Im Stadtpark wächst kein Gras mehr: Hitzewellen wie 2018 wird es künftig öfter geben, aber Tausende von Hitzetoten wie damals sollen vermieden werden. (Bild: Mark Ramsay/​Wikimedia Commons)

Zu den überall im deutschsprachigen Internet und besonders auf kommunalen Websites zu findenden "Hitze-Knigges" hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine ziemlich klare Meinung. Es sei "eine Unart", klagte er am Montag in Berlin, wenn ein großes Problem, das staatliches Handeln erfordere, durch das Vorhalten einer Internetseite erledigt werden solle.

Den Schutz vor Hitze als etwas zu betrachten, wofür jede und jeder Einzelne verantwortlich ist, sei Teil des Problems, kritisierte Lauterbach weiter. "Das ist eine Fehleinschätzung der Situation." Für den Minister steht der Staat in der Mitverantwortung für einen angemessenen Hitzeschutz. Viele Betroffene seien nicht einmal in der Lage, das Risiko richtig einzuschätzen.

Mit der angeprangerten "Unart" will zumindest die Gesundheitsbranche anfangen aufzuräumen. So veranstaltet die Bundesärztekammer am Mittwoch zusammen mit dem Pflegerat und der Allianz für Klimawandel und Gesundheit einen sogenannten "Hitzeaktionstag".

Die Zahlen, die das Hitze-Bündnis dazu am Dienstag bei einem gemeinsamen Medienauftritt präsentierte, sind nicht neu. Im letzten Sommer waren demnach bundesweit 4.500 hitzebedingte Todesfälle zu beklagen, im Rekordsommer 2018 waren es 8.700. Hitze ist zurzeit das größte durch den Klimawandel bedingte Gesundheitsrisiko, wurde erneut betont.

Hitze belaste verletzliche Gruppen wie ältere und kranke Menschen oder Kinder nicht nur körperlich, festzustellen sei auch eine Zunahme psychischer Erkrankungen, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt. Es gebe zwar eine zunehmende politische Debatte um den Hitzeschutz, aber bislang keine entsprechenden Maßnahmen in der Praxis, bedauerte der Mediziner.

Hitzeperioden werden nach Schweregrad eingeteilt

Vorbild beim Umgang mit Hitze ist für Minister Lauterbach eindeutig Frankreich. Das Land habe schon nach der Hitzewelle des Jahres 2003 einen nationalen Hitzeplan aufgelegt, lobte Lauterbach. An dem Plan wolle er sich eng orientieren und ihn für Deutschland adaptieren.

Kern des Hitzeplans sind, wie Lauterbach erläuterte, bestimmte Schweregrade, nach denen Hitzeperioden eingeteilt werden. Darauf bauen entsprechende Schutzpläne in den Gesundheitseinrichtungen, aber auch in den Kommunen auf – mit klaren Zuständigkeiten. So lassen sich besonders gefährdete Menschen gezielt erreichen.

Ab einer bestimmten Warnstufe darf dann beispielsweise kein Schulsport mehr im Freien stattfinden oder bestimmte Arbeiten unter freiem Himmel sind nicht länger erlaubt. Die nötigen Strukturen, um all dies zu veranlassen und umzusetzen, seien aber in Deutschland bisher nicht vorhanden, beklagte das Hitze-Bündnis am Montag.

Um den Aufbau eines solches Systems anzustoßen, will Lauterbach schon in der nächsten Woche Einladungen zu einer konzertierten Aktion an Kommunen, Gesundheitsbranche, Ärzteschaft und Pflegeeinrichtungen verschicken.

Für den Gesundheitsminister ist dabei auch klar: Über Appelle und Informationen hinaus muss es konkrete Angebote wie Kälteräume oder öffentliche Trinkbrunnen geben. Darüber werde er mit Städten und Gemeinden sprechen, sagte Lauterbach.

Allein schon die öffentliche Präsenz solcher Angebote bringe das Problem stärker ins Bewusstsein, ist er sich sicher. Die Bundesregierung sei hier auch zu Investitionen bereit, hob Lauterbach hervor. Schätzungen über die zu erwartenden Kosten gibt es aber noch nicht.

Hitzeschutz als Pflichtaufgabe bei der Klimaanpassung

Dauerhafter Hitzeschutz funktioniert nach Ansicht der Gesundheitsfachleute nicht ohne gesetzliche Vorschriften. "Wir fordern einen klaren gesetzlichen Rahmen für gesundheitlichen Hitzeschutz auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene", verkündete dazu am Montag Martin Herrmann, Chef der Allianz für Klimawandel und Gesundheit, eines Netzwerks aus Organisationen und Verbänden.

Hitzeschutzmaßnahmen müssten als Pflichtaufgabe verankert, Zuständigkeiten und Kompetenzen geregelt werden, sagte Herrmann.

Für den einstigen Arzt reicht der Hitzeschutz letztlich bis in den Katastrophenschutz hinein. Flächendeckende Hitzewellen könnten sich zu sogenannten Großschadensereignissen entwickeln, warnte Hermann. Für das Ausrufen eines Hitzenotstands gebe es in Deutschland bisher keinen Plan, obwohl es jederzeit zu stärkeren Hitzewellen kommen könne.

Nach Ansicht der Gesundheitsfachleute muss der Hitzeschutz im besten Fall als Pflichtaufgabe im kommenden Klimaanpassungsgesetz festgeschrieben werden. Darüber werde er mit der Bundesumweltministerin reden, sagte Lauterbach auf Anfrage.

Wie das Bundesumweltministerium das sieht – auf eine entsprechende Anfrage gab es bisher noch keine Antwort.

Unbeantwortet bleibt an diesem Dienstag auch die Frage, warum Deutschland 20 Jahre brauchte, um sich bei der Hitzevorsorge dem Stand von Frankreich anzunähern. Immerhin ist aber wahrscheinlicher geworden, dass Hitze nicht mehr nur mit bestem Badewetter assoziiert wird.

Ergänzung: Auf die Anfrage von Klimareporter°, ob im derzeit in Arbeit befindlichen Klimaanpassungsgesetz die Erstellung von Hitzeaktionsplänen als kommunale Pflichtaufgabe verankert werden wird, antwortet das Bundesumweltministerium erst nach Veröffentlichung des Beitrages zunächst mit dem Hinweis, dass das Ministerium bereits im Jahr 2017 "Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit" veröffentlicht hat, die in gemeinsamer Zusammenarbeit des damaligen Bundesumwelt- und -gesundheitsministerium sowie den Umwelt- und Gesundheitsressorts der Länder erstellt wurden.

Der aktuelle Entwurf zu einem Bundes-Klimaanpassungsgesetz befinde sich zur Zeit in der Ressortabstimmung, dem Ergebnis der ressortinternen Verhandlungen könne nicht vorgegriffen werden, teilt das Ministerium weiter mit.