Klimareporter°: Herr Loske, US-Präsident Trump versucht, mit seiner Zoll-Orgie die Globalisierung zurückzudrehen. Von Attac wird er deswegen nicht gleich eine Beitrittsbescheinigung kriegen. Trotzdem: Ist an Trumps Argumentation, dass die Produktion von zu vielen wichtigen Waren ins ferne Ausland verlagert wurden und die Abhängigkeiten dadurch zu groß geworden sind, nicht auch etwas dran?
In Europa dürfte es dieser Tage den meisten Menschen schwerfallen, auch nur im Ansatz etwas Positives zu Trump zu sagen. Seine krude Mischung aus neoimperialem Gehabe, Ablehnung des Völkerrechts, Wissenschaftsfeindlichkeit, Minderheitenverachtung und vor allem Hass auf alles Ökologische und wirklich Transformative ist einfach destruktiv und brandgefährlich – für die USA selbst und für die Völkergemeinschaft.
Reagieren wir denn richtig darauf? Oder: Wie müssten wir reagieren?
Ich beobachte mit Sorge, dass der Reflex auf Trumps erratische Zollpolitik bei uns vor allem in einem Gesundbeten der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung besteht, einer starken Idealisierung von bedingungsloser Wachstumsorientierung und dem globalen Freihandel. Es wird so getan, als sei der gegenwärtige Entwicklungspfad trotz seiner vielen negativen Begleiterscheinungen quasi das Allerhöchste und deshalb unbedingt zu verteidigen.
Aber was ist mit der extremen Klimaerwärmung, dem besorgniserregenden Biodiversitätsschwund und demnächst möglicherweise einer Wasserkrise? Was ist mit der mangelnden Fairness in den Austauschbeziehungen zwischen reichen und armen Staaten und der krassen Ungleichverteilung von Einkommen und Chancen in und zwischen diesen Ländern? Da ist es natürlich viel bequemer, sich über den Isolationisten im Weißen Haus aufzuregen.
Deutschland hat als Exportland in den letzten Jahrzenten von der Globalisierung ökonomisch besonders profitiert. Nun lautet das Konzept hier sowie in der EU, den Austausch mit anderen Ländern zu intensivieren – von Kanada bis Kasachstan –, um einen Rückgang im USA-Geschäft aufzufangen. Das ist doch sinnvoll, oder?
Diversifizierung in den Austauschbeziehungen ist zunächst einmal eine gute Sache. Das haben gerade wir Deutschen lange nicht hinreichend beachtet, Industrie wie Politik gleichermaßen. Die Stichworte waren da: billige Energie aus Russland, Wachstumsmarkt China und möglichst viele Autos des tonnenschweren Premiumsegments in alle Welt. Die Vermeidung von Klumpenrisiken ist im Wirtschaftsleben und eben auch bei der Wahl von Handelspartnern schlicht vernünftig.
Aber es geht bei der Gestaltung der ökonomischen Globalisierung letztlich um viel Grundsätzlicheres. Was soll gehandelt werden, in welchem Ausmaß, unter welchen Standards und Fairnessbedingungen? Wie tief soll die globale Arbeitsteilung gehen, wie lang und komplex dürfen die Lieferketten sein, welches Maß an Abhängigkeit und Verletzbarkeit in diesen Ketten wollen wir in Kauf nehmen?
Reinhard Loske
ist Nachhaltigkeitsforscher und Autor, zurzeit Honorarprofessor an der Universität Witten/Herdecke. Der Volkswirt und Politikwissenschaftler forschte in den 1990er Jahren am Wuppertal Institut für Klima-Umwelt, Energie, war ab 1998 für die Grünen im Bundestag und ab 2007 Bremer Umweltsenator. Später war er Professor für Transformationsdynamik in Witten und Präsident der Cusanus-Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz. Loske ist Vorstandsmitglied des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung und der Right Livelihood Foundation, die den "alternativen Nobelpreis" vergibt.
Was wäre denn das rechte Maß für den Welthandel?
