Wien will "Klimamusterstadt" sein. Die ungebrochenen Pläne der Stadt zum Bau der "Stadtstraße" sowie der hohe Anteil von Erdgas in der Wärmeversorgung sprechen noch eine andere Sprache. Letzteres zumindest soll sich ändern. Wien will 2040 klimaneutral sein.
Die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in der Hauptstadt Österreichs immer deutlicher zu spüren. Die Anzahl der Hitzetage und Tropennächte nimmt statistisch gesehen extrem zu, sagt die Stadtklimatologin Magdalena Holzer. Dementsprechend müssen neben konsequenten Maßnahmen zum Klimaschutz auch solche zur Klimaanpassung ergriffen werden.
Sprühnebelduschen und ähnliche "coole" Stadtmöbel sind zwar in aller Munde. Ob sie tatsächlich gegen Hitze helfen oder nur öffentlichkeitswirksam inszeniert sind, ist oft schwer einzuordnen.
Holzer befasst sich professionell mit dem Stadtklima. Bei der Firma Weatherpark berät sie Städte und Gemeinden, aber auch Bauträger und Architekt:innen. Sie geht der Frage nach, wie Stadtentwicklung mit den klimatischen Veränderungen in Einklang gebracht werden kann. Dafür arbeitet sie immer wieder mit der Stadt Wien zusammen.
Sicher ist: Den Klimawandel kann man nicht ungeschehen machen. "Wir versuchen in der Stadtplanung, das Maximale rauszuholen. Die Erwärmung können wir aber bei Weitem nicht zu hundert Prozent abpuffern", erklärt Holzer.
Fehlende Bewertungsgrundlagen
Zudem gibt es viele Zielkonflikte, und das Klima ist ein Konfliktfeld unter vielen. Die Anpassung an den Klimawandel sei in Wien aber "definitiv stark verankert", weiß Holzer aus ihrer täglichen Arbeit.
So versuche die Stadtverwaltung, in Bauausschreibungen Klimaresilienz von den Projektwerbenden einzufordern. Das Problem dabei: Es gibt noch keine festgelegten Kennzahlen und Prozessabläufe als Bewertungsgrundlage. Ein Problem, das andere Verwaltungen ebenfalls haben.
In Wien vernebeln aber auch zahlreiche Positionspapiere, Strategieverlautbarungen und Vorhabensberichte den Blick darauf, wo es konkrete Pläne und Maßnahmen gibt und was nur Absichtserklärungen sind: "Urban Heat Islands (UHI) – Strategieplan Wien" oder Stadtentwicklungsplan 2025 oder Klimafahrplan 2040 oder "Smart Klima City Strategie".
"Teilweise gibt es ambitionierte Ziele, aber gleichzeitig noch nicht explizit genug formulierte Pläne", sagt Holzer. Sie sieht viele Fragezeichen: Welches Budget steht bereit? Für welchen Zeitraum? Wer ist zuständig? Wie wird ausgeschrieben und bewertet?
Auch bei der Vielzahl an involvierten Behörden und zuständigen Magistratsabteilungen ist schwer durchzublicken. Holzer: "Da ruht meine Hoffnung auf der Bereichsleitung für Klimaangelegenheiten."
Diese neue Stabsstelle bündelt alle Agenden des Klimaschutzes und der Klimaanpassung der Zwei-Millionen-Stadt. "Das ist ein wichtiger Schritt, um den ganzen Prozess zu steuern, um Monitoring und Evaluierung der Anpassungsmaßnahmen zu betreiben", sagt die Stadtklimatologin.
"Bäume sind immer besser als technische Lösungen"
Was die konkreten Methoden der Klimawandelanpassung angeht, findet Holzer: "Jede Maßnahme ist besser als keine." Vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen komme es aber darauf an, den optimalen Mix an Maßnahmen für den jeweiligen Standort zu finden.
"Was die gewünschte Reduktion der gefühlten Temperatur angeht, zeigt Beschattung durch schöne, großkronige Bäume die größte Wirkung", betont die Klimatologin. Bäume haben noch viele weitere positive Effekte wie Verdunstungskühlung und Sauerstoffproduktion, sind Schadstofffilter und CO2-Speicher.
"Bäume sind immer besser als technische Lösungen", sagt Holzer. Das hat auch Wien erkannt. "Bis 2025 werden 25.000 neue Stadtbäume gepflanzt, davon mindestens 3.000 Bäume an mindestens 500 neuen Standorten", verkündet die Stadtverwaltung.
Wichtig sei, wie viel Wurzelraum die Jungbäume hätten, merkt Magdalena Holzer an. "Werden sie als Schwammstadtbäume gepflanzt? Wo also die Chancen hoch sind, dass sie viele Jahre leben und eine Größe erreichen, wo sie die ausgeprägten mikroklimatischen Effekte haben, die wir uns wünschen?" Oder ist die Pflanzung eher nur symbolisch, weil die Bäume nach wenigen Jahren vertrocknen, wie zuletzt auch berichtet wurde?
Baumpflanzungen nach dem Prinzip der Schwammstadt – das meint vor allem den Raum unter dem Pflaster: ein größerer Schotterkörper, der von Bäumen durchwurzelt werden kann und als Regenwasserspeicher fungiert.
