Aysel Osmanoglu. (Bild: Patrick Tiedtke/​GLS)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Aysel Osmanoglu, Vorstandssprecherin der GLS Bank.

Klimareporter°: Frau Osmanoglu, die Regierung brachte diese Woche das Solarpaket auf den Weg. In der Öffentlichkeit stehen die Erleichterungen für Balkonkraftwerke im Vordergrund, das Paket enthält aber auch Verbesserungen für große gewerbliche Dachanlagen und für Doppelnutzung wie Agri-, Floating-, Moor- und Parkplatz-Photovoltaik. Bleiben da eigentlich noch Wünsche offen?

Aysel Osmanoglu: Wünsche bleiben offen, aber zunächst möchte ich das Solarpaket würdigen. Es bringt viele wichtige Erleichterungen.

Auch wenn Balkonkraftwerke bis jetzt keine riesigen Mengen an Strom produzieren, können sie in der Masse und für die einzelnen Haushalte einen großen Unterschied machen. Wer bislang vor der Bürokratie zurückgeschreckt ist, holt sich jetzt vielleicht doch Solarpanels. Ich bin eine Freundin der Idee, Menschen zu ermächtigen. Hier können viele Menschen im Kleinen aktiv werden und die Energiewende mit voranbringen.

Auch die im Solarpaket angelegte Möglichkeit, einfacher in Gemeinschaft Strom zu erzeugen, ist eine tolle Sache. Allerdings ist damit noch nicht klar, welche Rechte Mieter:innen haben, wenn die Vermieter:innen etwa aus ästhetischen Gründen ein Balkonkraftwerk verbieten.

Andere Regelungen des Pakets betrachte ich noch mit Vorbehalt, etwa Solaranlagen auf wiedervernässten Moorgebieten. Die Energiewende und der Natur- und Artenschutz können nur zusammen gelingen, wenn keine neuen Probleme dabei entstehen, wenn also etwa die Rückkehr wichtiger Tier- und Pflanzenarten in dieses Ökosystem durch das Solarprojekt nicht behindert wird.

Zudem besteht sehr viel alternatives Potenzial auf versiegelten Flächen, das zuerst gehoben werden sollte.

Knapp 60 Milliarden Euro ist 2024 der Klima- und Transformationsfonds schwer. Das meiste Geld daraus soll in die Gebäudesanierung, vor allem die soziale Abfederung des Heizungsgesetzes, und in die Erneuerbaren-Förderung fließen. Zwar finanziert sich der Fonds aus dem CO2-Emissionshandel der EU und Deutschlands, ein ausgleichendes Klimageld für die Haushalte gibt es aber auch 2024 noch nicht. Wie bewerten Sie die Ausgabenpolitik des Fonds?

Seit Langem ist klar, dass wir einen höheren CO2-Preis brauchen, um die Transformation in der Breite zu einem weniger klimaschädlichen Energieverbrauch zu lenken. Damit wissen wir auch, dass ein hoher CO2-Preis für Menschen ohne ausreichendes finanzielles Kapital abgefedert werden muss.

Denn erstens sind die weniger "wohlhabenden" Menschen statistisch nicht diejenigen, deren CO2-Ausstoß uns Sorgen bereiten muss. Und zweitens treffen hohe Energiepreise sie sehr viel härter, in allen Bereichen des täglichen Lebens.

Insofern ist die Idee des Klimageldes, das aus den CO2-Einnahmen des Fonds kommen soll, in der Theorie gut. Denn wer viel ausstößt, zahlt mehr – und umgekehrt erhalten Menschen mit weniger Emissionen eine Hilfe.

Dass das Klimageld wohl erst 2025 starten kann, macht mich nachdenklich. Auch wenn der CO2-Preis erst in den Folgejahren stärker ansteigt, sind jetzt konkrete Maßnahmen zum Schutz von Menschen mit weniger Geld notwendig.

