Der Frust der Klimaforscher:innen ist verständlich. Aus zwei Gründen. Erstens, weil die Welt nicht lernen will, und zweitens wegen des Ukraine-Krieges.
Im Jahr 1990 hat der Weltklimarat IPCC seinen ersten Sachstandsbericht vorgelegt. Er diente als Basis für die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, die 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro verabschiedet wurde. Ihr Ziel: eine "gefährliche Störung des Klimasystems" zu verhindern.
Doch nun, mehr als drei Jahrzehnte später, stellt das Gremium in seinem sechsten großen Report erneut fest, dass Regierungen, Wirtschaftsführer:innen und Konsument:innen seinem Rat nicht gefolgt sind. Und dass nur noch wenige Jahre bleiben, um die große Wende herbeizuführen. Dass die Zeit schlicht abläuft.
Putins Ukraine-Krieg macht den Frust umso größer. Der Klimarat legt den letzten Teil des aktuellen Berichts, in dem es um die Lösungen für den Umbau von Industrie, Verkehr, Infrastruktur und Agrarsystem geht, just während eines mörderischen Konflikts vor, der mit vielen Milliarden Dollar und Euro aus den Gewinnen für fossile Energien finanziert wird.
Und es liegt doch auf der Hand: Hätten die Industriestaaten, darunter die EU, die Abkehr von Erdgas, Erdöl und Kohle seit 1992 wirklich konsequent betrieben und die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen nicht noch erhöht, der Despot aus Moskau hätte diesen Krieg gar nicht führen und auch sein aktuelles atomares Drohpotenzial nicht aufbauen können.
Die Erfahrungen mit der Lernfähigkeit der Weltgemeinschaft in puncto Klimaschutz sind also mehr als ernüchternd. Der IPCC stellt es eindeutig fest. Die Emissionen sind seit 1992 stark gestiegen. Selbst im vergangenen Jahrzehnt nahmen sie noch zu, wenn auch etwas langsamer als in früheren Jahrzehnten.
Es ist die Wirtschaftsweise, die nicht passt
Und es geht dabei nicht nur um abstrakte Zahlen. Es ist die Wirtschaftsweise, die nicht an die Vorgaben des Pariser Klimavertrages angepasst ist, laut dem nur eine globale Erwärmung von 1,5 bis maximal zwei Grad tolerabel ist.
So wuchsen Sektoren weltweit besonders stark, die den Treibhausgas-Ausstoß weiter pushen, darunter der Luftverkehr, die SUV-Flotte, der Konsum von Fleisch. Das ist die Diskrepanz zwischen Sagen und Tun.
Es ist klar: Solange sich daran nichts ändert, darf man auf wohlfeile Bekenntnisse aus Politik und Wirtschaft zum Klimaschutz nichts geben. Beleg dafür ist die Erfahrung mit der Corona-Pandemie.
Laut IPCC brachten die globalen Lockdowns im Jahr 2020 zwar einen historischen Rückgang der Treibhausgas-Emissionen um sechs Prozent gegenüber 2019. Doch die billionenschweren Konjunkturhilfen wurden zum größten Teil genutzt, um die alten, die fossilen Strukturen zu konservieren.
Der klimafreundliche Umbau wurde vernachlässigt. Zuletzt stieg der CO2-Ausstoß wieder auf alte Höhen. Ohne Klimaschutzmaßnahmen droht laut den Expert:innen eine globale Erwärmung um mehr als drei Grad Celsius.
Bereits 2018 hat der Weltklimarat in seinem Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel festgestellt, dass die globalen Emissionen bis 2030 in etwa halbiert werden müssen, um dieses Limit noch halten zu können. Nun, vier Jahre später, bekräftigt er dies – nur dass eben schon ein Drittel der Zeit mehr oder minder nutzlos vergangen ist, die für dieses radikale Umsteuern noch verbleibt.
Der Krieg müsste der letzte Weckruf sein
Das ist blauäugig, einerseits. Andererseits weisen die Forscher:innen nach, dass die nötigen CO2-Minderungspotenziale und Technologien durchaus vorhanden sind.
So sind die Kosten für den Umbau des Energiesystems in den letzten Jahren deutlich gesunken, bei Solar- und Windenergie sowie Speicherbatterien zum Beispiel um bis zu 85 Prozent. Daraus folgert der Rat, dass Sonne, Wind und Energieeffizienz das größte wirtschaftliche Potenzial haben, um die CO2-Last im entscheidenden Jahrzehnt bis 2030 zu reduzieren.
Der IPCC macht klar: Die Welt verfügt über die Instrumente zur Bewältigung der Klimakrise, aber sie müssen schneller und in größerem Umfang eingesetzt werden, um die Schwere der Klimaveränderungen zu verringern. Zu Deutsch: Der Umbau ist in Reichweite, es müssen "nur" die richtigen Investitionsentscheidungen getroffen werden.
Immerhin 20 Länder weltweit haben laut dem Report bereits gezeigt, dass die Emissionen trotz Wirtschaftswachstum sinken können, durch höhere Energieeffizienz, mehr erneuerbare Energien, einen Umstieg bei den Verkehrsmitteln und besseren Waldschutz. Einige dieser Staaten befinden sich immerhin auf einem Zwei-Grad-Pfad, wenn auch keiner auf dem zu 1,5 Grad.
Putins Invasion in der Ukraine müsste eigentlich der letzte Weckruf sein, um die Bremser der Energiewende endgültig verstummen zu lassen.
Europa, wo der Krieg tobt, kommt damit die Rolle zu, den Umbau weg von Kohle, Erdöl und Erdgas weltweit anzuführen und das solare Zeitalter nicht künstlich zu verzögern, etwa durch zweifelhafte Erdgas-Deals, teure Investitionen in die CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken oder kontraproduktive Atomkraft-Phantasien.