Grafik in Braun- und Gelbtönen: Dominosteine kippen nacheinander um und drohen eine Erdkugel zu treffen, im Hintergrund eine tief stehende Sonne.
Um Kipppunkte im Klimasystem zu meiden und zivilisatorische Anpassungen zu ermöglichen, kommt es auf jedes Zehntelgrad Erwärmung an. (Foto: Rodolphe Trider/​Shutterstock)

Haben wir es noch in der Hand, die Welt vor der ganz großen Klimakrise zu retten? In vier bis sechs Jahren werden wir es wissen, sagte die Klimaforscherin Friederike Otto vor einigen Tagen in einer Online-Debatte zum frisch veröffentlichten Synthesebericht des sechsten IPCC-Zyklus.

Die Antwort werde zum Beispiel im nächsten, dem siebten Weltklimabericht zu finden sein, sagte die Wissenschaftlerin vom Imperial College London. Dieser Bericht könnte etwa ab 2027 vorliegen.

Hunderte Forscherinnen und Forscher, darunter Otto, hatten letzte Woche ihre jahrelange Kärrnerarbeit am sechsten IPCC-Bericht zu Ende gebracht. Dessen Kernaussage lautet für Otto: Noch kann sich die Menschheit für eine ökologisch nachhaltige Zukunft entscheiden, in der das 1,5-Grad-Limit eingehalten wird. Das gehe aber nur noch jetzt, schränkte sie sogleich ein.

Das Zusammenfallen von Gegenwart und Zukunft findet sich auch im Synthesebericht wieder. In seiner Kurzfassung, der Summary for Policymakers, steht der Satz: "Die Entscheidungen und Maßnahmen in diesem Jahrzehnt werden sich jetzt und in den nächsten Tausenden von Jahren auswirken."

Wie ist das zu verstehen?

Gut 150 Jahre brauchte der industrialisierte Teil der Menschheit, um so viel Treibhausgase in die Atmosphäre zu pusten, dass wir jetzt bei etwa 1,2 Grad Erwärmung angekommen sind. Das Weltklima ist ein träges System. Selbst bei einer radikalen CO2-Reduktion ab sofort würde die Erdtemperatur Jahrzehnte weiter steigen.

Es ist schon jetzt zu viel CO2 in der Luft. Manche Entwicklungen sind nicht mehr aufzuhalten. Wörtlich stellt der Synthesebericht fest: "Der Anstieg des Meeresspiegels ist für Jahrhunderte bis Jahrtausende unvermeidlich aufgrund der anhaltenden Erwärmung der Tiefsee und des Abschmelzens der Eisschilde. Auch wird der Meeresspiegel für Tausende von Jahren erhöht bleiben."

Schon eine Zwei-Grad-Welt wird ziemlich ungemütlich

Für eine Klimaforscherin wie Otto ist das keine Überraschung. Seit 2014, dem Erscheinungsjahr des fünften IPCC-Berichts, habe sich das Klima so entwickelt, wie es die Wissenschaft vorausgesagt hat, erklärte sie. Neu für die Forscher sei aber die Erkenntnis: Unsere Gesellschaften sind deutlich verletzlicher durch den Klimawandel, als das früher angenommen wurde.

Die bekannte Attributionsforscherin illustrierte das wie folgt: Im fünften IPCC-Bericht habe man erst bei einer Erwärmung um fünf Grad große Risiken für die Zivilisation gesehen. Acht Jahre später warne nun der sechste Bericht: Schon in einer Zwei-Grad-Welt würden einige Grenzen der Klimaanpassung überschritten.

 

Der Sinn von Klimapolitik sei es inzwischen, eine Anpassung zu ermöglichen, die ein Überleben der Zivilisation in ihrer heutigen Form ermöglicht, brachte Otto die neue Verletzlichkeit auf den Punkt.

Der Synthesebericht hat auch die Forderungen zur CO2-Reduktion nochmal leicht verschärft. Bis 2030 müssen die CO2-Emissionen global um knapp die Hälfte herunter, dann bis 2035 um zwei Drittel sowie um hundert Prozent bis zur Mitte des Jahrhunderts. Das sind die Zielmarken.

