In Raffinerien wird Erdöl zu Benzin, Diesel, Kerosin oder Heizöl verarbeitet – schon heute mit kräftigen Subventionen. (Bild: Mikael Moiner/Flickr)

Die Debatte um den Industriestrompreis entwickelt sich zum politischen Dauerbrenner. Im Frühjahr dieses Jahres kam die folgende Erzählung auf: Vor der vom Ukraine-Krieg ausgelösten Energiekrise habe die Industrie etwa sieben Cent für die Kilowattstunde Strom bezahlen müssen. Dieser Preis sei dann auf ein Mehrfaches gestiegen, seitdem zwar wieder gesunken, aber nicht genügend.

Aktuell kostet die Kilowattstunde an der Börse – Stromlieferung 2024 – ungefähr 13 Cent. Kurzfristig ist Strom für acht oder neun Cent zu haben.

Hohe Stromkosten um die 13 Cent, so geht die Erzählung weiter, gefährden Unternehmen, die viel Strom verbrauchen, wie Stahl- und Aluminiumwerke, Chemie-, Glas- und Papierfabriken oder Raffinerien.

Schon im Frühjahr hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) reagiert und vorgeschlagen, betroffenen Unternehmen für 80 Prozent ihres Stromverbrauchs einen reduzierten Preis von sechs Cent pro Kilowattstunde zu gewähren.

Eine noch stärkere Reduzierung auf nur fünf Cent sah ein Mitte April vom SPD-Bundestagsabgeordneten Bernd Westphal vorgelegtes Konzept vor. Für zwei Jahre sollte dieser "Transformationsstrompreis" gelten und dann evaluiert werden, schrieb der Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft der SPD-Fraktion.

Die fünf Cent finden sich auch in einem vergangene Woche von der SPD-Bundestagsfraktion beschlossenen Positionspapier für "wettbewerbsfähige Strompreise".

Im Unterschied zu Habeck will die SPD nicht nur energieintensive Branchen unterstützen, sondern auch Hersteller von Batterien, von Wind- und Solaranlagen, Wärmepumpen und Wasserstoffelektrolyseuren sowie Unternehmen, die CO2 verwerten oder speichern.

Große Unternehmen genießen schon heute viele Privilegien 

Der Vorschlag, Strom-Großverbraucher zu subventionieren, birgt etliche Probleme. Das erste: Viele große Unternehmen erfreuen sich jetzt schon einer Vielzahl von Privilegien, mit denen sie ihren Strompreis drücken, etwa geringere bis gar keine Steuern und Abgaben auf den Stromverbrauch.

Zudem werden stromintensiven Netznutzern, die 10.000 Megawattstunden Strom an mindestens 7.000 Stunden im Jahr abnehmen, bei den Netzentgelten Abschläge von bis zu 90 Prozent gewährt. 2021 zahlten durchschnittliche Haushaltskunden 75,20 Euro je Megawattstunde an Strom-Netzentgelten – die Kosten für Industriekunden lagen mit 26,70 Euro nur bei rund einem Drittel, zitiert ein jetzt erschienener Greenpeace-Report Angaben der Bundesnetzagentur.

Mit Stromlieferanten schließen Großverbraucher in der Regel Sonderverträge ab, deren Konditionen strengstes Geschäftsgeheimnis sind. Auch haben energieintensive Betriebe oft eigene Kraftwerke, deren preisliche Kalkulation kaum bekannt ist.

Studien kommen so zu dem immer gleichen Ergebnis, dass sich die realen Stromkosten großer Industrieunternehmen nicht genau bestimmen lassen. Auch die Tagesschau stellte Mitte August fest: "Zuverlässige Vergleichsdaten, wie viel Industriebetriebe rund um den Globus für ihren Strom bezahlen, gibt es nicht."

Am Ende ist also gar nicht klar, ob Unternehmen den verbilligten Strom wirklich nötig haben, um wettbewerbsfähig zu sein, oder ob sie nur leichter Hand ihren Gewinn steigern. Kein Wunder, dass eine Reihe von Ökonominnen und Ökonomen einen künstlich verbilligten Industriestrompreis ablehnt.

Unsozial, marktverzerrend und klimaschädlich

Nicht wegen hoher Energiekosten drohe Deutschland eine Deindustrialisierung, sondern vor allem wegen der verschlafenen industriellen Transformation, kommentierte Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, die Debatte schon im Frühjahr auf Twitter. Auch konterkariere ein Industriestrompreis dringend nötige Energieeinsparungen sowie Effizienz-Investitionen.

