18-stöckiges Holzhochhaus
Im März wurde im norwegischen Brumunddal ein 18-stöckiges Holzhochhaus fertig. Holzbauten kommen mit weniger Technik und weniger Dämmung aus und haben eine viel bessere CO₂-Bilanz als Beton. (Foto: Øyvind Holmstad/​Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Herr Pfeifer, Deutschland bekommt ein neues Gebäudeenergiegesetz, kurz GEG, das die bisherigen Gesetze und Verordnungen vereinheitlichen und zusammenführen soll. Ist das eine Erleichterung für Architekten und Bauherren?

Günter Pfeifer: Der BDA, der Bund Deutscher Architekten, hat den Entwurf Ende Mai zur Stellungnahme bekommen und auch an mich weitergeleitet. Wenn ich mir die 182 Seiten ansehe, habe ich nicht den Eindruck, dass das eine Erleichterung darstellt.

Meine Hauptkritik ist aber strukturell: Die Gesetzgebung betrachtet den Energieverlust eines Hauses von innen nach außen. Deshalb dämmen wir und versuchen, alles so dicht wie möglich zu machen. Teilweise geht es so weit, dass man gezwungen ist, künstlich Luft einzuführen.

Auf dieser Struktur ist die Gesetzgebung aufgebaut. Die Ansprüche wurden im Laufe der Jahre erhöht, die Dämmstärke immer dicker. Dabei haben wir sehr viel Energie aus der Sonne und auch in der Erde zur Verfügung. Wieso nutzen wir sie nicht? Dämmungen verhindern das Eindringen solarer Energie.

Heute gibt es Simulationsprogramme, mit denen man die Energieeinträge für jeden Standort und die individuellen Begebenheiten vor Ort – beispielsweise Verschattung durch Bäume oder Bebauungen – berechnen kann. Diese Methode richtig angewendet führt zu anderen architektonischen Konzepten.

Die Baustoffe müssen dann auch so gewählt werden, dass sie solare Energie aufnehmen und speichern können. Ziegelstein kann das zum Beispiel, Beton nicht.

Im Grunde genommen gibt es noch gar keine klimagerechte Architektur. Wir bauen wie immer, nur mit dem Unterschied, dass wir Dämmung draufkleben. An dieser Herangehensweise ändert auch das Gebäudeenergiegesetz nichts.

In dem Referentenentwurf werden die Energieeffizienz-Vorgaben im Vergleich zu den bislang geltenden Regelungen, etwa der Energieeinsparverordnung EnEV, nicht verschärft. Eigentlich ist man sich doch einig, dass im Gebäudebereich mehr im Sinne des Klimaschutzes passieren muss: Bis 2050 soll der Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral sein. Wie passt ein Gesetzentwurf dazu, der die Effizienz nicht erhöht?

Man sollte sich nicht ausschließlich um die Effizienz kümmern, sondern um eine grundsätzlich andere Herangehensweise, um ein Gebäude CO2-neutral bewirtschaften zu können. Heute sind doch Techniken verfügbar, um klimaneutral zu heizen, zum Beispiel Luft-Luft-Wärmepumpen, die mit Ökostrom betrieben werden. Damit wird das Dämmen nahezu obsolet.

Im Bereich Bauen muss grundsätzlich in Richtung CO2-Freiheit umgesteuert werden. Das blendet das Gebäudeenergiegesetz aber völlig aus.

Ein Hauptargument gegen energetisches Bauen lautet, dass es dadurch teurer werde. Und das in Zeiten, in denen dringend bezahlbarer Wohnraum in Städten geschaffen werden muss. Ist diese Sorge berechtigt?

Wenn man das architektonisch löst, wird es überhaupt nicht teurer. Indem man zum Beispiel solare Gewinne mit einbaut, kann man Gebäude bauen, die mit wenig Technik auskommen. Und zum Lüften kann man auch die Fenster aufmachen, statt eine Belüftungsanlage einzubauen.

