Das Rätseln hat ein Ende. Zumindest für zehn der insgesamt 17 Minister:innenposten in der kommenden Bundesregierung.

Anfang der Woche stellte Friedrich Merz die Minister und Ministerinnen der CDU in Berlin vor, Markus Söder die Ressortchefs der CSU in München. Auch politisch Interessierte dürften den einen oder anderen Namen erstmal in eine Suchmaschine ihrer Wahl eingetippt haben.

 

Einige Personalien waren zwar erwartet worden: Merz' Intimus Thorsten Frei soll als Kanzleramtsminister seinem Chef den Rücken freihalten, der Sicherheitspolitiker Johann Wadephul wird Außenminister und mit Alexander Dobrindt an der Spitze des Innenministeriums will die CSU die im Wahlkampf versprochene Law-and-Order-Politik durchsetzen. Es gibt aber eben auch einige Überraschungen.

Besonders wichtig für die künftige Klimapolitik der Bundesrepublik: Auf Robert Habeck folgt im Wirtschaftsministerium Katherina Reiche. Die 51-Jährige saß 17 Jahre im Bundestag. Sie hat als Staatssekretärin im Umwelt- wie auch im Verkehrsministerium mitgemischt.

Reiche bringt also politische Erfahrung mit, hat sich allerdings 2015 aus der Politik verabschiedet. Als die studierte Chemikerin überraschend ihren Posten im Verkehrsministerium aufgab und nur einen Tag später an die Spitze der einflussreichen Lobbyorganisation Verband kommunaler Unternehmen (VKU) gewählt wurde, hallte die Empörung wochenlang durch das politische Berlin.

"Eine Vorstandsvorsitzende als Wirtschaftsministerin kann wichtige zusätzliche Kompetenzen einbringen."

Ihr hastiger Wechsel von der Politik zum Lobbyismus fiel wohl nicht ganz zufällig auf den Tag, an dem das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf auf den Weg brachte, um die Übergangszeiten von Politiker:innen in die Wirtschaft zu regeln.

Seit 2015 gilt hier für Minister:innen und Staatssekretär:innen eine Karenzzeit von zwölf bis 18 Monaten. Beim Wechsel von der Wirtschaft in die Politik gibt es eine solche Regel nicht.

Zwar wird Reiches neues Ministerium erneut umgekrempelt und verliert formal die Zuständigkeit für Klimaschutz an das Umweltministerium, bleibt aber in der Praxis essenziell für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. Wie schon von 2013 bis 2021 soll das Ressort wieder für Wirtschaft und Energie zuständig sein.

Seit 2019 leitet Katherina Reiche mit Westenergie die größte Tochtergesellschaft des Energiekonzerns Eon. Sie ist zudem Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrates und gehört seit Kurzem auch dem Aufsichtsrat des schwedischen Energiespeicherentwicklers Ingrid Capacity an.

"Energieunternehmerin wird Energieministerin"

Während der aus Brandenburg stammenden Christdemokratin also schwerlich vorzuwerfen ist, keine Erfahrung in der Energiewirtschaft mitzubringen, steht ihr mit diesem Portfolio gleichzeitig das Wort "Interessenkonflikt" dick auf die Stirn geschrieben.

Entsprechend zweigeteilt reagiert die Öffentlichkeit. So lobte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, Friedrich Merz für seinen Mut, Personen außerhalb der Politik in sein Kabinett zu berufen.

"Eine Vorstandsvorsitzende als Wirtschaftsministerin kann wichtige zusätzliche Kompetenzen einbringen", erklärte Fratzscher.

Kritisch äußerte sich hingegen Christina Deckwirth, Sprecherin der Transparenzorganisation Lobbycontrol. Mit Reiche werde eine Energieunternehmerin zur Energieministerin und habe in ihrer neuen Position Entscheidungen zu treffen, die sich für ihren jetzigen Arbeitgeber direkt auswirken.

"Es ist höchst fraglich, ob sie die nötige kritische Distanz und Unabhängigkeit zur Energiewirtschaft einhalten kann."

"Es ist höchst fraglich, ob Reiche die nötige kritische Distanz und Unabhängigkeit zur Energiewirtschaft einhalten kann, um ausgewogen zu entscheiden", so Deckwirth.

Westenergie schreibt sich die Energiewende als oberste Mission zwar auf die Fahne und unterstützt auch kommunale Ökostromprojekte, verdient gleichzeitig als Gasnetzbetreiber aber weiter mit fossilen Energieträgern Geld. Auch der Mutterkonzern Eon verdient nach wie vor am fossilen Geschäft, trotz des Verkaufs aller Anteile an der früheren Kraftwerkstochter Uniper.

Die Ausarbeitung einer nachhaltigen Wasserstoffpolitik wird in den kommenden Jahren eine zentrale Aufgabe des Wirtschaftsministeriums sein. Während die Energiewirtschaft Wasserstoff vor allem als neuen Wachstumsmarkt begreift, muss die Politik klare Regeln vorgeben.

