Die Energiekonzerne RWE und Uniper machen derzeit vor privaten Schiedsgerichten Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe gegen den niederländischen Staat geltend, weil dieser 2019 ein Kohleausstiegsgesetz verabschiedete.
Die Konzerne argumentieren, das niederländische Kohleausstiegsgesetz habe zur Konsequenz, dass sie die Energieproduktion in ihren Kohlekraftwerken bis 2030 einstellen müssten und dadurch Schaden erleiden würden. Uniper spricht von einer "De-facto-Enteignung".
Solche privaten Schiedsklagen werden durch den Energiecharta-Vertrag (ECT) ermöglicht, einen multilateralen Investitionsschutzvertrag für den Energiesektor aus den frühen 1990er Jahren. Dieser Vertrag stellt eine immer größere Gefahr für eine dringend benötigte progressive Klimapolitik dar.
Der kürzlich veröffentlichte IPCC-Bericht findet deutliche Worte dafür, wie es in Sachen Klimawandel und Klimapolitik derzeit steht: Die Einhaltung der Pariser Klimaziele ist außer Reichweite, der Handlungsbedarf ist enorm und nur noch ein systemischer Wandel wird heftigste Klimafolgen abwenden können.
Klimaforscher: Fossil-Ausstieg wird blockiert
Im neuen IPCC-Bericht findet auf Seite 2442 auch der Energiecharta-Vertrag Erwähnung – mit einem Verweis auf die Risiken, die dadurch ermöglichte Schiedsklagen von Investoren gegen Staaten wegen beschlossener Klimaschutzmaßnahmen bergen.
Zahlreiche Wissenschaftler:innen hätten bereits auf die Gefahr hingewiesen, dass Unternehmen im fossilen Sektor das System der privaten Schiedsklagen nutzen können, um Gesetze einzelner Staaten zu blockieren, die einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zum Ziel haben, so der IPCC-Bericht.
Am heutigen 28. April findet die Hauptversammlung der Aktionär:innen von RWE statt. Die Hauptversammlung von Uniper ist auf den 18. Mai angesetzt.
Ein Thema werden möglicherweise auch die Gerichtsprozesse sein, mit denen die Konzerne Schadenersatz in Milliardenhöhe vom niederländischen Staat verlangen, um sich den Kohleausstieg zu versilbern. Dieses Vorgehen ist nicht nur klima- und demokratiepolitisch fragwürdig, auch rechtlich steht es auf dünnen Füßen.
Beim Energiecharta-Vertrag handelt es sich um ein Investitionsschutzabkommen, das in der Öffentlichkeit allerdings weitaus weniger bekannt ist, als etwa TTIP oder Ceta, gegen die einst Zehntausende auf die Straße gingen.
Investitionsschutzabkommen sollen private Unternehmen davor bewahren, dass ihre Investitionen durch staatliches Handeln entwertet werden. Klassischerweise richtet sich dieser Schutz gegen Enteignungen, wobei der Begriff äußerst weit gefasst wird.
Außerdem verpflichten sich die Staaten regelmäßig dazu, ausländische Unternehmen gerecht und billig zu behandeln (fair and equitable treatment).
Diese weit gefassten Begrifflichkeiten erlauben es Unternehmen, jede Schmälerung von Gewinnerwartungen – etwa Umweltschutzbestimmungen – als Verstoß gegen das Abkommen zu behandeln. Im Falle einer Verletzung sehen die Abkommen eine Schadenersatzpflicht des Staates vor.
Private Schiedsgerichte sind für Konzerne attraktiver
Der Energiecharta-Vertrag schreibt außerdem ein Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) vor privaten Schiedsgerichten vor, um Streitigkeiten zwischen einem ausländischen Unternehmen und einem Staat zu lösen.
Dieses System machen sich auch die deutschen Energiekonzerne RWE und Uniper zunutze, indem sie vor Schiedsgerichten Entschädigungssummen in Milliardenhöhe vom niederländischen Staat fordern.
Der Weg zu privaten Schiedsgerichten stellt sich für Unternehmen oft attraktiver dar als der über nationale Gerichte. Aufgrund des recht vagen Vertragstextes der Energiecharta versprechen sich Unternehmen oftmals weit höhere Entschädigungssummen.
Lilian Löwenbrück
studierte grenzüberschreitende Verbrechensbekämpfung an der University for Peace und am UN-Institut für interregionale Kriminalitäts- und Justizforschung UNICRI in Turin. Im Rahmen ihres Rechtsreferendariats beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin arbeitet sie derzeit zu den Themenbereichen Wirtschaft und Menschenrechte sowie Klimagerechtigkeit.
Die Verhandlungen der privaten Schiedsgerichte sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich und es urteilen auch keine öffentlich bestellten Richter:innen, sondern private Anwält:innen, die durch die Parteien selbst als Schiedsrichter:innen bestellt werden.
Auch Mitarbeiter:innen des ECT-Sekretariats in Brüssel, das den Vertrag verwaltet, standen kürzlich in der Kritik, enge Verbindungen zur fossilen Energiewirtschaft zu pflegen.
Zugleich bestehen auch juristische Zweifel an der Zulässigkeit der Klagen.
2018 stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Achmea-Entscheidung fest, dass die Schiedsklausel von bilateralen Investitionsabkommen auf EU-Ebene nicht anwendbar ist. Im konkreten Fall ging es um das Investitionsabkommen zwischen der Slowakei und den Niederlanden. Solche Investitionsstreitigkeiten auf EU-Ebene müssten vor Gerichten der beteiligten EU-Staaten beigelegt werden, so der EuGH.
