Klimareporter°: Frau Ludewig, das deutsche Lieferkettengesetz gilt seit Anfang des Jahres und auf EU-Ebene wird gerade um eines verhandelt. Was soll mit diesen Gesetzen erreicht werden?
Simone Ludewig: Die Frage, die wir mit einem Lieferkettengesetz zu beantworten hoffen, ist: Wie lässt sich die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards in einer globalisierten Wirtschaft garantieren?
Die Idee des Lieferkettengesetzes geht auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 zurück. Diese völkerrechtlich nicht bindenden Leitprinzipien nehmen Unternehmen in die Pflicht, Menschenrechte entlang ihrer Wertschöpfungskette einzuhalten.
Aufbauend auf diesen Prinzipien hat die Bundesregierung über einen nationalen Aktionsplan versucht, die deutsche Wirtschaft dazu anzuhalten, auf freiwilliger Basis Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten zu schützen. Das hat leider nicht funktioniert.
Seit Anfang des Jahres gibt es deshalb in Deutschland ein rechtlich bindendes Lieferkettengesetz. Gleichzeitig laufen auf EU-Ebene gerade die Verhandlungen für ein EU-weites Lieferkettengesetz, das aller Voraussicht nach weiter greifen soll als das deutsche.
Die Diskussion hat sich seit 2011 natürlich auch weiterentwickelt. Neben den Menschenrechten werden in der EU auch Umwelt- und Klimastandards diskutiert.
Kann ein Unternehmen in dem vielfach vernetzten globalen Wirtschaftssystem überhaupt Standards für alle Lieferschritte und Zulieferfirmen zu gewährleisten?
Damit das einem Unternehmen möglich ist, müsste es – egal ob im Anwendungsbereich des deutschen oder später des EU-Lieferkettengesetzes – eine Risikoanalyse seiner gesamten Lieferkette durchführen. Gegebenenfalls müssen dann gemeinsam mit den Zulieferern Maßnahmen ergriffen werden, um Verstöße zu beseitigen oder Risiken vorzubeugen.
In Kontrollprozessen muss die Wirksamkeit der Maßnahmen überprüft werden und Stakeholder müssen zu den Auswirkungen konsultiert werden.
Natürlich wird bei den Maßnahmen auch das Einflussvermögen des Unternehmens berücksichtigt. Das hängt etwa davon ab, ob es ein direkter oder ein indirekter Zulieferer ist. Das ist dann eine Frage der Angemessenheit.
Was heißt das konkret? Wie kann ein Unternehmen vorgehen?
Das unterscheidet sich von Unternehmen zu Unternehmen. Entscheidend ist, dass es eine klare Zuständigkeit für diese umfassende Risikoanalyse gibt und das Unternehmen dabei in Kontakt mit den Lieferanten tritt. Und zwar wirklich bis zurück zum Rohstoff.
Simone Ludewig
arbeitet bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch und koordiniert die Aktivitäten der Initiative Lieferkettengesetz, eines Bündnisses aus rund 140 zivilgesellschaftlichen Organisationen, das starke, verbindliche Regeln für Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und zum Umwelt- und Klimaschutz fordert.
Dabei ist das Risiko in manchen Sektoren besonders hoch, etwa beim Mineralienabbau oder auch in einigen Teilen der Landwirtschaft. Dort ist die Sorgfaltspflicht von Unternehmen dann auch besonders streng auszulegen.
Allerdings muss der Blick nicht nur an den Anfang der Lieferkette, sondern auch ans Ende der Lieferkette gehen: Was passiert mit den Produkten, die ein Unternehmen herstellt? Das ist besonders wichtig bei Produkten wie Pestiziden oder Waffen.
Wie sehen die Regeln zum Klimaschutz aus?
In dem deutschen Lieferkettengesetz kommt das Klima noch gar nicht vor. Für das EU-Lieferkettengesetz gibt es unterschiedliche Vorschläge und noch keine endgültige Fassung.
Auf EU-Ebene scheint es sich aber in die Richtung zu entwickeln, dass Unternehmen Klimapläne erarbeiten müssen, die im Einklang mit dem Paris-Abkommen sind. Daran müssen sich die Unternehmen dann halten.
Ob auch die Scope-3-Emissionen, also die Emissionen aus der gesamten vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette einbezogen werden, ist noch Teil der Verhandlungen.
All das muss dann natürlich staatlich kontrolliert werden. Wie das genau aussehen wird, ist aber auch noch nicht klar.
Es zeichnet sich also ab, dass das EU-Lieferkettengesetz in wesentlichen Punkten weiter greift als das deutsche. Aber in einigen Punkten haben die EU-Kommission, das Parlament und die Mitgliedsstaaten sehr unterschiedliche Vorstellungen. Wie sieht der weitere Prozess aus?
