Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Aysel Osmanoglu, Vorstandssprecherin der GLS Bank.
Klimareporter°: Frau Osmanoglu, über Energiewende und Effizienz diskutieren Politik und Öffentlichkeit viel. Suffizienz hingegen – also die Begrenzung des Konsums gemäß natürlicher Grenzen – ist vielfach noch ein Fremdwort.
Für den Wohnsektor hat das Wuppertal Institut Suffizienzpolitik vorgeschlagen: Wohnungstausch statt Neubau oder auch Gemeinschaftswohnen. Wie wichtig finden Sie derartige Konzepte?
Aysel Osmanoglu: Suffizienz ist wesentlich für die Transformation. Es ist ein Konzept, das auf einer einzigen simplen Frage beruht: Was brauche ich wirklich? Allein schon, wenn jede und jeder von uns sich einmal mit dieser Frage beschäftigt, setzt das einen Prozess in Gang.
Suffizienz kann beim Wohnen und in vielen anderen Bereichen die Lösung überhaupt sein. Dieses Konzept ermöglicht es uns, vom materiellen Wachstum wegzukommen und gleichzeitig ohne Verzicht zu mehr Gemeinschaftsgefühl zu kommen.
Es gibt bereits viele Unternehmen, die sich aktiv für Suffizienz und nachhaltigen Konsum einsetzen. Bei den Unternehmen, die die GLS Bank 2022 finanziert hat, sind es 83 Prozent.
Finanzinstitute können gezielt Gemeinschaftskonzepte fördern. Die GLS Bank hat zum Beispiel bestimmte Indikatoren festgelegt, die solche Gemeinschaftslösungen erleichtern. Dazu gehören Quartiere, in denen einfacher Wohnungstausch möglich ist. Außerdem gilt das Prinzip "Sanierung vor Neubau". Das ließe sich für den gesamten Wohnsektor übertragen.
Beim kürzlichen Jahrestreffen wurden die Aufgaben der Weltbank neu definiert. Statt ihre Tätigkeit allein auf die Überwindung der Armut zu richten, soll sie nun auch auf die Erhaltung eines "lebenswerten Planeten" achten. Ist das eine gute Entscheidung oder geht das am Ende auf Kosten der Armutsbekämpfung?
Armutsbekämpfung und Klimaschutz sind für Banken wie für Staaten zwei Seiten einer Medaille. Ob nachhaltige Investitionen in erneuerbare Energien, biologische Landwirtschaft, ressourcenschonende Produktion, saubere Lieferketten oder faire Arbeitsbedingungen – all das sind sowohl Maßnahmen gegen die ungebremste Klimaerhitzung als auch mittelbare Sozialprogramme.
Die Klimakrise trifft zuerst die, die nicht vor ihr flüchten oder sich an sie anpassen können – meist also diejenigen ohne Geld. Deshalb ist Klimaschutz auch eine zutiefst soziale Frage und kann nicht losgelöst davon diskutiert werden.
Die Weltbank tut gut daran, mit mehr Mitteln beide Ziele zu verfolgen. Es ist auch folgerichtig, dass reiche Staaten mehr Geld dafür geben. Sie tragen historisch eine Verantwortung für die aktuelle Klimakrise, haben Ressourcen über die planetaren Grenzen hinaus ausgebeutet und dadurch Reichtum angehäuft.
Die von der Klimakrise am heftigsten betroffenen Menschen haben dagegen kaum zu ihr beigetragen.
Der US-Senator Bernie Sanders war auf Vortragstour in Berlin. Er sprach auch über die wachsende Schere zwischen Arm und Reich. So ist in den USA das Vermögen von drei Milliardären so groß wie das der gesamten ärmeren Hälfte der Bevölkerung. In Deutschland sind es die 36 reichsten Menschen, die so viel besitzen wie die ärmere Hälfte.
Bietet eine nachhaltige Transformation auch die Möglichkeit, an dieser Ungleichheit etwas zu ändern?
Eine nachhaltige Transformation ist anders gar nicht möglich. Transformation heißt nicht nur, innerhalb planetarer Grenzen zu wirtschaften, sondern auch, stabile soziale Fundamente zu haben.
Ohne eine ausgewogene Vermögensverteilung gelingt die Transformation nicht. Wenn die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht, stimmt auch in unserem Wirtschaftssystem etwas nicht.
Wir wissen auch, dass die Treibhausgasemissionen der reichsten Menschen am höchsten sind – pro Kopf und insgesamt. Um der Klimakrise als Gesellschaft zu begegnen, müssen wir als Gesellschaft funktionieren, deshalb braucht es Wertschätzung und Fairness und eine Demokratisierung bei der Erfüllung der menschlichen Grundbedürfnisse wie Wohnen und Lebensmittel.
Dabei helfen können ein Transformationsgeld und politische Rahmenbedingungen. Kann die Transformation die Ungleichheit ändern, fragen Sie. Meine Antwort: Ja, wir brauchen dafür aber auch eine Transformation der Wirtschaftsweise. Sonst wird uns eine nachhaltige Gesellschaftsentwicklung nicht gelingen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Am Donnerstag fand in Düsseldorf die größte Demo für Soziales seit Jahren statt. Ich finde es ermutigend, dass sich bis zu 25.000 Menschen auf den Weg gemacht haben, um für die Fundamente unserer Gesellschaft einzustehen.
Was sind diese Fundamente? Auch und vor allem jene Menschen, die zum Beispiel in Kitas, Pflege- und Gesundheitseinrichtungen für andere Menschen da sind.
Fragen: David Zauner