Solarfeld in Sibirien
Die ersten Kraftwerke sind Solarkraftwerke: Photovoltaik-Projekt in der sibirischen Republik Altai. (Foto: altai-republic.ru )

Das Pariser Klimaabkommen stellt Russland vor Herausforderungen. Weniger, was das Erreichen der Klimaziele angeht – die wird das Land laut einer aktuellen Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) wohl erreichen.

Allerdings steht die russische Wirtschaft vor einer Belastungsprobe. Im nach wie vor starken fossilen Sektor drohen Verwerfungen, weil etwa die Kohleindustrie früher oder später einbrechen dürfte und dann die Exporte plötzlich abnehmen.

Igor Makarow von der Hochschule für Ökonomie in Moskau hat mit Kollegen vom MIT die Folgen des Paris-Abkommens für die russische Wirtschaft untersucht. Das Ergebnis: Selbst verschärfte Klimaziele für 2030 dürfte Russland problemlos bewältigen.

Das Land ist in einer Sondersituation. Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 brach die Industrie ein – und mit ihr der CO2-Ausstoß. Erst Anfang dieses Jahrhunderts nahmen die CO2-Emissionen wieder zu, heute stagnieren sie.

"Problematisch ist das Handeln anderer Länder", sagt Makarow. "Wenn sie weniger CO2 ausstoßen, heißt das, dass sie weniger fossile Energieträger verbrauchen, also weniger Kohle, Erdöl und etwas weniger Erdgas. Russland wird also weniger davon verkaufen können."

Um 0,2 bis 0,3 Prozent dürfte Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) deshalb absinken, nach einer Verschärfung der Klimaziele zwischen 2035 und 2050 sogar um 0,5 Prozent. Würde es nicht zu einer Verschärfung der Klimapolitik kommen, würde der russische Export sogar wachsen – vor allem beim Erdgas.

Die Nachfrage nach russischem Erdgas würde sogar dann nicht fallen, wenn alle Länder ihre nationalen Klimaziele erreichen würden. Während die Nachfrage nach Kohle einbrechen würde, würden die Gaslieferungen als Ersatz für Kohle womöglich sogar steigen.

Eine ähnlich rosige Zukunft verheißen die Wissenschaftler auch dem Erdöl, das sich auf den weltweit wachsenden Verkehrssektor stützen kann und von den Elektromobilen bislang nicht ernsthaft herausgefordert wurde.

Konkurrenz durch billige US-Steinkohle

Das Paris-Abkommen trifft vor allem einen Energieträger: die Kohle. Weil die Welt weniger Kohle verbraucht, schrumpft auch der Export aus Russland nach Europa und Asien. "China hat den Gipfel der Kohlenutzung schon überschritten", sagt Makarow. "Jährlich wird dort nun weniger verbraucht – und wir reden dabei von 50 Prozent des Weltverbrauchs."

Allerdings schrumpfe der russische Kohleabsatz nicht nur durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, sagt der Wirtschaftsfachmann. Sondern auch aufgrund eines anderen Konkurrenten – der US-amerikanischen Kohle.

"Die Fracking-Revolution in den USA hat dort das Erdgas billig werden lassen, das wiederum die Kohle aus dem dortigen Markt verdrängt", sagt Makarow. "Die US-Kohle kommt nun nach Europa, wo sie zum einen billiger ist als die europäische Kohle, zum anderen billiger als das russische Erdgas und erst recht billiger als die russische Kohle."

Foto: privat

Die Autorin

Jana Dolganina schreibt für das Online-Portal tayga.info in Nowosibirsk, Russlands drittgrößter und Sibiriens größter Stadt. Das unabhängige Portal ist dort für seine investigativen Artikel und engagierten Meinungsbeiträge bekannt.

Für Michail Julkin, Chef des Zentrums für Umweltinvestitionen im nordrussischen Archangelsk, geht damit eine Epoche zu Ende. Der Export russischer Kohle könnte noch maximal zehn Jahre andauern, die Förderung müsse aber schon jetzt reduziert werden.

"Heute erleben wir, wie Aktienkurse von Firmen abstürzen, wenn sie plötzlich auf der Sanktionsliste landen", sagt Julkin. "Wenn morgen die Nachricht kommt, dass die Nachfrage nach fossilen Energieträgern in zwei, drei Jahren fallen wird, dann werden ganze Industriezweige abstürzen."