Porträtaufnahme von Günter Pfeifer.
Foto: privat

Günter Pfeifer 

ist freier Architekt und emeritierter Professor an der Technischen Universität Darmstadt, Fachgebiet Entwerfen und Wohnungsbau. Pfeifer ist Mitautor des Positionspapiers "Das Haus der Erde – Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land", das der Bund Deutscher Architekten Ende Mai beschlossen hat.

Die Kosten dieser technischen Maßnahmen, nicht nur in der Anschaffung, sondern auch in der Wartung, sind zum Teil so hoch, dass sie durch die Einspareffekte nicht wieder hereingeholt werden. Das Gebäudeenergiegesetz setzt überall auf technische Finessen, die nur noch Gebäudetechniker verstehen.

Wir müssen weg von den Hightech-Ideen, hin zum intelligenten Einsatz von Architektur. Die Beispiele aus der autochthonen Architektur rund um den Globus können uns gute Anregungen geben. Mein Credo ist: Diese Vorbilder müssen wir neu transformieren. Heute ist dies mithilfe der Simulationstechnologien noch viel präziser möglich.

Können sich durch anderes Bauen auch positive wirtschaftliche Effekte ergeben?

Mit dem Gebäudeenergiegesetz nicht. Dazu müsste so eine Verordnung ergebnisoffen angelegt sein und auch andere Methoden unterstützen. Es gibt aber darüber hinaus noch ganz andere wichtige Themen. Dazu gehört die Dekarbonisierung der Baumethoden.

Es wird zu viel in Beton gebaut. Dabei können wir auch mit Holz bauen, sogar Hochhäuser. Holzbau ist zwar etwas teurer als Beton. Er ist aber auch gesünder, recycelbar und kommt mit weniger Technik und weniger Dämmung aus. Betonbauten haben eine viel schlechtere CO2-Bilanz als Holzbauten.

Ebenso wird die "graue Energie" noch gar nicht beachtet: Wenn wir einrechnen, wie viel graue Energie in den verwendeten Materialien eines Gebäudes steckt – von der Rohstoffgewinnung über Produktion und Transport bis zur Konstruktion –, müsste der Abriss eigentlich ausgeschlossen sein.

Sicher müssen wir Methoden entwickeln, um alte Gebäude energetisch zu verbessern und sie zeitgemäß umzugestalten. Vor allem aber brauchen wir ein Verfahren zur Bewertung der ökologischen Gesamtbilanz von Bestandsbauten.

Der BDA hat kürzlich ein Positionspapier für klimagerechte Architektur herausgebracht, an dem Sie beteiligt waren und in dem auch einige der bereits angesprochenen Punkte enthalten sind. Was bezwecken Sie damit – und wie realistisch ist es, dass damit die radikalen Veränderungen angestoßen werden, die Sie fordern?

Im Grunde ist das Papier eine Kritik an unserer eigenen Profession. Vor zehn Jahren haben wir ein Klimamanifest verfasst, in dem wirklich gute Sachen stehen, als Selbstverpflichtung für Architekten und Stadtplaner. Die Wirkung war aber leider sehr gering. Die Dämmung ist dicker geworden, aber die Architektur hat sich nicht weiterentwickelt.

Das neue Papier gibt auch Anregungen für die Politik. Aber machen wir uns nichts vor: Bis zur Umsetzung ist es noch ein weiter Weg. Ein Problem besteht darin, dass der Wohnungsbau im Innenministerium angesiedelt ist, Energieeffizienz im Wirtschaftsressort und die Quartiersentwicklung bei der Landwirtschaft. Man muss das aber alles im Zusammenhang denken.

