Klimareporter°: Frau Kessler, in Deutschland gibt es voneinander getrennte Klimakulturen, die sich in ihren Ansichten zum Klimawandel, aber auch in ihrer Sprache deutlich voneinander unterscheiden, stellen Sie in ihrem neuen Buch fest. Eine der Kulturen lokalisieren Sie in akademischen Kreisen, in den Eliten und Medien, eine andere bei normalen Bürger:innen.
Dass beim Klima vielfach aneinander vorbeigeredet wird und jeder vor allem in seiner Blase kommuniziert – der Befund ist ja nicht so neu. Ist das Problem nicht eher, dass die Kulturen stetig auseinander driften, also sich immer weniger verstehen?
Sarah Kessler: Dazu ziehe ich einen interessanten Vergleich. Die Daten in meinem Buch beziehen sich auf die Verhältnisse im Jahr 2019. Das ist bewusst gewählt, weil in dem Jahr eine Europawahl stattfand.
Anfang Juni 2024 hatten wir wieder eine Europawahl. Wie eklatant sich die Situation seitdem verändert hat, ist an den Wahlergebnissen der Grünen abzulesen. Als einen Triggerpunkt für diese Entwicklung sieht der Soziologe Steffen Mau die Klimapolitik.
Wir haben sicher darauf zu achten, die These von einer Polarisierung aller gesellschaftlichen Bereiche nicht zu sehr zu strapazieren. Es gibt aber Bereiche, wo sich die Polarisierung in besonderem Maße verschärft, angeheizt auch von den Polarisierungsunternehmern, wie Mau sie nennt.
Zu diesen Bereichen, die sich besonders polarisieren, zähle ich die Klimathematik.
Interessant an der von mir vorgenommenen Rückschau auf die Zeit von vor fünf Jahren ist dabei: Schon damals waren viele der heutigen Polarisierungen angelegt. Die Entwicklung zeichnete sich schon im Voraus ab.
Was war damals schon angelegt?
Für das Buch habe ich drei Erhebungsmethoden angewandt: Expert:innen- und Fokusgruppen-Diskussionen sowie eine Medienanalyse.
Bis dahin war ich selbst in der "grünen" Blase unterwegs gewesen. In den Fokusgruppen traf ich in verschiedenen Berufsgruppen erstmals auf Verschwörungserzählungen.
Diese florierten dann gerade in der Corona-Pandemie, waren plötzlich in aller Munde. Aber die Erzählungen waren in der Gesellschaft eben bereits vorher angelegt worden. Sie verschärften sich dann durch Ereignisse wie den Ukraine-Krieg und eine veränderte politische Landschaft mit neuen Parteien.
Die Klimakommunikation ist schwieriger geworden. Das ist aber eigentlich nicht neu, sondern zeichnete sich schon seit Langem ab.
Ist Klimakommunikation nicht auch deswegen so schwierig, weil das Thema komplex ist? Es geht schon lange nicht mehr nur um eine Wissenschaft, die CO2-Konzentrationen misst und deren Folgen erforscht. Klimaschutz durchdringt mittlerweile alles Lebensbereiche.
Diese Geschichte mit der Komplexität beim Klimaschutz halte ich für schief gewickelt. Um das gesellschaftliche Problem zu verstehen, muss man eigentlich nur akzeptieren, dass es, erstens, einen Klimawandel gibt, dass dieser, zweitens, menschengemacht ist und dass, drittens, der Klimawandel vom Verbrennen fossiler Energien kommt. Mehr müsste man nicht verstehen, um aktiv zu werden.
Für ein großes Problem halte ich nach wie vor, dass der Klimawandel in weiten Teilen so abstrakt behandelt wird. Für den Zugang wird abstraktes Wissen benötigt. Dieser Zugang ist in der Gesellschaft aber immer noch ganz unterschiedlich vorhanden.
Sarah Kessler
ist Sozialwissenschaftlerin am Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie promovierte in Anthropogeografie an der LMU München, ihre Schwerpunkte sind Umweltsoziologie, Nachhaltigkeitsforschung, Sozialtheorie, sozialer Wandel und soziale Bewegungen. Im März 2024 erschien ihr Buch "Competing Climate Cultures in Germany" im Transcript Verlag.
