Aysel Osmanoglu. (Bild: Patrick Tiedtke/​GLS)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Aysel Osmanoglu, Vorstandssprecherin der GLS Bank.

Klimareporter°: Frau Osmanoglu, in Bonn ging die Zwischenkonferenz zum Weltklimagipfel in Dubai zu Ende. In Dubai sollen die Staaten erstmals Rechenschaft ablegen, wie sie ihre Klimaverpflichtungen, die sogenannten NDCs, eingehalten haben. Selbst wenn alle Länder diese NDCs erfüllen, würde sich die Erde um etwa 2,8 Grad erwärmen. Ist der Klimagipfel da nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Aysel Osmanoglu: Diese absoluten Fragestellungen empfinde ich als schwierig. Wir verdanken dem Format der UN-Klimakonferenzen völkerrechtlich bindende Klimaziele, die 2015 in Paris vereinbart wurden. Vor drei Jahren lautete die Prognose noch auf vier Grad Erderhitzung bis 2100 – jetzt sind wir bei 2,8 Grad.

Mir ist es wichtig, den Fokus auf etwas anderes zu legen: Was braucht es, damit Fortschritte erzielt werden? Wie übernehmen wir Verantwortung für Staaten, die am meisten unter den Folgen der Klimakrise leiden? Wie schaffen wir es, die Wirtschaft einzubinden?

CO2-intensive Branchen profitieren im Jahr 2023 noch immer von ihren Geschäftsmodellen, während Entwicklungsländer mit den Kosten der Klimaanpassung kämpfen. Hier muss eine Umverteilung stattfinden.

Konkret bedeutet das, dass der zugesagte Fonds für Verluste und Schäden, der Loss and Damage Fund, endlich mit Leben erfüllt werden muss. Die Industriestaaten befinden sich dabei nicht in der Position, über Bedingungen zu verhandeln. Sie sind Hauptverursacher der Schäden, also sind sie auch für die Folgen verantwortlich.

Und schließlich müssen die Lobbyisten der fossilen Konzerne endlich ihren Einfluss verlieren. Ganz besonders den Klimakonferenzen sollten sie fernbleiben. Letztes Jahr in Ägypten waren mehr von ihnen beim Klimagipfel als Vertreter:innen der zehn am meisten von der Klimakrise betroffenen Staaten.

Es muss sich also noch vieles ändern, vor allem bei der Geschwindigkeit und der Verbindlichkeit gegenüber den Ländern im globalen Süden. Ich kann den Frust vieler Menschen nachvollziehen, ärgere mich selbst auch häufig. Gleichzeitig halte ich es für zu einfach, dem Format der Klimagipfel pauschal die Daseinsberechtigung abzusprechen.

Zwanzig Jahre nach der großen Hitzewelle von 2003 soll in Deutschland endlich eine öffentliche Infrastruktur entstehen, um die Zahl der Hitzetoten und -geschädigten zu senken. Gesundheitsminister Lauterbach und Vertreter:innen der Branche haben Bund, Länder und Kommunen aufgefordert, verbindliche Hitzeaktionspläne aufzustellen. Warum ist Deutschland hier so spät dran?

Ja, ein nationaler Hitzeschutz ist überfällig. Seit 2003 hat es viele Hitzewellen gegeben und Hitze ist eines der größten Gesundheitsrisiken in der Klimakrise. Einerseits ist es also zu begrüßen: Der Gesundheitsminister sieht die Realität und kümmert sich spät, aber immerhin um eine Anpassungsstrategie.

Gleichzeitig bedaure ich bei solchen Diskussionen um Klimaanpassung, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Wir bekämpfen Symptome, nicht Ursachen. Leider müssen wir aber weiterhin an beidem arbeiten – sowohl alles für den Klimaschutz tun als auch die Anpassung an die bereits stattfindende Erhitzung voranbringen.

Für Städte gibt es schon so viele gute Konzepte, die in einen Hitzeaktionsplan hineingehören: Begrünung, öffentliche Wasserstellen, Rückbau von Parkplätzen und versiegelten Flächen zugunsten von Bäumen und Grünflächen, weniger Autos und Feinstaub, nachhaltige Baustoffe und durchdachte Architektur.

Ich würde mir wünschen, dass der nationale Hitzeplan umfassend und ganzheitlich gedacht wird.

Expert:innen aus aller Welt beraten ab Donnerstag in Paris über eine Reform der internationalen Finanzarchitektur. Das Gipfeltreffen wird von der französischen Regierung und der indischen G20-Präsidentschaft ausgerichtet. Neben der Reform des Finanzwesens stehen auch Klimafinanzierung und Schuldenkrise auf der Agenda. Was erwarten Sie von dem Gipfel?

Perspektiven des globalen Südens müssen endlich einen höheren Stellenwert erhalten. So wie die internationale Finanzarchitektur aktuell ausgestaltet ist, werden die ärmsten Staaten am stärksten benachteiligt.

Zuletzt war das deutlich in der Coronakrise zu beobachten: Der Weltwährungsfonds IWF als Teil der internationalen Finanzarchitektur hatte Gelder bereitgestellt, um die Folgen der Pandemie zu bekämpfen. Durch die IWF‑Quotenregelung erhielten Industriestaaten einen größeren Anteil als Entwicklungsländer, für die diese Zahlungen essenziell waren und sind.

Die Verknüpfung von Wirtschaftsstärke und Einflussnahme innerhalb der internationalen Finanzarchitektur muss relativiert werden.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Aktion von Greenpeace vor der Deutschen Bank hat mich sehr beeindruckt. Der Protest appellierte an die Bankenbranche, Verantwortung für ihre Finanzflüsse zu übernehmen. Das wünsche ich mir in der breiten Finanzwirtschaft: genau hinschauen, ehrlich kommunizieren und endlich klare Regeln für echte Nachhaltigkeit etablieren.

Fragen: Jörg Staude

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