Architekten fordern Abkehr vom Wachstum

Der Bund Deutscher Architekten hat Ende Mai auf seinem Jahrestreffen in Halle einen programmatischen Aufruf zu einem Paradigmenwechsel in Architektur und Bauwesen beschlossen. Unter dem Titel "Das Haus der Erde" plädiert der BDA in dem Positionspapier für eine Abkehr vom Wachstumsgedanken und ruft Architekten und Stadtplaner auf, für ein Lebensverständnis mit dem Schwerpunkt im Wiederverwenden, Umnutzen, Nachnutzen und Mitnutzen einzutreten.

Unter anderem soll die "Intelligenz des Einfachen" die technische Aufrüstung zu "intelligenten Gebäuden" ersetzen und der Verzicht auf fossile Materialien an die Stelle der Energieeffizienz treten. Mobilität soll als konzeptionelle Aufgabe von Architekten und Stadtplanern verstanden werden. Die Polyzentraliät der Bundesrepublik soll gestärkt werden. Eine Kultur des Experimentierens soll helfen, Ideen für klimagerechte Lebensweisen zu erproben.

Wir werden die ganze Stadt umbauen müssen. Architektur, Stadtplanung, Landschaft und Freiraum sowie die komplexe Neuordnung der Mobilität gehören ebenso dazu wie alle damit verbundenen sozialen Aspekte.

Gibt es beim Bauen einen Trend zu dem, was im Positionspapier als "einfach intelligent" bezeichnet wird, also eine Abkehr von smarter Gebäudetechnik und übermäßiger Dämmung?

Ich sehe schon einen leichten Trend in Richtung einfache Architektur. Das Thema bekommt in letzter Zeit mehr Aufmerksamkeit. Das liegt auch daran, dass viele Wohnungsbaugesellschaften Angst vor den ganzen Wartungskosten haben. Es gibt viele Probleme, vor allem beim Passivhausstandard, was den Austausch von Technik, die Beschaffung von Ersatzteilen et cetera betrifft.

Sie fordern in dem Papier auch, dass beim Bauen nur noch vollständig wiederverwertbare oder kompostierbare Materialien verwendet werden. Sind solche Materialien überhaupt in den erforderlichen Mengen verfügbar?

Ich denke, ja. Es gibt bereits Gebäude, die man in allen Teilen demontieren und wiederverwerten kann. Auch Betonwände kann man, fachgerecht zerlegt, wieder verwenden.

In Zukunft brauchen wir Baukonstruktionen, bei denen die technischen Ausstattungskomponenten gemäß ihrer jeweils unterschiedlichen Lebenszyklen so getrennt sind, dass sie ohne große Maßnahmen ausgewechselt werden können. Die unter dem Begriff Cradle to Cradle bekannte Methode muss viel stärker ins Bewusstsein der Bauindustrie kommen.

Vielleicht bekommt Nachhaltigkeit beim Bauen ja Aufwind, weil weltweit bereits der Sand für Beton knapp wird ...

Ja, wir steuern auf ein richtiges Rohstoffproblem zu. Dann schlägt die Stunde der nachwachsenden Baustoffe. Die fangen bei Holz an und hören bei Seegras noch lange nicht auf. Man kann die verrücktesten Sachen mit natürlichen und nachwachsenden Baustoffen machen!

Wie wichtig sind denn gesetzliche Rahmenbedingungen, damit ein Paradigmenwechsel, wie ihn das Positionspapier ausdrücklich fordert, eintreten kann?

Im Bausektor haben Pragmatiker die Oberhand. Ich stoße ganz selten auf Bauherren, die bereit sind, etwas abseits des Mainstreams zu tun. Die Gewinnmaximierung spielt auch eine große Rolle. Deshalb braucht es Instrumente, die das steuern, und das geht nicht ohne Gesetze. Das Gebäudeenergiegesetz ist also wichtig.

Ich würde mir nur wünschen, dass es, wie eingangs gesagt, die energetischen Betrachtungen nicht nur von innen nach außen, sondern auch andersherum in den Blick nimmt und sich auf die CO2-Bilanz ausrichtet. Letzteres ist der Paradigmenwechsel, den wir erreichen wollen.

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