In den letzten 75 Jahren sind in Deutschland im Zuge des Wirtschaftswunders und der Bildungsexpansion bestimmte Wissensformen aufgewertet und andere abgewertet worden. Letzteres geschah mit dem greifbaren Wissen, mit dem lokal Handwerklichen und plastisch Haptischen. Dieses Wissen wurde krass abgewertet, während wissenschaftliches Wissen und Akademikertum aufgewertet wurden.
Für mich hat das viel damit zu tun, warum manche Gruppen sich mit dem Klima schwertun und Dinge für selbstverständlich nehmen, die andere Gruppen nicht für selbstverständlich nehmen können. Da wird teilweise in unterschiedlichen Sprachen gesprochen oder mit unterschiedlichen Maß gemessen.
Beim Klimawandel gibt es einfache Wahrheiten: Er ist real, von der Menschheit ausgelöst und durchs Verbrennen fossiler Ressourcen verursacht. Zugleich ist der Klimawandel aber auch eine Ansammlung von Wahrscheinlichkeiten über Wetterextreme, Kipppunkte und alle möglichen bis unmöglichen Folgen. Kann sich da am Ende nicht jeder seine Wahrheit irgendwie zusammenzimmern – bis hin zur Leugnung des Klimawandels?
Für mich steckt da ein Henne-Ei-Problem drin. Hat die Abwertung anderer Wissensformen dazu geführt, dass die Leute resignieren und sich sogenannte alternative Wahrheiten suchen? Führte die Delegation der Nachhaltigkeitsfrage an die Wissenschaft dazu, dass sich Wissenschaft und Bevölkerung entfremdeten?
Das Problem, den Klimawandel zu verstehen, hat viele Schichten. Grundsätzlich teile ich dabei den Konsens, dass es uns nicht an detailliertem naturwissenschaftlichem Wissen fehlt, sondern an dessen Übersetzung ins Handeln.
Und es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass detailliertes wissenschaftliches Wissen die Art von Aktivität entfaltet, die von den Leuten angesichts des Klimawandels erhofft wird. Diese Aktivität kann erst am Ende eines politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses stehen, den wir dringend brauchen.
Als eiserne Regel gilt in der Klimakommunikation doch aber immer noch: Die richtige und überzeugende Information über den Klimawandel – über die emotionalen Ängste eingeschlossen – wird dazu führen, dass Menschen richtig handeln. Das lässt doch die sozialen Verhältnisse außer Acht, unter denen die Leute handeln.
Genau. Das ist, kurz gesagt, die These meiner Forschung und der Punkt, auf den ich hinauswill und mit den Klimakulturen beschreibe: Diese Gruppen definieren sich auch sozioökonomisch sowie aufgrund ihres kulturellen Kapitals.
Die Menschen stecken in bestimmten, teilweise unterbewussten Verhaltensmustern und in emotionalen Verbindungen zu ihrem Elternhaus, ihrem Freundeskreis und anderen. Diese stark bindenden Emotionen halten uns davon ab, dass wir Wissen sozial umsetzen.
Sind Medien mit der Aufgabe, Wissen in soziales Handeln umzusetzen, aber nicht überfordert? Ein Beispiel: Würde die Bundesregierung das versprochene Klimageld einführen, könnten die Leute viel eher vom Sinn steigender CO2-Steuern oder einer klimaverträglicheren Mobilität überzeugt werden.
Dass es in der Klimapolitik in Deutschland strukturell hakt – in dem Punkt gebe ich Ihnen recht.
Es bleibt aber ein großes Problem, dass die Gesellschaft über einen Kamm geschoren und nicht differenziert betrachtet wird. Und Emotion spielt schon eine große Rolle.
