Flugzeug fliegt in die Abendsonne
Klimaschutz in weiter Ferne: Die Airlines fliegen nach Corona wieder renditereichen Zeiten entgegen. (Foto: Gerhard Gellinger/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr Grebenjak, das Fliegen ist in den letzten Jahren zunehmend in Verruf geraten. Wie problematisch ist es tatsächlich für das Klima?

Manuel Grebenjak: Der Flugverkehr hat einen ganz wesentlichen und extrem schnell wachsenden Anteil an den globalen Emissionen und ist derzeit für etwa fünf bis acht Prozent der Erderhitzung verantwortlich.

Zusätzlich zum CO2 haben auch andere von Flugzeugen ausgestoßene Substanzen wie Stickoxide und Wasserdampf eine große Klimawirkung. Emissionen werden in großer Höhe ausgestoßen, wo sie noch schädlicher sind.

Fliegen ist vor allem aus Klimagerechtigkeitssicht sehr problematisch: Schätzungen zufolge haben nur fünf bis 20 Prozent der Weltbevölkerung jemals in einem Flugzeug gesessen, für den Großteil der Emissionen sind aber einige wenige Vielflieger:innen verantwortlich.

Zusätzlich ist der Flugverkehr der am schnellsten wachsende klimaschädliche Sektor. Während es 2010 weltweit noch 2,7 Milliarden Passagierbewegungen gab, waren es im Jahr 2019 schon 4,5 Milliarden.

Wie reagiert die Flugindustrie auf das Klimaproblem?

Der Flugverkehr war lange, so wie die Schifffahrt auch, aus den internationalen Klimaabkommen weitestgehend ausgenommen. Innereuropäische Flüge sind im EU-Emissionshandelsystem einbezogen, aber der größte Teil der Flüge ist international, wofür es keine ernsthaften Regulierungen zum Klimaschutz gibt.

Auf globaler Ebene hat die Internationale Zivilluftfahrtorganisation der UN, die ICAO, 2016 ein Programm namens Corsia beschlossen. Der Name steht für "Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation".

Porträtaufnahme von Manuel Grebenjak.
Foto: privat

Manuel Grebenjak

ist Campaigner bei Stay Grounded. Er hat auf der Autonomen Universität Barcelona Politische Ökologie studiert und ist seit vielen Jahren aktiv in der Klima­gerechtigkeits­bewegung. Stay Grounded ist ein weltweites Netzwerk für weniger Flug­verkehr und für ein nach­haltiges und sozial gerechtes Verkehrs­system. Das Bündnis hat 160 Mitglieds­organisa­tionen wie Klima­gerechtig­keits­gruppen, NGOs und Gewerk­schaften.

Durch Corsia soll der Anstieg der CO2-Emissionen der internationalen Luftfahrt kompensiert und reduziert werden. Der zivile Flugverkehr soll ab 2021 nur noch "CO2-neutral" wachsen.

Die erwähnten anderen Emissionen werden allerdings komplett ignoriert, obwohl sie die Klimawirkung verdoppeln bis verdreifachen. Es geht also gar nicht darum, die Emissionen absolut zu reduzieren.

Außerdem ist Corsia bis 2026 weitgehend freiwillig, erst ab 2027 folgt die bindende Phase.

Das ganze Programm endet laut Plan im Jahr 2035. Danach gibt es – Stand heute – keine Klima-Regulierung des Flugverkehrs mehr. Corsia ist kein sinnvolles Instrument zum Klimaschutz, sondern blockiert echte Lösungen. Im Flugverkehr gibt es de facto keinen Klimaschutz.

Wie soll die Branche nach den Vorstellungen der ICAO klimaneutral wachsen?

Der Flugverkehr ist in den letzten Jahren jeweils um vier bis fünf Prozent gewachsen. Die technischen Entwicklungen bringen aber nur Effizienzsteigerungen von 1,5 Prozent pro Jahr.

Für den Rest der Mehremissionen sollen Fluglinien in Zukunft Offsetting-Programme finanzieren, die ihr Geld damit verdienen, Emissionen zu kompensieren. Das sind vor allem Projekte im globalen Süden etwa für Aufforstung oder Waldschutz, Finanzierung von erneuerbaren Energien, bis hin zu Programmen mit nachhaltigen Kochherden in verschiedenen afrikanischen Ländern.