Nehmen wir die Klimakrise, die Energiekrise im Zuge des Ukraine-Krieges oder die Corona-Krise, weil sie uns allen präsent sind. Meines Erachtens ist eine der zentralen Lehren aus diesen Krisen, dass wir in manchen Bereichen unserer Wirtschaft in Sachen globaler Arbeitsteilung zu weit gegangen sind und jetzt eine selektive De-Globalisierung, eine aktive Re-Regionalisierung und eine intelligente Risikominimierung brauchen. In Begriffen aus dem Englischen spricht man von "Reshoring" und "De‑Risking".
Das heißt konkret?
Beispiele gibt es da reichlich: Wer Energie einspart, effizient nutzt und auf der Basis erneuerbarer Quellen dezentral erzeugt, wird resilienter und weniger verletzbar gegenüber externen Schocks. Ökonomisch gesprochen substituiert er teure Energieimporte durch inländische Ingenieurs-, Industrie- und Handwerksleistungen.
Wer die Land-, Forst- und Nahrungsmittelwirtschaft nachhaltig und ökologisch ausrichtet, verbessert die regionale Versorgungssicherheit, Wertschöpfung und Lebensqualität. Wer langlebige und reparaturfreundliche Gebrauchsgegenstände auf den Markt bringt, fördert die Einsparung von Ressourcen und Kosten und schafft eine florierende Kreislaufwirtschaft.
Wer ein leistungsfähiges Gesundheitssystem in der Region bereitstellt und die notwendige Medikamentenproduktion im Lande oder mindestens in der Nähe hält, ist im Krisenfall autonomer und handlungsfähiger als derjenige, der alles ausgelagert oder wegen vermeintlicher ökonomischer Ineffizienz wegrationalisiert und zentralisiert hat
Das sind im Grunde keine ganz neuen Erkenntnisse ...
In der Tat. Schon John Maynard Keynes, der wohl größte Ökonom des 20. Jahrhunderts, schrieb in seinem Text "National Self-Sufficiency" in den 1930er Jahren: "Ideen, Wissen, Kunst, Gastfreundschaft, Reisen – das sind die Dinge, die ihrer Natur nach international sein sollten, aber lasst Güter in der Heimat herstellen, wenn immer es sinnvoll und praktisch möglich ist. ... Ich bin nicht überzeugt, dass die wirtschaftlichen Erfolge der internationalen Arbeitsteilung heute noch irgendwie mit den früheren vergleichbar sind."
Das war wirklich visionär. Und die Botschaft war eine sehr positive, denn sie besagt, dass Weltoffenheit, Freiheit und Freihandel nicht das Gleiche sind, wie es heute manchmal undifferenziert propagiert wird. Es ist eben im Grundsatz legitim, dem Freihandel ökologische, soziale oder auch kulturelle Grenzen zu setzen.
Und wie genau?
Auch hier einige Beispiele: Wenn die EU ihren mit grünem Wasserstoff hergestellten Stahl in Zukunft gegen Stahl schützen will, der mit fossiler Energie erzeugt wurde, dann kann sie selbstverständlich einen CO2-Grenzausgleich vornehmen, also gewissermaßen einen Klima-Zoll erheben.
Oder wenn ein Land des globalen Südens seine im Aufbau befindlichen Branchen vor zerstörerischen Dumping-Importen schützen will, sollte es ebenfalls Einfuhrbeschränkungen über Zölle oder Quoten vornehmen können. Viele Industriestaaten haben das in ihrer Geschichte übrigens lange Zeit wie selbstverständlich getan, um ihre jungen Industrien zunächst zu schützen und zu entwickeln und sie dann so gestärkt in den internationalen Wettbewerb zu schicken.
Was sind die negativen Folgen der Turbo-Globalisierung? Wie groß ist dieser Faktor beim Klimawandel?
