Flaches Gebäude mit Solardach in karger Landschaft
So etwas will Elon Musk in Brandenburg bauen: Modell der Tesla-Gigafactory im US-Bundesstaat Nevada. (Foto: Jeff Scott/Flickr)

Klimareporter°: Herr Glahr, haben Sie schon nachgerechnet, wie ​viel Ökostrom die Tesla-Gigafabrik benötigt und wie viele Windparks Sie dafür in Brandenburg brauchen?

Jan Hinrich Glahr: Ich vermute, Tesla wird auf dem Dach der Fabrikhallen oder integriert in die Gebäudefassade selbst Strom erzeugen. Ein Teil des Bedarfs wird aus Bestandsanlagen in der Region gedeckt.

Das wird mit Sicherheit aber nicht reichen. Wir brauchen zusätzliche Wind- und Solaranlagen.

Gibt es in der Nähe des geplanten Tesla-Standortes Grünheide freie Flächen, die für neue Windkraft geeignet sind?

Inzwischen ist es zwar üblich, in Industriegebieten neue Wind- und Solarkraftwerke hinzustellen. Regionaler Bezug heißt aber nicht, dass die Windkraftanlage neben dem Werk stehen muss, wir reden da von einem Radius von circa 50 Kilometern vom Standort entfernt. In der zuständigen Regionalplanung sind einige Windeignungsgebiete ausgewiesen, die mit neuen Anlagen bebaut werden können.

Als ein Motiv, dass Tesla sich für Brandenburg entschied, gilt, dass das Bundesland viel Strom aus Wind und Sonne hat. Das muss doch Musik in ihren Ohren sein.

Tesla-Chef Elon Musk ist bekannt dafür, dass er sich um CO2-neutrale und nachhaltige Technologien bemüht. Ihm ist klar: Solange E-Autos nicht reinen Ökostrom tanken, sondern den deutschen Graustrom mit einem hohen Anteil Kohle, wie er bei uns aus der Steckdose kommt – so lange sind E-Autos von der Ökobilanz her nicht viel besser als Verbrenner.

Ein E-Auto hat erst Sinn, wenn es allein mit Ökostrom fährt. Noch konsequenter ist es, wenn man auch bei der Produktion der Autos möglichst geringe Emissionen erzeugt. Das Auto der Zukunft ist das, was CO2-neutral gebaut und CO2-neutral betrieben wird.

Dass sich die Politik in Bund und Ländern hinter CO2-neutrale Konzepte und entsprechend hinter die erneuerbaren Energien stellt – das Gefühl hatte man zuletzt gar nicht mehr, im Gegenteil.

Die Politik hat, das spürt man, einen Spagat zu leisten. Die eine Meinung ist, dass es durch die Erneuerbaren Chancen gibt, in Brandenburg in strukturschwachen Regionen Industrie anzusiedeln. Auf der anderen Seite steht die Angst vor dem Protest gerade gegen die Windkraft und dem vermeintlichen Verlust von Wählerstimmen. In diesem Spannungsfeld ist die Politik oftmals nicht in der Lage, positive Signale zu senden.

Porträtaufnahme von Jan Hinrich Glahr.
Foto: Silke Reents/​BWE

Jan Hinrich Glahr

arbeitete nach seinem Betriebs­wirtschafts­studium am Institut für Seeverkehrs­wirtschaft und Logistik in Bremen, bei Cargolifter und weiteren Unternehmen. Seit 2005 leitet er in Potsdam eine Ökostrom-Beratungs­firma und seit 2018 das schleswig-holsteinische Grünstrom­unternehmen Regiogröön. Glahr sitzt im Vorstand des Bundes­verbandes Erneuerbare Energie (BEE) und war vier Jahre Vizepräsident im Bundes­verband Windenergie (BWE). In Brandenburg leitet er deren Landes­verbände.

Ich erlebe jetzt aber auch, dass der Brandenburger Ministerpräsident seit mindestens einem halben Jahr sehr positiv über die Erneuerbaren redet. Erst einmal sollen diese, sagt er, die heimische Industrie versorgen. Den Anfang machte hier – eben vor einem halben Jahr – der Chemieriese BASF, der in Brandenburg einen großen Chemiepark betreibt ...