Es werde keinen sanften Übergang geben, sondern einen Kollaps. "Es ist seltsam, dass ich das verstehe und alle um mich herum das verstehen, aber dort oben [in der Regierung] gibt es offenbar Menschen, die glauben, das kann alles noch zehn, 15 Jahre so weitergehen und dann gibt es einen sanften Übergang. Nein, es wird einen abrupten Niedergang geben."

Schon heute ist die Kohle in Russland abhängig von staatlicher Förderung. Von ermäßigten Versicherungen für Bergarbeiter bis zu niedrigeren Transportkosten. "Wenn wir heute aufhören, die Kohlebranche zu fördern, stirbt sie", sagt Julkin. "Es wäre längst an der Zeit, die Kohleindustrie in etwas anderes umzustrukturieren."

"Letztes Aufbäumen der Kohle vor dem Tod"

Dass unrentable Betriebe geschlossen werden, ist für Russland nichts Neues. In den 1990er Jahren wurde der Kohlesektor schon einmal umgebaut. Das zog gewaltigen Protest der Bergleute nach sich. Die Kumpel aus dem südsibirischen Kusbass blockierten sogar die Transsibirische Eisenbahn. Dennoch wurde mehr als jeder zweite Bergarbeiter im Land arbeitslos und die verbliebenen Betriebe konnten ihren Mitarbeitern infolge der Krise keine Gehälter zahlen.

Danach erholte sich die Lage im Kusbass stetig. 1999 hatte dort die Förderung noch 100 Millionen Tonnen jährlich betragen – 2017 waren es schon wieder 241,5 Millionen Tonnen. Auch die russische Gesamtförderung erlebte mit 409 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr einen Rekord. Grund dafür ist die Nachfrage vor allem aus China. Im Kusbass werden etwa 60 Prozent der russischen Kohle gefördert – mehr als die Hälfte davon geht ins Ausland.

Die Erholung der Kohleindustrie ist für skeptisch gestimmte Experten jedoch nur das letzte Aufbäumen vor dem Tod. Ein Beleg dafür ist China selbst, das massiv in die Entwicklung von erneuerbaren Energien investiert. Allein die Kapazität aller chinesischen Wind- und Solarkraftwerke entspricht heute schon der Gesamtleistung aller russischen Kraftwerke.

Kann man sich denn ein Leben ohne Kohle im Kusbass vorstellen? Dazu ein paar Zahlen: Im Gebiet Kemerowo im südlichen Westsibirien, wo der Kusbass liegt, sind im Kohlebergbau heute mehr als 90 Stollen und Tagebaue aktiv und über 100.000 Menschen beschäftigt. In keiner anderen Region in Russland gibt es so viele sogenannte Monostädte wie dort, also Städte, die einen einzigen großen Industriezweig haben. Der Haushalt speist sich zu 32 Prozent aus der Kohlewirtschaft.

Strukturwandel: Von Deutschland lernen

Ein Blick nach Deutschland, wo die Wirtschaft seit über zehn Jahren auf die "grüne Schiene" umgeleitet wird, zeige, dass der Wandel gar nicht so sehr eine technologische, sondern vielmehr eine soziale Frage ist, betont Julkin. Die Leute könne man nicht einfach auf die Straße setzen. Entsprechend den Umweltzielen müssten Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme aufgelegt werden. "Bei uns aber wird nicht mal darüber gesprochen", sagt Julkin.

So fördert Russland die Erneuerbaren

Die staatliche Förderung erneuerbarer Energien läuft über Kapazitätsverträge. Dabei darf ein neuer Stromerzeuger 15 Jahre lang seinen grünen Strom zu einem Festpreis verkaufen, der seine Investitionen wieder einspielt. Voraussetzung dafür ist allerdings die Nutzung von Anlagen, die zu einem Großteil in Russland hergestellt sein müssen. Das Programm hat eine Laufzeit bis 2024.

Auch in Sachen Energiewende geht es in Russland noch recht langsam voran. "Wir sind eine Energiegroßmacht, die sich von jeher auf die Nutzung von Erdgas, Erdöl und Kohle stützt", sagt Sergej Kaljuschnij, der den Vorstand des Staatskonzerns Rosnano berät.

Der Marktführer bei erneuerbaren Energien in Russland betreibt Solar- und Windparks und strebt für 2030 etwa acht bis elf Prozent Ökostromanteil an. Anfang des Jahres wurde im zentralrussischen Uljanowsk der erste Windpark mit 35 Megawatt Anschlussleistung eröffnet. Unweit davon, im Gebiet Nischni Nowgorod, entsteht gerade die erste Fabrik zur Fertigung von Windrädern.

