Flugverkehr
Der Flugverkehr soll wieder wachsen, zusätzliche CO2-Emissionen sollen durch Klimaprojekte in aller Welt kompensiert werden. (Foto: Thru Your Lens/​Flickr)

Die Coronakrise trifft die Fluggesellschaften hart. Viele von ihnen werden von ihren Heimatländern finanziell gestützt, damit sie nicht pleitegehen. Die Krise könnte aber auch langfristige Folgen für die CO2-Emissionen der Branche haben.

Diese sollen eigentlich auf dem Niveau der Jahre 2019 und 2020 gedeckelt werden. Darüber hinausgehende Emissionen müssen die Fluggesellschaften ab nächstem Jahr kompensieren, indem sie in Klimaschutzprojekte investieren und so andernorts Emissionen vermeiden.

Dieses Programm nennt sich Corsia und fällt in die Verantwortung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO. Durch Corsia könnten Milliarden in Klimaschutzprojekte fließen und bis 2035 rund 2,5 Milliarden Tonnen CO2 vermieden werden.

Doch nun fordert der Verband der großen Fluggesellschaften IATA, dass nicht der Schnitt der Jahre 2019 und 2020, sondern nur die Emissionen des Jahres 2019 als Grundlage für Corsia genommen werden. Dies sei ein "pragmatischer und einfacher Weg, die außerordentlichen Auswirkungen der Krise auf Corsia zu vermeiden".

Dieser Meinung hat sich nun die EU angeschlossen. Deren Verkehrsminister haben – mit Ausnahme von Schweden – beschlossen, dass 2019 die Grundlage für Corsia sein solle. Der kroatische Verkehrsminister Oleg Butković sagte: "Eine Anpassung des Basiswerts ist unverzichtbar, wenn die mit dem System angestrebten Ziele auf einem vergleichbaren Niveau gehalten werden sollen."

Ähnliche Positionen vertreten China, die USA und die lateinamerikanischen Länder. Daher ist es wahrscheinlich, dass dies der ICAO-Rat diese oder nächste Woche beschließt, die Corsia-Grundlage anzupassen.

Corona-Effekt könnte auch geringer ausfallen

Ob die "angestrebten Ziele" von Corsia durch die Coronakrise überhaupt deutlich höher liegen, ist allerdings nicht sicher, wie eine Analyse des Öko-Instituts zeigt. Entscheidend ist, wie schnell sich die Luftfahrt von Corona erholt.

Kurvendiagramm: CO₂-Emissionen der weltweiten Luftfahrt bis 2035 in Abhängigkeit von der Corona-Erholung und deren Auswirkungen auf die Berechnungsgrundlage von Corsia.
Anhand von IATA-Szenarien hat das Öko-Institut die Entwicklung der Luftfahrt-Emissionen berechnet. Je nachdem, wie schnell sich die Branche vom Corona-Einbruch erholt, liegt die Berechnungsgrundlage ("Baseline") von Corsia mehr (rot gepunktet) oder weniger (blau gepunktet) unter dem bisher angenommenen Niveau (grün gepunktet). (Grafik: Öko-Institut)

Mit dem Durchschnitt der Jahre 2019 und 2020 als Maßstab stellt sich die Situation so dar: Eine schnelle Erholung der Luftfahrt führt zu etwas höheren, eine langsame zu etwas geringeren Investitionen in Klimaschutz, verglichen mit einem Szenario ohne Coronakrise. "Der Effekte einer niedrigeren Berechnungsgrundlage und eines niedrigeren Trends der Luftfahrtemissionen gleichen sich teilweise aus", schreibt das Öko-Institut.

Anders gesagt: Der enorme Einbruch der Flugbranche im Jahr 2020 würde dafür sorgen, dass – abhängig vom Tempo der konjunkturellen Erholung – die Airlines schon in den kommenden Jahren in Klimakompensation investieren müssen.

Aus ihrer Sicht kommen sie aber besser weg, wenn nur die Emissionen des Jahres 2019 als Berechnungsgrundlage genommen werden. In diesem Fall müssten die Fluggesellschaften voraussichtlich erst 2024 oder 2027 überhaupt in Klimaschutzprojekte investieren, und bis zum Jahr 2035 lägen die gesamten Klimainvestitionen um 25 bis 75 Prozent unter dem Niveau des Szenarios ohne Coronakrise.

Das Öko-Institut schreibt dazu: "Der Vorschlag würde Anreize für die Branche eliminieren, einen grünen Aufschwung zu schaffen." Insgesamt könnte damit eine Klimakompensation von bis zu 1,7 Milliarden Tonnen CO2 vereitelt werden, so die Analyse.

Vertrauen bei Projektentwicklern könnte schwinden

Eine Änderung der Berechnungsgrundlage hätte aber noch weitere Konsequenzen, wie ein offener Brief der europäischen Umweltorganisation Carbon Market Watch zeigt. Denn auch im Markt für Klimaschutzprojekte gibt es zwei Seiten: die Käufer, etwa die Fluggesellschaften, und die Verkäufer, also die Projektentwickler. Auch letztere konnten nicht mit der Coronakrise rechnen.

"Corsia ist ein wichtiger Mechanismus der CO2-Märkte weltweit", schreibt Carbon Market Watch. "Änderungen an derart fundamentalen Elementen wie der Berechnungsgrundlage sollten daher mit äußerster Vorsicht unternommen werden." Entscheidend sei Konsistenz, also feste Regeln. Ohne diese hätten Investoren nicht das nötige Vertrauen, um kurz- und langfristige Investitionen zu tätigen.

Vertrauen könnte aber auch noch anderweitig verloren gehen. Ein Gutachten der US-Umweltorganisation Environmental Defense Fund (EDF) kommt zum Schluss, dass der ICAO-Rat mit seinen 36 Mitgliedsländern die Berechnungsgrundlage gar nicht ändern kann. Dieses Recht hat nur die ICAO-Generalversammlung aller 193 Mitgliedsländer.

Balkendiagramm: Notwenige CO₂-Kompensation durch die Luftfahrt in Abhängigkeit von der Berechnungsgrundlage.
Die "Baseline" entscheidet darüber, wie viele CO2-Emissionen die Fluggesellschaften künftig kompensieren müssen. In Szenario 2 (rot) mit starken Corona-Auswirkungen beträgt der Unterschied üppige 1,7 Milliarden Tonnen bis 2035. (Grafik: Öko-Institut/​Mihatsch)

Dass es hier ein Problem geben könnte, scheint auch die ICAO zu wissen, denn sie schreibt: "Der Rat wird auch die rechtlichen Aspekte der verschiedenen Optionen und ihre Auswirkungen auf die Reputation prüfen."

Das Problem: Die nächste ICAO-Generalversammlung findet erst im Jahr 2022 statt. Dann soll auch der Corsia-Mechanismus zum ersten Mal überprüft werden.

Der Umweltverband EDF teilt daher die Meinung des Öko-Instituts, das schreibt: "Wir empfehlen, für die erste Phase von Corsia die aktuelle 2019-2020-Berechnungsgrundlage beizubehalten und das Gesamtziel des Systems im Rahmen der regulären Überprüfung des Mechanismus im Jahr 2022 wieder zu diskutieren."

Diese Position hätte sich auch die EU zu eigen machen können. Hat sie aber nicht.

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