Auch Westenergie und Eon hätten wirtschaftliche Interessen an Wasserstoff und würden entsprechend lobbyieren, sagte Deckwirth.

Da die Herstellung von Wasserstoff sehr energieintensiv ist und grüner Wasserstoff – nur diese mit Ökostrom hergestellte Variante ist klimaneutral – auf absehbare Zeit rar bleiben wird, muss gelten: Wasserstoff darf nur dort angewendet werden, wo es keine Alternative gibt.

Viele Baustellen für den Verkehrsminister

Ohne ein wirkliches Umdenken im Verkehr und in der Landwirtschaft wird das gesetzlich festgeschriebene Ziel, Klimaneutralität bis 2045, nicht erreicht werden können. Bei der Besetzung der entsprechenden Ressorts gibt es ebenfalls zwei Überraschungen.

Weder der für das Verkehrsministerium vorgesehene CDU-Politiker Patrick Schnieder noch sein bayerischer Amtskollege für die Landwirtschaft, Alois Rainer, sind bisher bundespolitisch groß in Erscheinung getreten.

Friedrich Merz soll die Kabinettsbesetzung im Großen und Ganzen allein entschieden haben. (Bild: Steffen Prößdorf/​Wikimedia Commons)

Schnieder war in der vergangenen Legislaturperiode immerhin stellvertretendes Mitglied im Verkehrsausschuss. Somit hat der Jurist zumindest etwas verkehrspolitische Erfahrung auf Bundesebene. Auf ihn kommen große Aufgaben zu. Marode Straßen, marode Brücken, ein sanierungsbedürftiges und unterentwickeltes Schienennetz, Stop-and-go bei alternativen Mobilitätsmodellen und bei der Elektrifizierung des Verkehrs – alle diese Knoten müssen in den kommenden vier Jahren gelöst werden.

Dafür hat Schnieder den drittgrößten Posten im Bundeshaushalt zur Verfügung. Obendrauf kommt noch das 500-Milliarden-Infrastruktur-Sondervermögen, von dem ein substanzieller Anteil in Verkehrsprojekte fließen soll.

Das bisherige verkehrspolitische Profil des Rheinländers ist durchmischt. Noch unter Angela Merkel sprach er sich für Elektromobilität aus und setzte sich für die Elektrifizierung der Bahnstrecke von Köln nach Trier ein. 

Gleichzeitig verteidigte er 2021 noch den Bundesverkehrswegeplan und damit zahlreiche Autobahnprojekte, die laut mehreren Analysen nicht nur klimaschädlich, sondern auch unwirtschaftlich sind.

Eine tatsächliche Verkehrswende scheint unter Schnieder also unwahrscheinlich. Dass es schlimmer wird als unter seinen Vorgängern, aber auch.

Söder schickt Anti-Grünen nach Berlin

Eine echte Herausforderung sind die jährlich rund 50 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent aus der Landwirtschaft, mit denen sich Alois Rainer die nächsten vier Jahre herumschlagen muss. Ohne Tierproduktion und Industriedüngung massiv zu senken, bleiben Klimamaßnahmen in dem Bereich Augenwischerei.

Ob ein wirkliches Umdenken mit Alois Rainer möglich sein wird, ist zu bezweifeln. Der niederbayerische Metzgermeister führt seit drei Jahrzehnten einen Gasthof mit Fleischerei und scheint von Markus Söder vor allem als sinnbildlicher Anti-Grüner nach Berlin geschickt worden zu sein.

Anstelle des "grünen, veganen Cem Özdemir" komme jetzt der "schwarze Metzgermeister", hämte Söder, als er Rainer als neuen Minister vorstellte.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, lobte die Personalie und hob dabei Rainers Fachkompetenz hervor, womit vermutlich gemeint ist, dass er auf dem Bauernhof seiner Eltern aufgewachsen ist. Die Verbraucherorganisation Foodwatch bezeichnete ihn hingegen als "personifizierte Ambitionslosigkeit des Koalitionsvertrags".

In der Tat gibt der Koalitionsvertrag wenig Anlass zur Hoffnung auf eine Agrarwende. "Wir bekennen uns zur landwirtschaftlichen Nutztierhaltung", heißt es dort. Reizworte wie Nitrat oder Tierbesatz vermeidet das 144 Seiten dicke Dokument sorgfältig.

 

Nun stehen also nur noch die Minister:innen der SPD aus. Auch hier sind klimapolitisch relevante Ressorts dabei, etwa Bau und Umwelt.

Die Sozialdemokrat:innen wollen das Tuch am 5. Mai lüften und damit genau einen Tag, bevor Friedrich Merz zum neuen Bundeskanzler gewählt werden soll.

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