Darüber hinaus sei ein Industriestrompreis höchst unsozial, betonte Fratzscher. Unternehmen würden massiv subventioniert, Bürgerinnen und Bürger – vor allem die mit geringen Einkommen – gingen leer aus.

Anzeigetafel mit Kurswerten einer Börse, darin spiegeln sich Wolkenkratzer.
Ökostrom muss heute an der Börse vermarktet werden. (Bild: Gerd Altmann/​Pixabay)

Ein weiteres Problem: Allein die energieintensive Industrie verbraucht im Jahr deutlich mehr als 100 Milliarden Kilowattstunden – etwa ein Viertel des in Deutschland benötigten Stroms. Diese Strommenge preislich herunterzusubventionieren, stellt einen massiven Eingriff in den Strommarkt dar.

An der Börse werden, bildlich gesprochen, alle Stromerzeugungsarten in einen Topf geworfen. Der Strompreis für alle wird letztlich von dem Kraftwerk bestimmt, das als letztes und teuerstes noch gebraucht wird, um den Bedarf zu decken.

Am teuersten ist heutzutage vor allem die Verstromung von Kohle, Öl und Gas. Ein milliardenteurer Industriestrompreis würde also gerade die fossile Erzeugung unterstützen. Er wäre vor allem eine weitere Subvention fossiler Energieträger, bestätigt DIW-Chef Fratzscher.

Dabei summieren sich die Strompreis-Subventionen, die fossile Energieträger in der Industrie begünstigen, schon jetzt auf knapp 3,8 Milliarden Euro jährlich, rechnet der Greenpeace-Report vor.

Der Großteil der analysierten klimaschädlichen Subventionen fließe dabei an wenige Großunternehmen in besonders energieintensiven Branchen. "Milliardengeschenke an die Industrie für billigere fossile Energie verteuern und blockieren den klimagerechten Wandel der Wirtschaft", sagte Greenpeace-Experte Bastian Neuwirth.

SPD will Ökostromförderung umbauen

Die Kritik an der bisherigen Konstruktion des Industriestrompreises nahm sich die SPD offensichtlich zu Herzen. In ihrem Positionspapier präsentiert sie deshalb ein kompliziertes Modell, wie die Industrie den Ausbau von Ökostrom fördern und zugleich davon profitieren kann.

Unter anderem sollen dazu zunächst mehr direkte Stromlieferverträge zwischen Ökostromerzeugern und Unternehmen geschlossen und diese dann zu größeren Ökostrom-"Pools" zusammengefasst werden.

Das schaffe für die Industrie eine größere Versorgungssicherheit gegenüber der schwankenden Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom, argumentiert die SPD. Die Erneuerbaren hätten ihrerseits sichere Einnahmen und müssten sich nicht mehr auf die unberechenbare Börse verlassen.

Dabei belässt es die SPD aber nicht. Die Sozialdemokraten wollen zugleich das Fördermodell für die erneuerbaren Energien umstellen.

Bisher garantiert der Staat geförderten Erneuerbaren-Anlagen meist über 20 Jahre eine feste Vergütung. Die Betreiber müssen ihren grünen Strom dennoch an der Börse vermarkten. Gibt es dort weniger Erlös als garantiert, trägt der Staat die Differenz. Liegt der Erlös an der Börse über dem garantierten Preis, können die Ökostromer den Gewinn behalten – bisher jedenfalls.

Nach dem Willen der SPD soll die Förderung künftig auf sogenannte Differenzverträge umgestellt werden. Grüne Stromerzeuger bekämen weiter einen garantierten Erlös. Nehmen sie beim Stromverkauf aber mehr als den garantierten Preis ein, soll der Gewinn künftig abgeführt werden – und beim SPD-Modell nicht mehr an den Staat, sondern an die Unternehmen, die sich den Ökostrom aus dem Pool liefern lassen.

Die SPD verspricht sich davon, dass mit der Zeit ein "subventionsloser Erneuerbaren-PooI" entsteht. Ökostrom werde dadurch so gut verfügbar und so billig, dass ein Industriestrompreis nicht mehr nötig wäre, wird im Positionspapier erklärt.

Die Erneuerbaren-Branche ist von den Differenzverträgen allerdings wenig bis gar nicht begeistert. Sie müsste schließlich auf einen Teil ihrer Einnahmen verzichten, damit vor allem die Industrie noch preiswerteren Strom bekommt.

Dass der SPD-Vorschlag jemals umgesetzt wird, ist zu bezweifeln. Das gilt auch für den subventionierten Industriestrompreis insgesamt. Denn letztlich befördert er die Energiewende nicht, sondern bremst sie ab.