2021 führte der EuGH dann im Komstroy-Urteil aus, dass die Schiedsklausel auch bei multilateralen Verträgen wie dem Energiecharta-Vertrag nicht anwendbar sein soll, sofern es um Streitigkeiten zwischen einem EU-Mitgliedsstaat und Investor:innen aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat geht.
Anlass zu dieser Feststellung bot ein Rechtsstreit zwischen der Republik Moldau als Drittstaat und einem Investor aus einem weiteren Drittstaat, dem ukrainischen Unternehmen Komstroy. Der EuGH hatte seine Zuständigkeit in dieser Sache damit begründet, dass der Energiecharta-Vertrag als ein auch von der Europäischen Union geschlossenes Abkommen einen Bestandteil der Unionsrechtsordnung darstelle.
EuGH-Urteile binden private Schiedsgerichte nicht
Zwar binden die EuGH-Urteile die privaten Schiedsgerichte nicht, da diese selbst nicht Teil der EU sind und kein Europarecht, sondern Völkerrecht anwenden. Gleichwohl würde die Nichtbeachtung der Urteile zu Reibungen führen.
Denn nationale Gerichte sind wiederum an die EuGH-Urteile gebunden. Das lässt die Durchsetzung eines möglichen Schiedsspruchs zugunsten von RWE und Uniper auf nationaler Ebene jedenfalls fraglich erscheinen.
Insofern wäre eine Beachtung der EuGH-Urteile durch das Schiedsgericht sinnvoll, allein um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden. Aus diesen Gründen haben die Niederlande beim Oberlandesgericht Köln beantragt, die Schiedsklagen von Uniper und RWE für unzulässig zu erklären. Über das Verfahren wurde bislang noch nicht entschieden.
Auch ist zweifelhaft, ob den klagenden Unternehmen in der Sache überhaupt Entschädigungszahlungen zustehen. Das Kohleausstiegsgesetz der Niederlande ist Ausdruck der regulatorischen Freiheit, die den Staaten das Recht einräumt, im öffentlichen Interesse auch solche Maßnahmen zu ergreifen, die erwartete Unternehmensgewinne schmälern, sofern sie keinen diskriminierenden Charakter haben.
Andreas Gutmann
ist Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP) der Universität Bremen im DFG-geförderten Projekt "Die Natur als Rechtsperson". Zurzeit befasst er sich in seinem Referendariat beim ECCHR mit Wirtschaft und Menschenrechten sowie Klimagerechtigkeit.
Zudem lassen Entwicklungen in der Gesetzgebung sowie im europäischen Energiesektor daran zweifeln, dass eine Beibehaltung von Kohle als Energiequelle auch über 2030 hinaus noch profitabel sein wird.
Im Fall von Uniper wurden die Investitionen im Geschäftsjahr 2007/2008 getätigt, das fragliche Kraftwerk von RWE ging 2015 in Betrieb. Schon damals war absehbar, dass Betreiber von Kohlekraftwerken ihre CO2-Emissionen deutlich würden verringern müssen, um die Betriebsstätten weiterbetreiben zu dürfen.
Die Unternehmen können sich somit nur schwerlich darauf berufen, die Investitionen in der Erwartung getätigt zu haben, den Betrieb von Kohlekraftwerken ungehindert fortsetzen zu können.
Die Klagen gegen das niederländische Kohleausstiegsgesetz machen allerdings ein grundlegendes Problem von Investitionsschutzabkommen sichtbar: Diese erlauben es Unternehmen, demokratische Entscheidungen vor einer intransparenten Instanz infrage zu stellen, und schränken somit den politischen Gestaltungsspielraum empfindlich ein.
Investitionsschutzabkommen können im Einzelfall dazu führen, dass sich die Gewinninteressen von Konzernen gegen den Klimaschutz durchsetzen.
Reformieren oder abschaffen?
Derzeit finden Verhandlungen über eine Reform des Energiecharta-Vertrags statt. Grundlegende Veränderungen zeichneten sich bislang jedoch nicht ab. Einige EU Staaten erklärten bereits, ganz aus dem Vertrag ausscheiden zu wollen.
Die Kündigung wird bislang nach einem Jahr wirksam, jedoch können Investoren aufgrund einer Auslaufklausel noch 20 Jahre danach die Verletzung ihrer Rechte vor Schiedsgerichten geltend machen, wenn ihre Investitionen vor Wirksamwerden der Kündigung getätigt wurden. Insofern beabsichtigen auch einige Staaten, den Energiecharta-Vertrag ganz abzuschaffen, einschließlich der Auslaufklausel.
Deutschland sollte sich diesen Forderungen anschließen und so verhindern, dass deutsche Energieunternehmen andere Staaten vor privaten Schiedsgerichten mit Schadenersatzforderungen überziehen, was die Erfüllung des Pariser Klimaabkommens erheblich behindert. Auch mehr als eine Million EU-Bürger:innen verlangten bereits in einer Petition den Ausstieg aus dem ECT.
Wie die Zukunft des Energiecharta-Vertrags und der beiden Kohleausstiegsverfahren aussehen wird, ist derzeit kaum absehbar. Dass die beiden Energieunternehmen ihre Klagen vor den Schiedsgerichten zurückziehen werden, ist wohl nicht zu erwarten. Allerdings könnte ausreichender Druck ihrer Aktionär:innen auf den Hauptversammlungen einen entscheidenden Einfluss ausüben.
Darüber hinaus erscheinen jedoch auch grundlegende Änderungen an der Architektur des internationalen Investitionsschutzrechts notwendig, soll es nicht zum Hemmschuh für die dringend notwendige Energiewende werden.