivsten Unternehmen für rund 40 Prozent der gesamten Emissionen verantwortlich.

Der Finanzökonom Dirk Schoenmaker schlägt daher für den schnellen Anfang eine "moderate Umschichtung" der Anleihekäufe der EZB vor: Die Zentralbank könnte relativ mehr Wertpapiere von Unternehmen mit geringer CO2-Intensität kaufen und entsprechend weniger von Unternehmen mit hoher CO2-Intensität. Als Maßstab ließe sich das BIZ-Umweltrating verwenden.

Der Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam geht davon aus, dass mit diesem Ansatz die CO2-Emissionen im Portfolio der EZB schon um mehr als die Hälfte sinken würden. Damit wären zwar noch nicht die "realen" Emissionen der Unternehmen verschwunden, aber der ökonomische und finanzielle Druck auf die Konzerne würde weiter wachsen. Auf allen Kanälen.

Anzeige