Offsetting-Programme liefern klimaschädlichen Branchen wie der Flugindustrie ein Argument, das derzeitige System aufrechtzuerhalten und weiter zu wachsen. Wir brauchen aber kein CO2‑neutrales Wachstum, sondern eine absolute Reduktion der Emissionen.

Das zweite Problem ist, dass die Programme oft kaum zu tatsächlichen Einsparungen führen. Eine Studie des Öko-Instituts spricht zum Beispiel davon, dass 85 Prozent der untersuchten Offsetting-Projekte für den Clean Development Mechanism der UN zu keiner wirklichen Kompensation geführt haben.

Außerdem haben Kompensationsprojekte oft problematische menschenrechtliche, soziale oder ökologische Auswirkungen.

Wie hat sich der Luftverkehr unter dem Eindruck der Coronakrise und der Staatshilfen entwickelt?

Auf dem Höhepunkt der Coronakrise lag der Flugverkehr laut IATA, dem Lobbyverband der internationalen Flugindustrie, um 95 Prozent unter dem Niveau von 2019. Prognosen besagen, dass er sich über das ganze Jahr 2020 gerechnet etwa halbieren wird.

Die Fluglinien haben aber weltweit Hunderte Milliarden an Staatshilfen und Krediten bekommen. Ihr Ziel ist ganz klar ein Zurück zum business as usual.

Nur in ganz wenigen Ländern gibt es Klimaschutzauflagen für die Finanzhilfen, und selbst bei vermeintlichen Musterbeispielen wie den Rettungspaketen in Frankreich oder Österreich sind diese Bedingungen noch viel zu schwach.

Hat die Krise auch Auswirkungen auf bestehende Klimaschutzpläne der Branche?

Ja. Nach dem ersten Schock hat sich die IATA darangemacht, für die Verwässerung der Klimaauflagen zu lobbyieren. Das beste Beispiel dafür ist die kürzlich erfolgte Änderung von Corsia.

Geplant war, dass die Berechnungsgrundlage für das Offsetting der Emissionen von Fluglinien teilnehmender Länder der Durchschnitt der Jahre 2019 und 2020 sein sollte. Emissionen über diesem Niveau hätten kompensiert werden müssen.

Nach dem Lobbying der IATA hat die ICAO in dieser Woche beschlossen, dass als Berechnungsgrundlage jetzt nur noch das Jahr 2019 gilt.

Weil die Flugzahlen in den nächsten Jahren voraussichtlich noch unter dem hohen Niveau von 2019 liegen werden, ersparen sich die Airlines durch diese Entscheidung Milliarden an Kompensationszahlungen und haben weniger Anreize für Klimaschutz-Maßnahmen.

Läuft für die Flugindustrie alles nach Plan, wird der Flugverkehr aber bald wieder wachsen wie vor der Coronakrise und wird auch weiterhin ein großer Treiber der Klimakrise sein.

Die Corsia-Änderung hat gezeigt, dass die UN-Zivilluftfahrtorganisation nicht das Ziel verfolgt, den Flugverkehr klimagerecht umzugestalten, sondern dass sie sehr industriehörig ist.

Was fordert Stay Grounded in dieser Situation?

Wir finden, Staaten sollten den Flugverkehr wie andere Sektoren regulieren, er muss in die nationalen Emissionsbudgets und Klimapläne aufgenommen werden. Die Emissionen im Flugverkehr müssen im Einklang mit dem 1,5-Grad-Limit reduziert werden.

Um die Emissionssenkungen schnell genug zu erreichen, braucht es eine Reduktion der Flüge – technische Lösungen sind noch Jahrzehnte entfernt oder bewirken allein zu wenig.

Am naheliegendsten als konkrete Alternative ist natürlich die Verlagerung auf die Schiene. Zugfahren muss günstiger und Fliegen teurer werden, aber auf eine gerechte Weise – etwa durch eine Vielfliegerabgabe.

Darüber hinaus braucht es einen gerechten Übergang für die Beschäftigten, deren Arbeitsplätze im Flugverkehr verloren gehen werden.

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