Konferenzpräsident Michał Kurtyka springt vor die versammelten Delegationschefs und lässt sich und das Ergebnis des Gipfels feiern. (Foto: Benjamin von Brackel)

Mit 17 Stunden Verspätung schaltete Michał Kurtyka am Samstagabend um halb zehn das Mikrofon im großen Plenarsaal auf der UN-Klimakonferenz in Katowice ein und verkündete: "Es ging hier nicht nur darum, Texte zu produzieren, oder um nationale Interessen, sondern es ging um das Wohl der Erde und der zukünftigen Generationen, die uns ablösen werden."

Und weiter: "Unsere Kinder werden eines Tages zurückschauen und zum Schluss kommen, dass ihre Eltern die richtigen Entscheidungen getroffen haben."

Was Kurtyka meinte, war das Regelwerk für das Pariser Klimaabkommen, das bestimmen soll, wie die Staaten der Erde in Zukunft Klimaschutz zu betreiben haben. Bis zuletzt hatten Länder wie Brasilien und die Türkei aus unterschiedlichen nationalen Interessen die Verhandlungen blockiert, konnten aber mit Zugeständnissen und Interventionen von höchster Stelle nach Stunden umgestimmt werden.

Als Kurtyka den Hammer hob und um Zustimmung zum Kompromiss um den Gipfelbeschluss und das Regelwerk bat, schaute er nach links, dann nach rechts – und seine Gesichtszüge froren ein, als ihm zugeflüstert wurde, dass Indiens Verhandlungsführer einen Redebeitrag angemeldet habe.

Der indische Delegationschef meldete Bedenken an, kündigte aber zur Erleichterung aller Teilnehmer an, diese nur schriftlich einzureichen.

Katowicer Klimapaket füllt "Rohbau" des Paris-Abkommens

Damit war das sogenannte Katowicer Klimapaket samt Regelwerk beschlossen, an dem drei Jahre lang gearbeitet worden war. Es gibt den Rahmen vor, wie in der kommenden Dekade die Staaten ihre Klimaschutzbeiträge organisieren müssen.

"Vor fünf Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass China, die USA und Indien alle akzeptieren, sich den gleichen Regeln zu unterwerfen", sagte Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan gegenüber Klimareporter°. "Dass wir nun das Regelwerk haben, ist von grundlegender Bedeutung für das Pariser Klimaabkommen."

Die letzte Hürde

Etwa 16 Stunden, nachdem das Abschlussplenum der Klimakonferenz eigentlich hätte beginnen sollen, versuchte die Türkei die Ungeduld und Erschöpfung aller Beteiligten auszunutzen und packte ihr Lieblingsthema noch mal auf den Tisch. Sie will nicht mehr als Industrieland gelten, sondern formal wieder Entwicklungsland sein, um sich Zugang zu Geld aus dem Grünen Klimafonds zu verschaffen. Schon das Eröffnungsplenum der Klimakonferenz hatte die Türkei mit dem Anliegen um Stunden hinausgezögert.

Nach etwa einer weiteren Stunde, um kurz nach neun Uhr abends, war der Spuk vorbei. Aus Kreisen der deutschen Delegation war zu hören, dass Deutschland, Frankreich, Gastgeber Polen und die Vereinten Nationen einen Deal mit der Türkei ausgehandelt hätten: die Aufgabe der Blockadehaltung auf der Klimakonferenz für Zugeständnisse "in einem anderen Bereich". Alden Meyer von der Union of Concerned Scientists zufolge wurde das Problem nicht nur in einem Hinterzimmer in Katowice gelöst. "Weltbankchef Jim Yong Kim und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben sich eingeschaltet."

Das Klimaabkommen entspricht einem Rohbau, dessen Innenausbau nun durch das "Katowicer Klimapaket" erfolgt. Dieses legt fest, wie die Klimapläne der Länder aussehen müssen, wie sie über deren Erreichung zu berichten haben und wie die Weltgemeinschaft das kontrollieren kann.

Dabei konnte inbesondere die Zweiteilung der Welt in Industrie- und Entwicklungsländer überwunden werden: Ab 2024 gelten für alle Länder die gleichen Regeln, außer für Zwergstaaten wie Tuvalu und für die 47 ärmsten Länder der Welt.

"Positiv überraschend" fand der Leiter der Schweizer Delegation, Franz Perrez, auch die Regeln zur Kontrolle der Zielerreichung: Hier kann das verantwortliche Gremium von sich aus tätig werden, was lange umstritten war.

Das Thema Klimafinanzierung entpuppte sich in Katowice als erstaunlich wenig kontrovers: Die Industriestaaten sagten zu, unverbindlich über ihre Zukunftspläne bei den Klimahilfen zu berichten. Außerdem haben sich die Länder darauf geeinigt, wie die Buchhaltungsregeln für diese Hilfen aussehen sollen.