Momentan gibt es die üblichen Beratungen zwischen Kommission, Parlament und Ministerrat. Es soll in jedem Fall noch in dieser Legislatur eine Einigung erzielt werden, also spätestens Anfang nächsten Jahres. Am ambitioniertesten ist die Position des EU-Parlaments.
Es ist die Rolle von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie unserem Bündnis, auf die Bundesregierung zuzugehen und Druck auszuüben. Sie muss sich ernsthaft mit den Vorschlägen des Parlaments auseinandersetzen, damit am Ende ein tatsächlich wirksames Lieferkettengesetz garantiert werden kann.
Worin liegen die Hauptunterschiede zwischen dem deutschen Lieferkettengesetz und den Entwürfen, die gerade in der EU verhandelt werden?
Es gibt viele Unterschiede. Aller Voraussicht nach soll das EU-Gesetz mehr Unternehmen in die Pflicht nehmen. Das deutsche Gesetz legt außerdem den Fokus auf direkte Zulieferfirmen und nicht auf die gesamte Wertschöpfungskette und auch nicht darauf, was mit den produzierten Produkten passiert – Stichwort Pestizide und Waffen.
Klimabezogene Pflichten kommen in der deutschen Fassung ebenso wenig vor wie eine zivilrechtliche Haftung. Wie groß die Unterschiede letztendlich sein werden, lässt sich aktuell aber noch nicht sagen, da die EU-Verhandlungen noch laufen.
Wirtschaftsverbände haben viel Kritik an den Vorschlägen für das EU-Lieferkettengesetz geäußert. Ein Hauptargument ist, dass der bürokratische Aufwand kleinere Unternehmen ab 500 oder 250 Mitarbeiter:innen überfordern könnte. Können Sie das nachvollziehen?
Das kann ich nur sehr bedingt nachvollziehen. Nach geltendem Recht sind bereits heute alle Unternehmen ab einer Größe von 250 Mitarbeitenden zu einer Nachhaltigkeits-Berichterstattung verpflichtet. Wir glauben, dass das Lieferkettengesetz nur einen überschaubaren Mehraufwand bedeuten würde.
Viele mittelständische Unternehmen berichten, dass sie ohnehin in die Lieferketten von großen Konzernen eingebunden sind und somit schon jetzt in Risikoanalysen und andere Maßnahmen einbezogen werden.
Allgemein lässt sich sagen, dass es für alle Unternehmen einfacher wird, wenn möglichst viele Unternehmen mitmachen. Und natürlich gilt wie gesagt das Kriterium der Angemessenheit. Von einem mittelständischen Unternehmen, das gerade so über der Personalgrenze liegt, wird etwas anderes erwartet als von einem großen Autokonzern.
Tatsächlich finden wir, dass die Grenze von 250 Beschäftigten sogar noch einige wichtige Zweige aus dem Blick lässt. Finanzdienstleister und Unternehmen im Bergbau haben zum Teil nur wenige Mitarbeitende. Dabei haben Finanzdienstleister eine enorme Hebelwirkung in unserem Wirtschaftssystem und das Geschäftsmodell von Bergbauunternehmen geht typischerweise mit hohen menschenrechtlichen und ökologischen Risiken einher.
Haben Sie weitere Kritikpunkte an den EU-Vorschlägen?
Dass selbst der ehrgeizigste Vorschlag, vorgelegt vom Rechtsausschuss des EU-Parlaments, diverse Ausnahmeregelungen für Finanzunternehmen vorsieht, ist einer unserer Hauptkritikpunkte. Wer Unternehmen und Vorhaben finanziert, trägt Verantwortung.
Aber die Sorgfaltspflicht soll für diese Unternehmen etwa nur für Geschäftsbeziehungen mit direkten Großkunden gelten und sie sollen von der zivilrechtlichen Haftung weitestgehend ausgenommen werden.
Die zivilrechtliche Haftung ist ein weiteres großes Streitthema. Was fordern Sie hier?
In allen Vorschlägen für das EU-Gesetz ist eine zivilrechtliche Haftungsregel vorgesehen. Das heißt, dass Betroffene Unternehmen vor einem Zivilgericht auf Schadenersatz verklagen können. Die Verjährungsfristen sollen nach dem Vorschlag des Parlaments auf zehn Jahre erhöht werden. Auch das begrüßen wir.
Das Verfahren um den Brand beim Kik-Zulieferer in Pakistan im Jahr 2012, bei dem über 250 Menschen ums Leben gekommen sind, wurde etwa wegen Verjährung nach pakistanischem Recht 2019 eingestellt.
