Die Klimabewegung muss sich neu sortieren. Die Grünen sind in der Opposition, die fossile Lobby übernahm offiziell die Macht im Wirtschaftsressort und die industrielle Agrarwirtschaft die im Landwirtschaftsministerium. Klimaleugner haben im Bundestag jetzt noch mehr Redezeit für ihre absurden Erzählungen.
Den bröckelnden Ruf des Klimaschutzes können auch bisher beliebte Narrative nicht kitten. Erzählungen wie die von der kognitiven Dissonanz zwischen Wissen und Tun oder von der immer gleichen Vision, wie schön und erstrebenswert ein klimaneutrales Leben im Jahr 2050 sein könnte, rufen nur noch müdes Lächeln hervor.
Recht frisch kommt da ein Narrativ daher, das es sogar schon in die Welt der Koalitionäre im Bundestag geschafft hat. Ihm sei es gerade in den ersten Beratungen zum neuen Umweltministerium wichtig zu sagen: "Klimaschutz ist nichts anderes als Menschenschutz", rief letzte Woche der SPD-Abgeordnete Esra Limbacher ins Plenum.
Limbacher, ein Vizefraktionschef der SPD, bleibt beim menschenschützenden Klimaschutz in dessen engerer Bedeutung stecken. Damit die Folgen der Klimakrise – wie letztes Jahr die Jahrhunderthochwasser – nicht noch häufiger und verheerender würden, müssten wir handeln, sagte der Parlamentarier.
Der Schutzgedanke beschränkt sich meist auf Klimaanpassung
In dieselbe Kerbe der Vorsorge hatten auch schon die Grünen im Bundestag geschlagen. Unter der Überschrift "Klimaschutz ist Menschenschutz" lobten sie letztes Jahr als Mitregierende noch das kurz zuvor in Kraft getretene Bundes-Klimaanpassungsgesetz.
Das Gesetz soll angesichts zunehmender Extremwetterfolgen Abhilfe schaffen, sagen die Grünen. Deswegen setzten sie sich dafür ein, dass Klimaanpassung zur Gemeinschaftsaufgabe erklärt und die dauerhafte Finanzierung gesichert wird, ist nach wie vor auf ihrer Website zu lesen.
Ist ja auch weiter aktuell. Die Grünen und die schwarz-rote Koalition haben da ein gemeinsames Ziel. Mit Klimaanpassung als Menschenschutz können auch Union und SPD etwas anfangen.
So soll laut Koalitionsvertrag der Hochwasser- und Küstenschutz beschleunigt und die Klimaanpassungsstrategie umgesetzt werden. Prüfen wollen Union und SPD auch die Einführung einer diesbezüglichen Gemeinschaftsaufgabe, sodass der Bund sich an den Kosten beteiligen kann.
Neu ist die Sache mit dem Menschenschutz nicht. Ein Buch mit dem gleichsetzenden Titel "Klimaschutz ist Menschenschutz" ist schon 2022 erschienen. Zuletzt geisterte das Narrativ aber verstärkt durch Medien und Politik. Es hat den unschätzbaren Vorteil, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Klima und Mensch herzustellen. Warum sollten das die Menschen nicht gut finden?
Der Natur ist die Rettung des Klimas egal
Die am weitesten ausholende Argumentation bei dem Narrativ geht so: Der Natur – oder wahlweise dem Klima – ist es ziemlich egal, ob wir sie retten oder nicht retten. Ums Klima sorgen wir uns gewissermaßen aus purem Eigeninteresse, Klimaschutz ist also gleich Menschenschutz.
Das kommt Leuten, die sich schon länger mit dem Schutz der Natur befassen, bekannt vor: Auch hier geht es am Ende nicht darum, die "Natur" oder die "Umwelt" zu retten, sondern der Sinn des Schutzes besteht im Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.

Denn der Mensch, will er einer bleiben, ist in jeder Hinsicht Teil der Natur. Außerhalb von ihr wäre er nicht entstanden, und er kann auch ohne eine menschenfreundliche Umwelt nicht würdig existieren. Nicht zufällig steht im Artikel 20a des Grundgesetzes: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere."
Konsequente Naturschützer verstehen darunter auch, die Natur um ihrer selbst willen zu schützen und nicht nur deswegen, weil diese zu etwas "nützlich" ist, ihre Ressourcen verwertbar sind oder die Natur sich zwecks späterer Nutzung regenerieren soll.