Das muss man sich sektoral jeweils genau anschauen und möglichst präzise sein. Es reicht von den gewaltigen Emissionen der stetig wachsenden Luft-, Schiffs- und Landverkehre über das Gefangenhalten von vielen Ländern des globalen Südens in der einseitigen Rolle von Rohstoffausbeutern bis zur industrialisierten Landwirtschaft bei uns und ihren enormen Futtermittelimporten, die in Tropenländern zur Vernichtung von Regenwäldern und Feuchtgebieten beitragen.
Es geht von der Zerstörung traditionell-nachhaltiger Wirtschaftsweisen indigener Bevölkerungen über neokolonialen Landraub und Erosionsschäden durch Übernutzung bis zur Verbreitung der ressourcenverschlingenden Lebensstile der globalen Konsumentenklasse.
Aber natürlich gibt es auch positive Effekte einer "anderen" Globalisierung, etwa die Möglichkeit wechselseitigen Lernens durch Begegnung, Kommunikation und Wissensaustausch oder die schnellere Diffusion nachhaltiger Technologien, Verfahren oder Lebensstile. Die Globalisierung hat halt mehrere Gesichter.
In welchen Bereichen wäre es denn wichtig, die Globalisierung zurückzudrehen? Sollten alle ihre Smartphones und Solarpaneele selber bauen?
Natürlich nicht. Unterschiedliche Länder haben unterschiedliche Fähigkeiten und Erfahrungen, unterschiedliche Ressourcenausstattungen und Naturbedingungen, unterschiedliche politische und kulturelle Bedingungen. Austausch, Handel und Spezialisierung wird es allein deshalb immer geben, aber sie müssen eben nach fairen Regeln für alle ablaufen. In einer asymmetrischen Weltwirtschaftsordnung spezialisieren sich sonst die einen aufs Gewinnen und die anderen aufs Verlieren. Das kann nicht sein.

Was ist die Alternative?
Grundsätzlich würde ich die Frage danach, wo denn die Globalisierung gegebenenfalls zurückzudrehen sei, mit einer Anleihe bei der katholischen Soziallehre beantworten. Dort ist der zentrale Gedanke das sogenannte Subsidiaritätsprinzip. Es besagt im Grunde, dass der Regelung auf höherer Ebene nicht bedarf, was auf der unteren Ebene gleich gut oder besser geregelt werden kann.
Übertragen auf die Wirtschaft würde ich dieses Prinzip tatsächlich mit Keynes beantworten: Lasst Güter in der Heimat herstellen, wo immer es sinnvoll und praktisch möglich ist – und macht euch so unabhängig. Wobei ich hinzufügen möchte: Unsere Heimat ist Europa, ein Kontinent, auf dem 800 Millionen Menschen leben, davon allein 500 Millionen in der EU.
Wie ist es bei der Lebensmittelversorgung?
Lebensmittelsicherheit, menschliche Gesundheit und planetare Gesundheit hängen eng zusammen. Als Europäer sollten wir weniger Futtermittel und Fleisch aus Nord- und Südamerika importieren und vor allem die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, die in den nächsten Jahren zur Reform ansteht, konsequent am Ziel der Nachhaltigkeit und der Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe ausrichten.
Deutschlands wichtigste Industriebranche war bisher die Autoindustrie, die allerdings, siehe E‑Mobilität, den Anschluss zu verlieren droht. Geht hier denn an einem Gesundschrumpfen oder einer Produktionsverlagerung dorthin, wie die Autos verkauft werden, ein Weg vorbei?
Hier fehlt der Raum, um diese schwierige Frage im Detail zu beantworten. Aber recht zutreffend hat Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann diese Frage schon im April 2011 in der Bild am Sonntag beantwortet: "Weniger Autos sind natürlich besser als mehr. Wir müssen in Zukunft Mobilitätskonzepte verkaufen und nicht nur Autos." Dem ist auch heute nicht viel hinzuzufügen.
Welche Branchen sollten wachsen, um ein Schrumpfen bisher wichtiger Branchen wie der Autoindustrie mit ihren gut bezahlten Jobs auszugleichen?
