LNG-Terminal Wilhelmshaven, 3. Januar 2023: Die "Maria Energy" (links) bringt das erste Flüssigerdgas aus den USA direkt nach Deutschland. (Bild: Edward Donnelly)
 

Erdgas aus Russland. Seit den 1970er Jahren hat Deutschland darauf gesetzt – zum Beheizen der Gebäude, für Kraftwerke und als Brenn- und Rohstoff für die Industrie. Das war billig und bequem, aber keine Hilfe für die Energiewende. Zuletzt kamen rund 55 Prozent des hiesigen Bedarfs aus Russland.

Flüssigerdgas (LNG) aus Übersee ersetzt diese Importe nun zunehmend. Doch da die LNG-Gewinnung in Ländern wie den USA, Algerien, Katar und Nigeria mit hohen Klima- und Umweltbelastungen verbunden ist, fordern Fachleute Deutschland und die EU auf, dort "dringend" auf eine saubere und emissionsarme Förderung zu pochen. 

Seit dem Beginn von Putins Krieg gegen die Ukraine hat sich die europäische Erdgasstrategie dramatisch geändert. Die EU-Kommission und Regierungen von Finnland bis Griechenland fördern den Bau neuer LNG-Importterminals.

In Wilhelmshaven an der Nordsee arbeitet bereits eine solche, vom staatseigenen Energiekonzern Uniper betriebene Anlage, weitere, etwa in Brunsbüttel und in Lubmin bei Greifswald, folgen. Der Bundestag hat im Mai ein LNG-Beschleunigungsgesetz beschlossen, mit dem knapp zehn Milliarden Euro dafür bereitgestellt wurden.

Zudem gelangt LNG über Terminals in Belgien, Frankreich und den Niederlanden sowie das angeschlossene Pipelinenetz nach Deutschland.

Eine neue Studie zeigt nun, dass bei LNG die sogenannte Vorkette – also Förderung, Aufbereitung, Verflüssigung und Transport – mit erheblichen Klimabelastungen verbunden ist. Danach entstehen dort, verglichen mit der späteren Verbrennung in Kraftwerken und Heizungen, noch einmal bis zu 50 Prozent zusätzliche Treibhausgas-Emissionen.

Hauptursache dafür sei das Entweichen von Methan bei der Förderung und beim Transport, das bislang unzureichend berücksichtigt wurde. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas, seine Klimawirkung ist rund 30-mal höher als die von CO2.

Interessant dabei: Die Studie des Instituts für Energie und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu) wurde im Auftrag der Wissenschaftsplattform Klimaschutz angefertigt, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums arbeitet. 

Studienleiter Daniel Münter erläutert: "Die Vorkette ist schon immer Teil der Umweltwirkung von Erdgas gewesen. Beim LNG schneidet dieser Abschnitt aber deutlich schlechter ab als bei Pipelinegas aus vielen anderen Ländern."

In allen Förderländern weltweit entweiche bei der Produktion Erdgas aus undichten Leitungen und Anlagen, so Münter. Aber es gelte die Faustregel: Je älter die Fördertechnik und je lückenhafter die Kontrolle durch die Behörden, desto mehr Erdgas wird freigesetzt. "Hinzu kommt, dass immer wieder absichtlich Gas abgelassen wird, wenn Ausrüstung oder Bohrlöcher gewartet werden", schreibt das Ifeu.

"Die einzige Lösung ist der Erdgas-Ausstieg"

Die konkreten Daten belegen, wie wichtig eine "saubere" Förderung ist. Die CO2-Emissionen, die beim Verbrennen von Gas etwa in Heizungen oder Kraftwerken anfallen, liegen laut der Studie bei etwa 56 Gramm je Megajoule Energie.

Bei Erdgas aus Algerien, das als LNG in Deutschland angeliefert werden könnte, betragen die zusätzlichen Treibhausgasemissionen der Vorkette rund 27 Gramm CO2-Äquivalent. LNG aus den USA, wo das Gas vor allem durch das umstrittene Fracking mit einer hohen Zahl von Einzelbohrungen gewonnen wird, hat laut Studie eine Vorkettenlast von rund 23 Gramm, Katar kommt auf 18 Gramm. Zum Vergleich: Bei Pipelinegas aus Norwegen sind es nur etwa drei Gramm.