Zudem wurde ein Prozess in Gang gesetzt, um darüber nachzudenken, welche Mittel die Entwicklungsländer nach dem Jahr 2025 überhaupt benötigen, um ihre Volkswirtschaften an den Zielen des Paris-Abkommens auszurichten. Damit wurde ein Paket geschnürt, in dem sich Vertreter von Hilfsorganisationen wie Harjeet Singh von Action Aid ebenso wiederfinden konnten wie die von Geberländern wie der Schweizer Perrez.

Singh lobte etwa die Buchhaltungsregeln und Perrez betonte, dass es nicht nur um öffentliche Gelder gehe, sondern auch um die Umleitung der globalen Finanzströme zugunsten des Klimaschutzes.

Regeln zum Zertifikatehandel vertagt

Beim Handel mit CO2-Zertifikaten, den "Märkten", herrschte gar Übereinstimmung: Sowohl Umweltorganisationen als auch europäische Regierungen waren froh, ein "schlechtes Resultat" (Perrez) verhindert zu haben.

Hier hatten sich alle Länder der Welt auf Regeln geeinigt, um die doppelte Anrechnung von Emissionsreduktionen zu verhindern, doch Brasilien legte sich quer. Daraufhin versuchte sich Kurtyka an einem Kompromiss, angelehnt an den brasilianischen Vorschlag.

"Das wäre ein Desaster gewesen", sagte Alden Meyer von der US-Wissenschaftsorganisation Union of Concerned Scientists. Nach stundenlangen Verhandlungen am Samstagnachmittag einigten sich die Länder dann aber auf eine Vertagung des Themas auf nächstes Jahr.

Probleme ergeben sich dadurch allerdings für Fluggesellschaften. Diese wollen ihre Emissionen auf dem Niveau des Jahres 2020 deckeln, indem sie zusätzliche Emissionen mit Zertifikaten kompensieren. Für dieses System werde es "kritisch", sagte Dirk Forrister, Chef der Internationalen Emissionshandelsgesellschaft IETA, denn "ohne Einigung auf die Marktregeln wird die Vorbereitungszeit knapp".

Beim 1,5-Grad-Bericht des Weltklimarats IPCC und dem erforderlichen Ehrgeiz beim Klimaschutz war das Bild hingegen gemischt. Gebru Jember Endalew, Sprecher der ärmsten Länder der Welt und Chef der äthiopischen Delegation, sagte: "Es ist mehr als enttäuschend, dass nicht alle Länder hier in Katowice den IPCC-Bericht zu 1,5 Grad begrüßt haben. Wir können dessen Ergebnisse nicht ignorieren."

Auf der anderen Seite lobte Harjeet Singh von Action Aid die Regeln zur globalen Bestandsaufnahme, in denen auch die Verluste und Schäden durch den Klimawandel berücksichtigt werden. Die Bestandsaufnahme ist Teil des Mechanismus, der dafür sorgen soll, dass sich die Staaten nach und nach schärfere Klimaziele geben.

Der Konflikt geht also im Jahr 2019 weiter – auf der 25. UN-Klimakonferenz in Chile.

Man kann es allerdings auch positiver formulieren. "Heute ist ein großer Tag", erklärte EU-Klimakommissar Miguel Arias Cañete zum Ergebnis von Katowice, das er als "exzellent" bezeichnete. "Jetzt ist Zeit, das Pariser Klimaabkommen in die Tat umzusetzen. Heute fangen wir an, den Ehrgeiz in der Welt zu steigern."

UN-Generalsekretär Antonio Guterres sprach nach dem Gipfel von einem "soliden" Ergebnis. Allerdings müsse der CO2-Ausstoß nun auch tatsächlich zügig und stark gesenkt werden, der Klimawandel sei nach wie vor "schneller als wir".

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, Katowice habe in geopolitisch schwierigen Zeiten gezeigt, "dass es sich lohne, beharrlich an einem globalen Konsens zu arbeiten."

Umweltschützer lobten zwar auch, dass es mit dem Regelwerk nun eine Basis für die Umsetzung des 2015 geschlossenen Paris-Vertrags gebe, zeigten sich aber enttäuscht von den schwachen Ambitionen. "Ein Jahr voller Klimakatastrophen und einer eindringlichen Warnung von den besten Wissenschaftlern der Welt hätten zu viel mehr führen sollen", sagte Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan.

"Anzuerkennen, dass mehr Ehrgeiz nötig ist, und Regeln für den Klimaschutz zu verabschieden, ist nicht mal annähernd genug, wenn ganzen Nationen die Auslöschung droht."

Lesen Sie dazu den Kommentar von Christian Mihatsch: Paris-Abkommen hat Test bestanden

Alle Beiträge zur Klimakonferenz COP 24 in Polen finden Sie in unserem Katowice-Dossier

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