Schutz meint hier, eine konsequent nicht anthropozentrische Sicht einzunehmen. Wildnis ist oft vielfältiger, resilienter und zukunftsfähiger als eine künstlich erschaffene Welt.
Das gilt auch analog für den Klimaschutz. Der Erhalt der Natur, ihrer Vielfalt und die Mehrung ihrer Biomasse sind – neben der unabdingbaren CO2-Reduktion – letztlich die wichtigsten Maßnahmen zum Klimaschutz.
Nicht ohne Grund sprechen Klimawissenschaftler davon, dass der Verlust der Biodiversität derzeit ein noch größeres Problem als der Klimawandel ist. Denn mit dem Verlust der Arten gehen Resilienz und Wandlungsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel unwiederbringlich verloren – und es gibt keinen Ersatz.
Die Natur schützen, um sie für privaten Reichtum auszubeuten?
Auch ist die Natur die größte und effizienteste CO2-Senke, die uns in der Zukunft zur Verfügung steht. Wer Menschenschutz betreiben will, muss in gewisser Weise auch die Spezies Mensch vor sich selbst schützen, vor allem davor, den Reichtum der Natur in privaten Mehrwert zu verwandeln.
Konsequenter Klimaschutz kommt deswegen nicht ohne ein konsequentes "Nein" aus. Dieser Rohstoff bleibt im Boden, jener Wald wird nicht angerührt, in diesem Meeresgebiet haben Fischerei und Kreuzfahrtschiffe nichts verloren, die oder die gesellschaftliche Praxis ist nicht zukunftsfähig.
Beim Schlagwort vom "Menschenschutz" stellt sich zudem die Frage: Steht damit auch der Superkonsum der Reichen unter Schutz? Wird damit beispielsweise auch der Massentourismus unter Schutz gestellt, der die Natur des globalen Südens ausbeutet? Impliziert der Menschenschutz nicht ein grün garniertes "Weiter so"?
Nicht alle Menschen haben die gleiche Verantwortung fürs Klima. Seit langer Zeit und besonders in den letzten ein- bis zweihundert Jahren sind gerade wir Menschen im globalen Norden insgesamt gesehen mehr Fluch als Segen für die Erde – und damit auch Fluch für andere Menschen, schreibt Gudrun Lux, grüne Kommunalpolitikerin, Autorin und Katholikin.
Auch für sie ist Klimaschutz Menschenschutz – aber eben differenziert. Wer arm ist, sei besonders verwundbar. Mit Bezug auf die christliche Verantwortung für die Schöpfung mahnt Lux, uns dürfe die soziale Katastrophe, die mit der Klimakatastrophe einhergehe, nicht kaltlassen.
Klimaforscherin: 1,5 Grad sind ein soziales Ziel
Auch die Klimaforscherin und Philosophin Friederike Otto bezieht beim Klima- als Menschenschutz konsequent die soziale Sicht ein. Das Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erwärmung stelle für sie ein soziales Ziel dar, sagte Otto vor einem Jahr in einem Interview.
Es gelte, den Klimawandel zusammen mit anderen Problemen zu bekämpfen, vor allem der global extremen Ungleichheit. Je mehr arme Menschen mit den Folgen des Klimawandels allein blieben, desto mehr verstärke sich die Ungleichheit und damit die Instabilität der Gesellschaft. "So eine Gesellschaft ist schlecht für alle", betonte Otto.
Ein anerkanntes Mittel für so einen klimasozialen Menschenschutz ist übrigens das Klimageld. Das sah übrigens auch SPD-Politiker Limbacher so – vor der Bundestagswahl. Zwar treffe der steigende CO2-Preis allgemein auf Zustimmung, er dürfe private Haushalte aber nicht überfordern, schrieb Limbacher damals auf Nachfrage einer Nichtregierungsorganisation zum Tag der Klimademokratie.
"Deshalb braucht es zeitnah ein soziales Klimageld", schlussfolgerte der SPD-Politiker. Das Klimageld gehöre für ihn zu den drei wichtigen Maßnahmen, die er als Bundestagsabgeordneter umsetzen wolle, so steht es auf der Klimademokratie-Seite zu lesen.
Würde Limbacher seine Rede über den Menschenschutz ernst nehmen, hätte er da nicht schon letzte Woche ankündigen können – nein: müssen –, dass seine Fraktion zeitnah einen Antrag zu einem sozialen Klimageld einbringt?
Das wäre doch ein echter Schritt, um jenseits aller Narrative das Klima und die Menschen zu schützen.
Redaktioneller Hinweis: Friederike Otto gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.