Die zusätzlichen Klima-Emissionen, die durch die Verflüssigung des Erdgases in den Produktionsländern und die "Regasifizierung" in Deutschland anfallen, sind für alle Lieferländer ähnlich, sei liegen zwischen 6,3 und acht Gramm. 

Überkapazitäten drohen 

Ob Deutschland tatsächlich die geplanten elf LNG-Terminals braucht, um die russischen Erdgas-Lieferungen zu ersetzen, ist umstritten. Umweltschützer befürchten, dass die Bundesrepublik sich dadurch zu langfristig an den fossilen Brennstoff bindet. 

Eine Untersuchung des Prognos-Instituts kommt nun zu dem Ergebnis, dass von der Errichtung der LNG-Terminals hierzulande eine eher geringe "Lock‑in-Gefahr" ausgeht – sofern an einer konsequenten Klimapolitik festgehalten wird. Die Investitions- und Betriebskosten der Terminals machen laut der Studie nur einen geringen Anteil an den Gesamtkosten des Gasimports aus, sie spielten deshalb für die Gesamtentscheidung zur Nutzung von Erdgas eine geringe Rolle. Dennoch müsse eine Nachnutzung der stationären Terminals für grüne Energie, wie Wasserstoff, von vornherein geplant werden. 

Eine weitere Prognos-Studie kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass ab 2025 mit Überkapazitäten durch die LNG-Infrastruktur zu rechnen ist. Daher sollten feste LNG-Importterminals "zurückhaltend" geplant werden, flexiblen Terminals solle der Vorzug gegeben werden. Grundsätzlich sei die Erdgas-Versorgung für die privaten Haushalte und die Industrie durch die geplanten LNG-Importe und die Pipeline-Lieferungen unter anderem aus Norwegen weiter gesichert, außer in einem Extremszenario.

Unter Klimagesichtspunkten wäre es also am besten, wenn Deutschland mehr Erdgas als bisher per Pipeline aus Quellen wie Norwegen beziehen könnte, wo bei der Förderung gute Standards gelten. Norwegens Kapazitäten sind jedoch praktisch ausgereizt, denn das Land hat seine Produktion bereits stark erhöht.

Der bisherige Lieferant Niederlande wird seine Förderung sogar bis zum Herbst komplett herunterfahren, weil dadurch immer wieder Erdbeben ausgelöst wurden.

Bleibt also nur LNG. Dann sei es umso wichtiger, dass die Förderung möglichst klimafreundlich gestaltet wird, sagte Münter gegenüber Klimareporter°. "Zumindest die Methanemissionen wären weitgehend vermeidbar, das zeigt ein aktueller Bericht der Internationalen Energieagentur." 

Die Frage ist natürlich, ob Deutschland und die EU überhaupt entsprechend Druck auf die Lieferländer machen können, da die Nachfrage nach LNG weltweit hoch ist und die Versorgungssicherheit hierzulande an erster Stelle steht – gerade mit Blick auf den nächsten Winter. Die EU arbeitet zwar an einer Methanverordnung, die auch technische Regeln für die Gasförderung umfasst, diese werden aber nur innerhalb Europas gelten.

"Da der Löwenanteil der Methanemissionen des von uns genutzten Erdgases außerhalb Europas gefördert wird, müssten diese Standards auch dort gelten", fordert Münter. Bisher agierten die EU-Kommission und die Länderregierungen bei dem Thema nur zaghaft, das EU-Parlament aber habe immerhin entsprechende Initiativen ergriffen.

Der Trost, dass russisches Erdgas nach aktuellen Analysen unter dem Strich kaum klimafreundlicher war als LNG, ist freilich gering. Neuere Daten zeigen Münter zufolge, dass die Emissionen in der Vorkette mit 25 Gramm CO2-Äquivalent je Megajoule fast so hoch wie die bei algerischem LNG sind, unter anderen wegen Leckagen an Bohrlöchern und in Pipelines.

Die Schlussfolgerung für den Experten: "Die einzig wirkliche Lösung ist, dass wir möglichst schnell aus der Erdgas-Nutzung insgesamt aussteigen."