Eine Pflanzung als Schwammstadtbaum ist aber nicht immer möglich. Rohre, Leitungen und dergleichen schränken die Möglichkeiten häufig ein. Wo und wie viele Bäume tatsächlich nach dem Schwammstadt-Prinzip gepflanzt werden, ist auch in Wien nirgends einsehbar.
In der Praxis geht der Bodenverbrauch weiter
Österreich ist ein europäischer Spitzenreiter bei der Bodenversiegelung. Jeden Tag wird landesweit eine Fläche von 7,5 Hektar versiegelt.
Die Stadt Wien rühmt sich dabei, den geringsten Bodenverbrauch des Landes zu haben. Der Wiener "Klimafahrplan" setzt sogar für 2040 das Ziel: "Alle Wiener:innen haben innerhalb von 250 Metern Zugang zu qualitätsvollem Grünraum oder einer grünen Straße."
Bei Projekten wie der Versiegelung eines Sportplatzes in Wien-Leopoldstadt oder dem Bau der Stadtstraße kommt aber auch Holzer ins Grübeln. "Ich stehe jeglicher Art von Bodenversiegelung eher kritisch gegenüber." Die Stadt habe sich viele hohe Ziele gesetzt. "Ich finde, man muss sich diese sehr konsequent zu Herzen nehmen, um sie auch wirklich zu erreichen."
Wichtig wäre für Holzer, auch tiefer liegende Probleme anzugehen wie die Wiener Stellplatzverpflichtung. Die schreibt vor, dass für 100 Quadratmeter neu gebauten Wohnraum jeweils ein neuer Auto-Parkplatz geschaffen werden muss. Für jeden nicht eingerichteten Stellplatz wird eine Gebühr von 12.000 Euro fällig.
Kommt die Gemeinde Wien so wirklich "raus aus dem Asphalt", wie sie es sich auf die Fahnen geschrieben hat?
Mit Bauwerksbegrünung will die Stadt auf sichtbare Maßnahmen setzen. Holzer findet das "positiv, auch optisch". Wenn dies aber die einzige Maßnahme zur Abkühlung wäre und auch nur bei Neubauten angewendet würde, sei das zu kurz gegriffen.
Regenwasser zu wertvoll fürs Kanalnetz
In den Medien stark diskutiert wurden die "coolen Straßen", ein Projekt der ehemals in Wien mitregierenden Grünen. Nachdem die Partei 2020 aus der Stadtregierung gewählt wurde, kam auch das Motto unter die Räder. Weitere Straßen, in denen hitzebedingt der Autoverkehr vorübergehend gesperrt wurde, soll es nicht geben.
Geblieben sind im Stadtgebiet über tausend Trinkbrunnen, hundert Sprühnebelduschen und noch mehr Standorte mit Wasserfontänen. Die großräumigen mikroklimatischen Effekte gehen allerdings gegen null, sagt Holzer.
"Aber das aktive Abkühlen mit Wasser hat für Menschen auch einen Erlebnisfaktor", räumt sie ein. In Kombination mit anderen Maßnahmen könne das die Lebensqualität durchaus steigern. Vor allem bei Kindern sind die Wasserspiele sehr beliebt.
Wasser wird auch künftig ein wichtiges Thema bleiben. Magdalena Holzer zufolge setzen Unwetter, Starkregenereignisse und zunehmende Versiegelung die Infrastruktur unter Stress, während Hitzewellen und Trockenperioden die Wasservorräte belasten.
Intelligentes Regenwassermanagement werde damit immer wichtiger. Unversiegelte Flächen, naturnahe Maßnahmen und das Schwammstadt-Prinzip könnten zur Lösung beitragen.
"Niederschlagswasser ist zu wertvoll für die Einleitung in das Kanalnetz", sagt Holzer. "Zur zusätzlichen Bewässerung von Pflanzen wird in Österreich bisher fast ausschließlich Trinkwasser verwendet." Eine ausreichende Speicherung von Regenwasser biete die Möglichkeit, in Trocken- und Hitzeperioden auf die Bewässerung mit Trinkwasser zu verzichten.
Ein Forschungsprojekt von Holzer unter dem Titel "Pro Bach" untersucht Möglichkeiten, in die Kanalisation verbannte einstige Wienerwaldbäche abschnittsweise wieder an die Oberfläche zu holen. Kleine Naherholungszonen sollen entstehen. Von einer Umsetzung ist die Idee allerdings noch weit entfernt.
Fehlt der Mut?
Wie ist Wiens Klimawandelanpassung in Summe zu beurteilen? "Wenn die Stadt es schafft, alle Ziele zu erreichen, die sie sich gesetzt hat, dann ist sie gut unterwegs", meint Holzer. Das Thema Anpassung tangiere viele Bereiche, viele Verwaltungsstrukturen seien involviert, die Herausforderungen seien vielfältig.
Das erkenne sie an, sagt die Klimatologin. "Ich befürchte aber, dass die Klimaanpassung in der Realität dann oft nicht die mutige Prioritätensetzung erfährt, die sie in den ganzen Zielsetzungen und Strategiedokumenten hat."
Der Beweis, dass Wien eine Anpassungs-Musterstadt ist, muss noch erbracht werden.