So was kann man nicht dekretieren und auch nicht genau voraussagen. Es bedarf politischer Entscheidungen und der Setzung förderlicher Rahmenbedingungen. Im Energiebereich ist alles zukunftsträchtig und beschäftigungsintensiv, was mit erneuerbaren Energien und der effizienten Elektrifizierung und Digitalisierung von Gebäuden, Industriebetrieben, Mobilität und Heizen zusammenhängt.
Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft in all ihren Facetten können sich ebenfalls zu einem fantastischen Job- und Innovationsmotor in verschiedensten Branchen weiterentwickeln. Bislang noch unterschätzt wird das naturbasierte Wirtschaften, das wir für nachhaltige Nahrungsmittel und Produkte sowie den Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt dringend brauchen.
Gibt es weitere Sektoren?
Alles, was sich um die menschliche Gesundheit und das menschliche Wohlbefinden im weitesten Sinne rankt, wird enorm an Bedeutung gewinnen. Das betrifft Produkte wie Dienstleistungen, Städtebau wie Landschaftsgestaltung, Arbeitsprozesse wie Freizeitgestaltung. Auch alles, was die digitale Autonomie Europas erhöht, hat Zukunft, muss aber auch konsequent angepackt werden.
Und nicht zuletzt: Bildung, Bildung, Bildung. Die trägt immer Früchte, auch wenn wir noch nicht wissen können, wie diese genau aussehen werden.
Was würde eine gerechte Globalisierung dann ausmachen? Wie sähe ein fairer Handel aus?
Vielleicht könnte man in Abgrenzung zu dem, was Trump unter fairem Handel versteht, ganz einfach die US-amerikanische Fairtrade-Bewegung zitieren, die in der gebotenen Klarheit feststellt: "Beim wirklich fairen Handel geht es um wechselseitig vorteilhafte Beziehungen, die in Vertrauen und Respekt wurzeln, über geografische und kulturelle Grenzen hinweg."
Und dann konkret: "Wir beobachten in jüngster Zeit einen groben Missbrauch der Idee des fairen Handels durch Politiker für eine isolationistische Agenda. Diese Ideen stehen im direkten Widerspruch zu unserem Anspruch auf Gerechtigkeit und Beteiligung."
Mit welchen Ländern und Erdteilen wäre es möglich, einen echten fairen Handel voranzutreiben?
Ganz ohne Pathos würde ich sagen: mit allen Ländern guten Willens. Und davon gibt es einige.
Was raten Sie der künftigen Bundesregierung, um auf Trumps Attacke clever zu reagieren?
Nur zwei kurze Ratschläge. Erstens: Unsere Antwort muss lauten: Europa, Europa, Europa! Und von da aus müssen wir faire Kooperationen mit unseren Nachbarkontinenten anstreben. Allein, als Nationalstaaten, können wir so gut wie nichts ausrichten.
Zweitens: Wir müssen verstehen, dass Trump kein prinzipienfester Überzeugungstäter mit klaren ordnungspolitischen Vorstellungen ist. Ob er die Ideen von Hardcore-Marktliberalen wie Friedrich August von Hayek oder Milton Friedman überhaupt kennt, darf man bezweifeln. Er ist und bleibt ein Dealmaker, ein Geschäftsmann, dem abstrakte Regeln fremd sind, erst recht, wenn sie von internationalen Organisationen kommen, die er als feindselig betrachtet.
Wir werden den USA in Zukunft häufiger die Stirn bieten müssen, sollten aber gleichzeitig versuchen, den Faden nicht reißen zu lassen. In vielen Bundesstaaten zwischen Atlantischem und Pazifischem Ozean gibt es nicht wenige, die an einer starken Verbindung zwischen Europa und den USA festhalten wollen. Mit ihnen sollten wir im Gespräch bleiben und möglicherweise sogar Abkommen schließen.
Vielleicht kommen auch wieder bessere Zeiten in den transatlantischen Beziehungen. Darauf zu warten und die Hände in den Schoß zu legen, wäre aber ein großer Fehler.