Wenn der Klima- und Transformationsfonds nun aber die Einnahmen aus dem CO2-Handel zunächst in Gebäudesanierung und erneuerbare Energien steckt, dort also höhere Subventionen ermöglicht, profitieren davon eher die Wohlhabenden. Der soziale Gedanke einer Hilfe für die Ärmsten bleibt leider auf der Strecke.

Angesichts des aufstrebenden Populismus brauchen wir jedoch gesellschaftliche Akzeptanz für dringend notwendige Klimaschutzmaßnahmen. Wir müssen den sozialen Gedanken für finanziell benachteiligte Menschen in den Fokus stellen.

Selbst bei einem kalten Winter und Gas-Lieferproblemen braucht Deutschland nicht unbedingt neue schwimmende LNG-Terminals, prognostiziert der Gasspeicherverband Ines. Langfristig werde die Marktentwicklung diese Terminals ohnehin infrage stellen. Die Ampel-Regierung hält aber an ihren großen Plänen zum LNG-Ausbau fest. Drohen hier in ein paar Jahren schwimmende Investitionsruinen?

Durch die aktuellen Ausbauvorhaben beim Flüssigerdgas erleben wir eine fossile Renaissance. Grundsätzlich ist es richtig, dass wir fossile Infrastruktur als Überbrückung nutzen, bis die Erneuerbaren ausreichend Versorgungssicherheit liefern. Das New Climate Institute und die Deutsche Umwelthilfe haben jedoch errechnet, dass der aktuell geplante Ausbau von LNG-Kapazitäten überdimensional kalkuliert ist.

Durch das LNG-Beschleunigungsgesetz wird den Betreibern zusätzlich eine hohe Auslastung der Terminals bis zum Jahr 2043 erlaubt. Damit gefährden wir die nationalen Klimaziele. Mit den avisierten Kapazitäten setzen die LNG-Terminals falsche Signale auf dem Weg zu mehr Erneuerbaren.

Das neue Gesetz lässt aber auch hoffen: wenig Bürokratie, schnelle Genehmigungsverfahren, effiziente Organisation von Infrastruktur – all die Rahmenbedingungen, die bislang die deutsche Energiewende bremsen, scheinen veränderbar. Nicht irgendwann, sondern jetzt.

Wenn wir die "German-Geschwindigkeit" für Flüssigerdgas auf den Ausbau der Erneuerbaren übertragen, entwickeln wir uns zu einem wettbewerbsfähigen Industriestandort der Zukunft. Davon bin ich überzeugt.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Das Bafa, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, hat eine sogenannte Handreichung zum deutschen Lieferkettengesetz veröffentlicht. Darin wird der Finanzsektor quasi aus der Verantwortung genommen. Banken und Versicherungen müssen demnach ihre Geschäftsbeziehungen im Kredit- und Einlagengeschäft nicht auf mögliche Verstöße internationaler Menschenrechte prüfen.

Die Begründung lautet, dass Finanzakteure über keine direkte Zulieferfunktion verfügen würden, deshalb bestehe keine klassische Kundenbeziehung. Diese Einordnung hat mich im ersten Moment persönlich getroffen: Banken sollen kein Teil der Wertschöpfungskette sein? Diese Perspektive kann und möchte ich nicht teilen.

Auf europäischer Ebene wird gerade über den Rahmen des EU-Lieferkettengesetzes verhandelt. Dort beharrt das EU-Parlament glücklicherweise auf der großen Verantwortung des Finanzsektors bei der Ausgestaltung der Sorgfaltspflichtenrichtlinie.

Die Ausgestaltung sollte natürlich nicht in rein bürokratischer Mehrarbeit für die Branche enden. Aber ich finde, dass es Instituten, die mit Milliardengeldern operieren, zuzumuten ist, Verantwortung für ihr Kerngeschäft zu übernehmen.

Als Vorständin einer Bank sehe ich Geld als Gestaltungsmittel. Gestalten beinhaltet aber eben auch Verantwortung. Davon wünsche ich mir mehr in der Finanzbranche.

Fragen: Jörg Staude