Ein Beispiel: Viele Menschen in Deutschland sind mit einem gewissen kosmopolitischen Verständnis aufgewachsen, haben vielleicht im Ausland studiert und sich im Freundeskreis über Reisen unterhalten. Der Klimawandel stellt diese Art zu leben komplett infrage. Selbstbild, Identität und Selbstverständnis der Leute werden grundsätzlich angegriffen.
Viele fallen dann in eine Art Reflex und weisen die nötige Veränderung zurück. Das ist eben keine rein individuelle Sache, weil man sich immer wieder mit dem eigenen sozialen Umfeld rückversichert. Am Ende läuft das auf die ungeschriebene Übereinkunft hinaus, dass man kollektiv wegschaut.
Das erklärt für mich noch nicht, warum gerade sozial benachteiligte Gruppen, die eher nicht kosmopolitisch geprägt sind und die von konsequentem Klimaschutz profitieren würden, politischen Kräften zuneigen, die den Klimawandel gänzlich in Abrede stellen.
Da sehe ich mehrere Gründe: Zum einen folgen die Menschen der populistischen Rhetorik. Diese versteht es – im Gegensatz zur Wissenschaftskommunikation –, die Leute auf einer anderen Ebene zu erreichen. Populisten gehen an die Leute nicht abstrakt heran, wo sich Menschen abgewertet fühlen oder den Eindruck haben, dass das nicht ihre Art ist zu sprechen.
Zum anderen streben sogenannte Leitkulturen danach, sich durch die Art und Weise abzugrenzen, wie man lebt und konsumiert. Sie betreiben eine sogenannte ökologische Distinktion, ziehen also im Umgang mit Umwelt- und Klimafragen eine Grenze zwischen sich und anderen.
Für mich gibt die heutige Leitkultur vor, dass Fliegen, schnelle Autos und große Häuser cool sind. Das wird gesellschaftlich insbesondere in den sozialen Medien befeuert. In der Kombination mit der populistischen Rhetorik kann das dazu führen, dass viele Menschen sich nicht für das entscheiden, was für sie vermutlich besser wäre.
Die Crux besteht darin, dass die Mehrheit der Gesellschaft – und da zähle ich die Mehrheit der progressivsten Milieus dazu – am Ende des Tages den nicht nachhaltigen Status quo verteidigt. Es gibt den unausgesprochenen Verteidigungskonsens, man möchte einfach nur zurück zur Normalität und nur normal leben.
Ein wirklicher Veränderungswille ist nicht zu entdecken. Und wenn es ihn gibt, läuft er vor allem auf eine Art ökologische Modernisierung oder allenfalls eine sozial-ökologische Transformation hinaus. Manche halten das für Narrative der Beruhigung und der Hoffnung.
Aber sehenden Auges weiter die Klima- und die Biodiversitätkrise anzutreiben, ist auch nicht die klügste Strategie. Was wäre für Sie ein Schritt, um bei der Bewältigung des Klimawandels real voranzukommen?
Solche Vorschläge zu machen, ist nicht meine allererste Aufgabe. Mein Job ist es, Gesellschaften ehrlich zu beschreiben. Und es ist keineswegs leicht, rauszugehen und selbst diejenigen, die sich mit dem Klimathema identifizieren, mit der Überlegung zu konfrontieren, dass ihr Verhalten nicht hundertprozentig in Ordnung ist.
Einen großen Freundeskreis bekommt man da nicht.
Das ist wahr.
Und wer soll nun wie handeln?
Ich halte viel davon, Verantwortung für den Klimaschutz zusammen mit Wirksamkeit zu betrachten. Deswegen sehe ich diejenigen in Verantwortung, die wirklich an den langen Hebeln sitzen. Und das sind nicht die einzelnen Konsument:innen, sondern die Entscheider:innen in Politik und und Wirtschaft.
Ich glaube auch, dass wir mit dem Vermitteln von kognitivem Wissen und dem Vertrauen darauf, was die Wissenschaft sagt, beim Klima nicht weiterkommen. Sondern wir müssen uns die gesellschaftlichen Gegebenheiten sowie die sozialen Bindungen und emotionalen Beweggründe für bestimmte Verhaltensweisen anschauen.