"Es wird allgemein beobachtet, dass in den Ländern mit dem größten Überfluss die ärmsten Menschen leben", schrieb Richard Steele in der englischen Tageszeitung The Spectator bereits im Jahr 1711.
Mehr als 250 Jahre später kam Juan Pablo Pérez Alfonzo zu einer ähnlichen Einschätzung: "In zehn, zwanzig Jahren werden Sie sehen, dass das Öl uns ins Verderben stürzen wird. Es ist Teufelsdreck", so der damalige Ölminister von Venezuela im Jahr 1976.
Obwohl der negative Zusammenhang zwischen Rohstoffreichtum und geringer wirtschaftlicher Entwicklung schon sehr lange bekannt war, dauerte es bis 1993, bis das scheinbar paradoxe Phänomen einen Namen bekam. Damals prägte der Wirtschaftsgeograf Richard Auty von der britischen Universität Lancaster den heute gängigen Begriff "Ressourcenfluch".
Doch Rohstoffe müssen kein wirtschaftlicher Nachteil sein, im Gegenteil. Die Industrialisierung begann in Ländern, in denen gleich zwei Rohstoffe – Kohle und Eisenerz – vorkommen, in Großbritannien und Deutschland.
Und heute zeigt Norwegen, dass selbst Öl und Gas ein Segen sein können, jedenfalls für die eigene Bevölkerung. Der norwegische Ölfonds, der größte Staatsfonds der Welt, verfügt über mehr als 1,6 Billionen US-Dollar oder 300.000 Dollar pro Einwohner.
Und auch Länder wie Kanada und Australien scheinen nicht unter ihren vielen Rohstoffen zu leiden. Oder vielleicht doch? Dass die beiden Länder möglicherweise wohlhabender wären, wenn sie keine Bodenschätze hätten, legt das Beispiel der Niederlande nahe.
1959 wurde in der niederländischen Provinz Groningen ein riesiges Gasfeld entdeckt. Das hatte jedoch einen unerwarteten Nebeneffekt: die Deindustrialisierung der Niederlande, sodass die britische Publikation The Economist im Jahr 1977 von der "holländischen Krankheit" sprach.
Rohstoffarme Länder sind tendenziell demokratischer
Diese ungesunde Entwicklung war den Wechselkursen geschuldet: Dank der Gasexporte wurde der niederländische Gulden aufgewertet und alle Nicht-Erdgas-Exporte der Niederlande verloren so an Konkurrenzfähigkeit, was zu einer teilweisen Deindustrialisierung führte.
Norwegen, wo erst in den 70er Jahren Öl gefunden wurde, konnte das vermeiden, indem es den größten Teil der Öleinnahmen gar nicht erst ins Land ließ, sondern in Fremdwährungen in seinem Ölfonds parkt. Damit entgeht das Land auch den starken Schwankungen des Ölpreises, einem weiteren Grund für den Ressourcenfluch.
Viele Länder mit Rohstoffen wollen ihre Bewohner an dem Reichtum beteiligen und legen in Zeiten hoher Preise Sozialprogramme auf – um diese bei niedrigen Preisen dann wieder einzudampfen, wie eine Analyse der Weltbank zeigt.
Durch dieses prozyklische Verhalten werden die normalen Konjunkturschwankungen allerdings verstärkt, was der Wirtschaft auf Dauer schadet. Die Bank schreibt: "Die Volatilität der Fiskalpolitik fungiert als Übertragungskanal für den 'Ressourcenfluch'."
Ein weiterer solcher "Übertragungskanal" ist das Verhältnis zwischen den Regierungen und ihren Bürgern in Ländern mit vielen Rohstoffen. In rohstoffarmen Volkswirtschaften wie in Deutschland oder Südkorea finanziert sich der Staat über Steuern.
Das führt dazu, dass Bürger darauf achten, dass ihr Geld allen zugutekommt, was wiederum einer diversifizierten Wirtschaft Vorschub leistet. Da rohstoffarme Länder ihre Bürger und damit ihre Steuerzahler bei Laune halten müssen, sind sie zudem tendenziell demokratischer.
In rohstoffreichen Ländern ist das oft umgekehrt, wie das Natural Resource Governance Institute (NRGI), ein US-Thinktank, schreibt: "Wenn Länder hohe Einnahmen aus natürlichen Ressourcen erzielen, sind sie weniger darauf angewiesen, von den Bürgern Steuern zu erheben, und Politiker sind weniger direkt an die Wünsche der Bürger gebunden."
Kein schicksalhafter Automatismus
Rohstoffreichtum erhöht auch die Gefahr, dass es zu einem Bürgerkrieg kommt. Wenn ein Land nur sehr wenige Einkommensquellen hat, entwickeln verschiedene Bevölkerungsgruppen eher eine Alles-oder-nichts-Mentalität: Wer die wenigen Quellen kontrolliert, hat alles, und die anderen haben nichts.
In den letzten 30 Jahren war "die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs in ölproduzierenden Ländern doppelt so hoch wie in nicht-ölproduzierenden Ländern", schreibt das NRGI. Das trifft etwa auf Kongo, Nigeria, Irak, Libyen und Angola zu.
Ölreichtum könnte auch zu mehr Kriegen zwischen Staaten führen, der "Petro-Aggression". Das Paradebeispiel ist hier der Irak, der erst den Iran und dann Kuwait überfiel. Auch Russlands Überfall auf die Ukraine passt in dieses Schema.
Wegen der geringen Fallzahl ist ein Zusammenhang von Ölreichtum und der Neigung zu Angriffskriegen aber nicht gesichert.
Überraschenderweise liefert die Biologie allerdings einen Hinweis darauf, dass an der Petro-Aggressions-Hypothese doch etwas dran sein könnte: Wenn in einer Bakterienkultur viele Nährstoffe vorhanden sind, werden verschiedene Bakterienarten aggressiv. In einem nährstoffarmen Umfeld tendieren sie hingegen zu einem symbiotischen Verhältnis.
Was bei Bakterien ein schicksalhafter Automatismus zwischen Ressourcenreichtum und aggressivem Verhalten sein könnte, sollte sich in vernunftgeleiteten menschlichen Gesellschaften jedoch vermeiden lassen.
Und das tut es auch. Länder wie Botswana (Diamanten), Malaysia (Erdöl) und Chile (Kupfer) haben gezeigt, dass sich Rohstoffreichtum durchaus für die eigene wirtschaftliche Entwicklung nutzen lässt. Man muss es nur machen.