Statue der Justitia mit Waage und verbundenen Augen.
Energiekonzerne nutzen immer häufiger Schiedsgerichte, um ihre Interessen durchzudrücken, kritisiert eine Studie des Corporate Europe Observatory. (Foto: Edward Lich/​AJEL/​Pixabay)

Einen regelrechten Bürgeraufstand gab es vor vier Jahren, als das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA ausgehandelt wurde. Zehntausende demonstrierten in Europas Hauptstädten gegen das Dumping bei Umwelt- und Sozialstandards, noch mehr protestierten mit ihrer Unterschrift. Im Mittelpunkt der Kritik standen damals geheime Schiedsgerichte wie das Investitionsschiedsgericht ICSID, die es Unternehmen ermöglichen, Staaten zu verklagen, wenn sie sich etwa durch gesetzliche Regelungen im Umweltschutz benachteiligt fühlen.

Zwar wurden die TTIP-Verhandlungen vertagt, das ändert aber nichts am Wirken der geheimen Schiedsgerichte, die schon seit den 1990er Jahren in vielen Staaten ein etabliertes Rechtsmittel für Unternehmen sind. Öl,- Kohle- und Atomkonzerne knöpften den Staaten dort bereits über 50 Milliarden US-Dollar ab. Das ergab eine Untersuchung mit dem – etwas pathetischen – Titel "Ein Vertrag, sie alle zu knechten", soeben vorgelegt von den Organisationen Transnational Institute (TNI) in Amsterdam und Corporate Europe Observatory (CEO) in Brüssel. Über insgesamt 35 Milliarden Dollar wird demnach vor den Gerichten noch gestritten.

Möglich sind diese Schiedsgerichte durch die seit 1998 geltende Energiecharta. Eigentlich sollte die Vereinbarung dazu dienen, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Energiewirtschaft der ehemaligen Sowjetunion und der osteuropäischen Staaten in den Westen zu integrieren. Der Vertrag sollte ausländische Investoren vor plötzlichen staatlichen Eingriffen schützen.

Während die Konzerne in den ersten zehn Jahren nur knapp 20-mal vor diese Gerichte zogen, greifen sie nun deutlich häufiger auf das Rechtsmittel zurück und verlangen höhere Entschädigungen, so die Studie von TNI und CEO.

Klagen gegen Staaten

Zwischen 2013 und 2017 wurden laut der Studie insgesamt 75 Klagen auf Grundlage der Energiecharta eingereicht. Drei Beispielfälle:

  • Der britische Öl- und Gaskonzern Rockhopper verklagte den italienischen Staat im vergangenen Jahr, weil dieser Öl-Bohrungen in der Adria aus ökologischen Gründen untersagt hatte.
  • Der schwedische Konzern Vattenfall klagte bereits 2009 das erste Mal gegen Deutschland wegen strengerer Umweltvorschriften rund um seine Kohlekraftwerke. Seit 2014 läuft die Klage des Konzerns aufgrund der finanziellen Einbußen durch den Atomausstieg.
  • Tschechische und österreichische Stromkonzerne klagen gegen den bulgarischen Staat, weil dieser die hohen Energiepreise gedeckelte. Laut der Studie beläuft sich die Forderung der Unternehmen auf "hunderte Millionen Euro".

Öl-, Gas- und Kohlekonzerne hätten insgesamt bereits 114 Mal geklagt – etwa wegen des deutschen Atomausstiegs, Verboten neuer Ölbohrungen, Steuern auf fossile Brennstoffe und Umweltschutzmaßnahmen. Die Mehrheit der klagenden Investoren kämen aus westlichen Ländern wie Deutschland, den Niederlanden oder Großbritannien. In 61 Prozent der entschiedenen Fälle habe das Urteil den klagenden Investor begünstigt, so die Autoren.

Bekannt wurde vor allem das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, kurz ICSID, weil der schwedische Energiekonzern Vattenfall vor dem Washingtoner Schiedsgericht Klage gegen die deutsche Bundesregierung einreichte. Wegen der nach dem Fukushima-Supergau verfügten Stilllegung der beiden schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel fordert das Unternehmen fast fünf Milliarden Euro Schadenersatz – Ausgang offen.

Der Fall des schwedischen Konzerns zeige einen Trend, so die Studienautoren: Immer häufiger seien befürchtete Profiteinbußen der Grund für die Klagen. Fünf "Elite"-Anwaltskanzleien würden zudem die Konzerne ermuntern, die Staaten über das ICSID zu verklagen. So zögen viele Unternehmen die Schiedsgerichte der ordentlichen EU-Rechtsprechung vor, weil sie sich so höhere Schadenersatzzahlungen erhofften.

Allerdings geraten die Schiedsgerichte in der EU zunehmend unter Druck. Im März entschied der Europäische Gerichtshof, dass bestimmte Entscheidungen der Schiedsgerichte gegen Europarecht verstoßen. Damals ging es allerdings nicht um Energieinvestitionen, sondern um eine niederländische Versicherung, die den slowakischen Staat auf Schadenersatz verklagt hatte, nachdem die Privatisierung der Krankenversicherung teilweise zurückgenommen wurde. Ob die Aufhebung der Investitionsschutzklausel auch für die Energiecharta gilt, halten Experten für fraglich.