Für Friederike Otto ist dabei "absolut entscheidend", was wir großen Emittenten in den nächsten fünf Jahren tun, welchen Trend wir setzen. Bremsen wir bisher lediglich den Anstieg der Treibhausgasemissionen, fahren diese aber nicht herunter, dann haben wir die Zukunft nicht mehr in der Hand, warnte sie.

Mit jedem Zehntelgrad Erwärmung wird es mehr Extremereignisse geben. "Für Menschen, die jetzt geboren werden, wird das, was für uns ein heißer Sommer ist, ein kühler Sommer sein", sagte die Forscherin.

Geringe Kosten bei großem Effekt

Real läuft die Klimapolitik, zu der sich die Staaten mit ihren Klimazielen verpflichtet haben, derzeit auf eine Drei-Grad-Welt hinaus. Auch wenn Friederike Otto und andere nicht müde werden zu warnen – als Kassandras sehen sie sich nicht.

Es lasse sich in Zahlen fassen, wie eine Vier-Grad-Welt aussieht, sagte sie, aber wir können uns nicht vorstellen, was das bedeutet. Horrorszenarien auszumalen führt ihrer Meinung nach nur dazu, dass die Leute den Kopf in den Sand stecken und erst recht nichts tun.

Lieber spricht Otto davon, dass alles Wissen, alle Technologien und alle Werkzeuge vorhanden sind, um das 1,5-Grad-Limit einzuhalten. Was fehle, sei der politische Wille, das Wissen auch einzusetzen, die Gesetze in Richtung Klimaneutralität zu ändern, kritisierte sie.

Im Bericht selbst geht die Wissenschaftsgemeinde auch neue Wege, um ihr Anliegen anschaulicher zu vermitteln. So zeigt eine Balken-Grafik ziemlich klar, welche Klima-Maßnahmen bei geringsten Kosten den größten Effekt versprechen.

Die Reihenfolge der bevorzugten Maßnahmen überrascht kaum: Ausbau von Solar- und Windkraft, Reduzierung der Methan-Emissionen aus Kohle, Öl und Gas, Schutz von Ökosystemen, nachhaltige Waldwirtschaft, Aufforstung, Carbon Farming, Gebäudeeffizienz, Brennstoffwechsel.

Derzeit gehypte Techniken wie CO2-Abscheidung und -Speicherung kommen nur am Rande vor: zu teuer und zu wenig effektiv.

Verteuern oder verbieten?

Im sechsten IPPC-Bericht schlagen sich – auch das eine Neuerung – wie nie zuvor soziale Fragen nieder. Zitat aus dem Synthesepapier: "Personen mit hohem sozioökonomischem Status tragen überproportional zu den Emissionen bei und haben das größte Potenzial für Emissionssenkungen."

In einem anderen Teil des sechsten Berichts wird der Weltklimarat noch konkreter: Die reichsten zehn Prozent der Menschheit verursachen 36 bis 45 Prozent der weltweiten Emissionen, schreiben die Wissenschaftler. Das sei zehnmal so viel wie der Beitrag der ärmsten zehn Prozent. Das ärmere Zehntel der Weltbevölkerung habe nur drei bis fünf Prozent der Emissionen zu verantworten.

Ab und zu ploppt nun auch in Deutschland die Frage auf: Kann – oder muss man sogar – den Reichen ihre klimakillenden Statussymbole wegnehmen? Die Premium-SUV, die Privatflugzeuge, die Chalets und Megayachten?

Über höhere Klimasteuern oder teureren Sprit lächeln obere Einkommensklassen nur müde. Reiche werden sich vom Klimaschutz immer freikaufen können, lautet die einfache Wahrheit.

Also bleibt nur das Ordnungsrecht, bleiben Vorschriften und Verbote. Ein Tempolimit gilt für alle gleichermaßen, ein konsequentes Verbot von Inlandsflügen auch. Oder ein Verbot, Häuser auf die grüne Wiese zu setzen oder Torf abzubauen oder neue Autobahnen in die Landschaft zu betonieren.

Wie träge hier die Transformation vor sich geht, kann jeder an sich selbst und seinem sozialen und politischen Umfeld prüfen. Konsum- und Verhaltensmuster und die Bedingungen, aus denen sie resultieren, anpassen? Jetzt etwas für später tun? Wieso denn das, winken viele ab. In fünf oder sieben Jahren ist ja eh alles zu spät.

Redaktioneller Hinweis: Friederike Otto gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

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