… im südbrandenburgischen Schwarzheide.

Der Konzern startet eine neue globale Strategie. Er will durch Carbon-Management-Projekte CO2-neutral wachsen. Dazu gehört auch, sofern man externen Strom braucht, CO2-neutralen Strom einzukaufen. Und in Schwarzheide läuft das BASF-Pilotprojekt für diese neue Wachstumsstrategie. Und seitdem sagt der Ministerpräsident öffentlich, es sei auch eine Chance, dass wir in Brandenburg erneuerbaren Strom herstellen.

Tesla ist ebenso ein globales Unternehmen, das – wie BASF für sein Pilotprojekt – ganz bewusst den Standort in Brandenburg ausgewählt hat. Weil es hier die Erneuerbaren gibt. Auf diese Art positive Argumentation für die Erneuerbaren, für die Windenergie haben wir lange gewartet.

Bundesweit gab es 2019 den größten Einbruch beim Ausbau der Windkraft in der Geschichte. Wie sieht es in Brandenburg aus?

Wir sind genauso stark betroffen. Im ersten Halbjahr haben wir in Brandenburg ganze acht Anlagen installiert, im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 80 Prozent beim Zubau. Dabei war 2018 schon um die Hälfte schlechter als 2017.

Wir sind massiv eingebrochen und die Unternehmen müssen erste Konsequenzen ziehen. Vestas mit seiner Rotorblattherstellung in der Lausitz reagierte auf die geringe Nachfrage und musste 500 Beschäftigte entlassen.

Die Landespolitik, die sich jetzt mit Tesla schmückt, hat Ihre Branche in den letzten Jahren ziemlich hängen lassen.

Besonders die Zeit in der letzten Legislaturperiode mit dem damaligen SPD-Wirtschaftsminister Albrecht Gerber hat nichts für die Akzeptanz der Windenergie gebracht. Er hat sich zu einseitig für die Kohle eingesetzt. Und das wird jetzt bestraft.

Das ist ja das Paradoxe: In dieser Zeit, wo der Ministerpräsident die Erneuerbaren so toll lobt, ist der Ausbau der Windenergie in Brandenburg zusammengebrochen. Und allein mit Solarstrom wird man die Gigafactory nicht betreiben können, weil die Sonne nachts nun einmal nicht scheint. Wir brauchen alle Formen der Erneuerbaren.

Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies klagt, der 1.000-Meter-Abstand für neue Windkraft, der nun ins Klimaschutzgesetz gegossen wird, sei reine Willkür.

Die Debatte um die Abstände der Windkraft zu Wohngebäuden ist eine sehr unglückliche. Die Politik suggeriert, größere Abstände würden zu mehr Akzeptanz führen.

Das stimmt aber nicht. Das ist sozialwissenschaftlich nachgewiesen. Wenn jemand etwas gegen Windenergie hat, ist es ihm egal, ob das Windrad 800, 1.000 oder 1.500 Meter vom Gebäude weg steht. Wenn er es nur sieht, wird es ihn schon stören.

Die Abstandsdebatte behebt deswegen auch gar nicht die Hemmnisse bei der Akzeptanz der Windenergie, sondern im Gegenteil: Werden zu große Abstände gewählt, bricht der ganze Ausbau zusammen. Das erleben wir gerade.

Wie sollte das Problem gelöst werden?

Wenn überhaupt, dann haben sich die Abstände nach technischen Kriterien zu richten, nach den Emissionen von Licht und Geräuschen. Und hier kommt dann der harte Fakt der Messung ins Spiel. Und natürlich sind die geltenden Grenzwerte einzuhalten.

Dadurch kann es sein, dass man für eine bestimmte Anlage an einem Standort 1.000 Meter Abstand braucht. Für eine andere Anlage sind es dann 800 Meter, wo die Menschen nicht über Gebühr gestört werden. Und es kann Fälle geben, wo es mehr als 1.000 Meter sein müssen.

In Brandenburg arbeiten wir übrigens, weil wir viel Fläche haben, seit Jahren mit 1.000 Metern Abstand zur Wohnbebauung. Das ist hier nicht so die Herausforderung.

In Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen aber ist damit nur schwer umzugehen. Dort bricht der Windkraft ein Großteil möglicher Flächen weg. Diese Bundesländer haben dann keine Chance mehr, ihren Beitrag zum Ausbau der Erneuerbaren zu leisten.

Mit der Tesla-Fabrik sollen 7.000 bis 10.000 Arbeitsplätze nach Berlin und Brandenburg kommen – so viel, wie die Lausitzer Braunkohle überhaupt noch bietet. Ist das nicht ein starkes Argument für eine Zukunft mit den Erneuerbaren?

Bunte Workshop-Pinnwand mit Ideen zum Thema
Dass nach der Kohle eine Tesla-Batteriefabrik nach Brandenburg kommen könnte, klang auf einem Workshop vergangenes Jahr in der Braunkohleregion noch ziemlich utopisch. (Foto: Jörg Staude)

Absolut. Das ist ja die Riesenchance für die Politik. Sie kann sagen: "Seht mal her, Leute, es ist sinnvoll, dass wir in Brandenburg Solar, Wind und auch Biogas so ausgebaut haben – dafür werden wir jetzt mit dieser Ansiedlung belohnt."

Ich denke, die Menschen werden das verstehen – und nicht nur in der Region um Grünheide im Landkreis Märkisch-Oderland. Auch in der Uckermark oder in der Lausitz wird es positive Effekte geben.

Elon Musk will ja nächstes Jahr mit dem Bau der Fabrik anfangen und 2021 fertig sein. So schnell werden Sie neue Windparks nicht aus dem Boden stampfen können.

Richtig – einerseits ist die Frage: Wie viele Anlagen können, bis die Fabrik fertig ist, noch errichtet werden? Andererseits fallen ab Anfang 2021 auch in Brandenburg Windanlagen aus der EEG-Vergütung. Diese Windräder könnten, wenn es keine wirtschaftliche Anschlusslösung gibt, verschwinden und Brandenburg würde nicht Windstrom dazugewinnen, sondern verlieren. Das sollte gerade wegen der Tesla-Ansiedlung nicht passieren.

Was kann man da tun?

Eine Chance wäre, dass das Land Brandenburg alle Akteure der Wind- und der Solarbranche, bei denen Anlagen aus dem EEG fallen, auffordert, diesen Strom nicht irgendwohin wegzugeben, sondern einen großen Bilanzkreis zu bilden.

In dem müssen Stromanbieter alle 15 Minuten ihre Erzeugung mit der Nachfrage ihrer Stromkunden ausgleichen.

Die Idee ist: Wir legen den grünen, vom EEG befreiten Strom Brandenburgs in einem Bilanzkreis zusammen und liefern die Energie dann der Gigafactory. Man muss sehen, wie viel Megawatt zusammenkommen, aber es wäre eine tolle Möglichkeit, die alten Anlagen wirtschaftlich in Betrieb zu halten.

Vor allem gilt dieser Strom, weil er nicht mehr über die Strombörse läuft, sondern direkt zum Abnehmer geliefert wird, dann auch als echter Ökostrom. Und nur den wollen Firmen wie BASF oder Tesla, die auf ihr grünes Image Wert legen.

Genau. Mit dem Unternehmen Regiogröön versuchen wir seit zwei Jahren, private Haushalte und Kommunen für echten Ökostrom aus der Region zu begeistern, auch, um die Akzeptanz zu steigern. Aber dann kam auf einmal BASF und sagte, das sei eine gute Idee, das bräuchten sie auch, nur eben in größeren Mengen.

Und dasselbe will auch Tesla. Das ist eine Superchance, über die ich mit dem Ministerpräsidenten schon gesprochen habe. Wir in Brandenburg müssen unsere Kräfte einfach bündeln. Viele tausend kleinere Anlagen, die aus dem EEG gehen, tun sich zusammen und sagen: "Hey Leute, wir brauchen keine großen Strukturen, sondern nur einen Bilanzkreis als eine Art Stromplattform, die Tesla direkt beliefert." Das ist eine Superstory für Brandenburg.

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