Problematisch ist allerdings, dass keiner der Vorschläge das größte Hindernis für Betroffene aufgreift – die Verteilung der Beweislast. Betroffene müssen beweisen, dass ein Unternehmen seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Gleichzeitig haben sie aber keinen Zugriff auf unternehmensinterne Unterlagen, was die Sache für die Betroffenen sehr, sehr schwierig macht.
Viel einleuchtender wäre es, dass Unternehmen bei einem Schaden nachweisen müssten, inwieweit sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind. Sie haben schließlich Zugang zu allen Dokumenten.
Halten Sie die Vorschläge zur klimabezogenen Sorgfaltspflicht für ausreichend?
Eine Verpflichtung für Unternehmen, einen Klimaplan aufzustellen und umzusetzen, begrüßen wir ausdrücklich. Aber es gibt eben das Problem der Scope-3-Emissionen. Wenn sie nicht miteinbezogen werden, wird auch nicht die Klimawirkung der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigt.
Wir fordern deshalb, dass dieser Punkt in den gegenwärtigen Verhandlungen klargestellt wird. Bei den bisherigen Formulierungen haben die Unternehmen viel Spielraum.
Ist es nicht wahrscheinlicher, dass der relativ ambitionierte Vorschlag des EU-Parlaments in den Verhandlungen aufgeweicht wird?
Das ist zu befürchten. Die Positionen des Parlaments und der EU-Mitgliedsstaaten liegen an einigen Punkten ziemlich weit auseinander und vermutlich wird sich im Rahmen der Verhandlungen nicht immer das Parlament durchsetzen können.
Eine weitere Frage ist dann, welche Freiräume den Mitgliedsländern bei der Umsetzung zugestanden werden. Auch hier besteht die Gefahr, dass Regelungen abgeschwächt werden.
Was passiert, wenn sich ein Unternehmen nicht an die Vorgaben hält?
Auch da sind sich die EU-Institutionen noch nicht einig. Das Parlament möchte, dass die Höchstgrenze von Sanktionen bei mindestens fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes liegt. Ministerrat und Kommission wollen die Entscheidung darüber den Mitgliedsstaaten überlassen.
Niedrigere Sanktionen je nach Schwere des Verstoßes sind natürlich immer möglich.
Vor allem muss es kompetente und gut ausgestattete Kontrollbehörden geben, die Beschwerdehinweisen nachgehen können und Sanktionen entsprechend umsetzen. Die Höhe einer rein hypothetischen Sanktion spielt sonst am Ende gar keine Rolle.
Könnte ein strenges Lieferkettengesetz nicht dazu führen, dass es für Unternehmen günstiger ist, die Geschäftsbeziehungen zu Firmen oder Ländern im globalen Süden zu kappen – etwa wenn die Überprüfung der Einhaltung von Standards aufwendiger ist?
Das ist ein Argument, das wir natürlich ernst nehmen. Ziel des Gesetzes ist es, die Sozial- und Umweltstandards entlang der weltweiten Lieferketten zu verbessern. Je mehr Unternehmen daran teilnehmen, desto größer die Lenkkraft.
Der Abbruch von Geschäftsbeziehungen hat auch menschenrechtliche Relevanz für eine Region. Deshalb sollte das nur die absolute Ultima Ratio sein und nur dann ergriffen werden, wenn es schwere Verstöße gibt und geeignete Maßnahmen nicht in absehbarer Zeit zu einer Verbesserung führen können.
Es gehört deshalb auch zur Sorgfaltspflicht eines Unternehmens zu überprüfen, ob die Beendigung der Zusammenarbeit im Zweifelsfall nicht größere Menschenrechts- und Umweltrechtsrisiken mit sich bringt, als wenn man in der Geschäftsbeziehung bleibt und zusammen mit den Zulieferern an den Problemen arbeitet.
So steht das tatsächlich auch in den aktuellen Vorschlägen der EU-Mitgliedsstaaten und des Parlaments.
Es geht nicht darum, alle Verstöße bis zu einem Stichtag abzustellen, sondern gemeinsam mit Zulieferern die Standards kontinuierlich zu verbessern.
Können Sie ein konkretes Beispiel skizzieren, wie das Lieferkettengesetz in Regionen des globalen Südens zu einer Verbesserung führen könnte?
Das ist in der Kürze tatsächlich schwierig, denn eine Standardlösung läuft stets Gefahr, auf reines Kästchenankreuzen hinauszulaufen. Wichtig ist aber stets, dass Unternehmen alle fünf Sorgfaltsschritte beachten, wie sie nun auch im Lieferkettengesetz stehen.
In einer Fallstudiensammlung wird das erwähnte Beispiel aus der Textilindustrie exemplarisch erläutert. Auf unserer Website gibt es weitere Fallbeispiele.