Alischer Kalanow, bei Rosnano zuständig für zukunftsorientierte Projekte, ergänzt, dass es in Russland bislang kein zentrales verbindliches Dokument gibt, in dem ein ehrgeiziges Ausbauziel für Ökoenergien festgeschrieben wäre. Bis 2035 sollen gerade mal 11.600 Megawatt hinzukommen.

Windstrom zur "Erschließung" der Arktis

Dank seiner zahlreichen Küsten verfügt Russland über günstige Bedingungen für die Nutzung der Windenergie. "Das meiste Windpotenzial hat leider der Norden unseres Landes, der dünn besiedelt ist und über wenig Industrie verfügt, wo also kaum Verbraucher sind", sagt Kaljuschnij. "Sollten wir allerdings ambitionierte Pläne zur Erschließung der arktischen Regionen entwickeln, so wird uns dabei eine effektive und komfortable Stromquelle zur Verfügung stehen."

Für die Entwicklung der erneuerbaren Energien in Sibirien sind zwei Faktoren von großer Bedeutung: Die schier unendlichen Weiten und die schlechte Erreichbarkeit von besiedelten Orten. Die großen Rotorblätter und Türme von modernen Windkrafträdern können nur sehr mühsam dorthin transportiert werden, wo sie gebraucht werden.

Die Reise

Zwölf ukrainische und russische Journalisten sind im Februar 2018 nach Deutschland gereist. Ihr gemeinsames Thema: die Steinkohle. Während in Deutschland der Abschied vom schwarzen Anthrazit nun endgültig vollzogen wird, kündigt er sich im russischen Kusbass und dem ukrainischen Donbass erst allmählich an. Sinkende Rentabilität, wachsendes Bewusstsein für Umweltschutz und das Damoklesschwert des Pariser Klimaabkommens steigern das Interesse an Alternativen. Die Reise wurde von der Umweltorganisation Germanwatch organisiert und mit Mitteln des Auswärtigen Amtes unterstützt.

Zurück in ihrer Heimat, schrieben die Teilnehmer der Reise rund 30 Artikel über ihre eigenen Kohleregionen und über ihre Erfahrungen und Beobachtungen in Deutschland – darunter auch dieser Text, der eine gekürzte und übersetzte Version des Originals ist. Entstanden ist eine ungewohnt offene Sicht auf die deutsche Energiepolitik von außen und ein Einblick in die Gegenwart der Steinkohlereviere und der erneuerbaren Energieformen in Russland und der Ukraine.

Für den Bau von Solaranlagen werden hingegen hauptsächlich Orte ausgesucht, an denen es kein Stromnetz und keine eigene Stromerzeugung gibt – etwa in der Altai-Republik. Dort gab es zuvor gar keine eigene Erzeugung – nun produzieren Solaranlagen mit einer Nennleistung von 40 Megawatt Strom. Demnächst sollen eine Speicheranlage und in den folgenden Jahren weitere Solaranlagen hinzukommen.

In Russland gibt es viele besiedelte Regionen, die aufgrund von Naturschutzbestimmungen oder durch die Grenznähe über eine schwache Infrastruktur verfügten. Die fehlenden Anschlüsse an das Stromnetz wurden bislang in der Regel durch eigene Stromerzeugung mit Diesel-Aggregaten kompensiert, auch wenn das mit hohen Transportkosten für den Treibstoff verbunden war. "Wozu soll man aber teures Geld für eine veraltete Technologie ausgeben, wenn längst eine bessere da ist?", fragt Anton Usatschow, Vizechef von Hevel Solar.

Usatschow denkt langfristig auch an den Export von Ökoenergie-Anlagen ins Ausland. Das sei die Zukunft. Dagegen fürchten seine Konkurrenten von der fossilen Energiewirtschaft, aber auch andere Industriesparten, dass das Geschäft mit dem Ausland in Zukunft einbrechen könnte. Und zwar, wenn Europa CO2-Zölle einführt.

"Unter den Industrieländern wäre Russland mit Abstand am stärksten betroffen", sagt Igor Makarow. Dabei ginge es weniger um die Energieträger als solche. "Alle Metalle, die wir exportieren, Dünger, chemische Erzeugnisse – alles ist sehr energieaufwendig und somit mit einem hohen CO2-Ausstoß verbunden. Die Zölle würden also die Exportgüter direkt treffen.

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