Ein Zementwerk
Die Zementproduktion und andere nicht dekarbonisierbare Industrieprozesse zu hinterfragen ist natürlich keine Option. (Foto: Friederike Meier)

Das Treibhausgas CO2 nicht in die Atmosphäre pusten, sondern in die Erde entsorgen. Geniale Idee? Oder perfide Strategie der fossilen Lobby, um Kohle- und Erdgaskraftwerke weiterbetreiben zu können?

An dem Thema scheiden sich seit Langem die Geister. Bei Grünen, Klimaaktivisten und anderen Zeitgenossen, die befürchten, CO2-Endlager-Anwohner zu werden, ist CCS ein No-Go. Das Kürzel steht für "Carbon Capture and Storage", also CO2-Abscheidung und Speicherung. 

Das heißt: Es war ein No-Go. Denn bei der Ökopartei hat ein Umdenken begonnen.

Erst betonte der jüngst bekannt gewordene "Evaluierungsbericht" des grün geführten Bundeswirtschaftsministeriums zum Kohlendioxidspeichergesetz, Deutschland könne ohne CCS nicht klimaneutral werden.

Und nun setzte Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir per Interview nach. Für bestimmte Sektoren, etwa die Zementindustrie, biete sich CCS als Lösung an. Wegen des Ziels, beim CO2-Ausstoß auf null herunterzukommen, "müssen wir uns das anschauen", so der Grüne.

Die Grünen-Spitze rüttelt also an einem weiteren Tabu. Sie hat Kohlekraftwerke reaktiviert, um Putins Energiewaffe zu entschärfen, sie hat AKW-Laufzeiten verlängert und verstromt mehr Erdgas, um den Franzosen über den Winter zu helfen, deren Atommeiler schlapp gemacht haben.

Und nun CCS. Wenn das nicht Flexibilität zeigt, was dann.

Zehn Prozent "Restemissionen"

Dabei gibt es einen Unterschied bei den grünen Lockerungsübungen. Während die Rückschritte bei Kohle, Atomkraft und Erdgas mit einer beschleunigten Energiewende wieder beseitigt werden können, wird das Thema CO2-Speicherung auf der Tagesordnung bleiben.

Es gibt eben wichtige Branchen, deren Treibhausgasausstoß sich nicht völlig herunterfahren lässt. Nicht nur Industriezweige wie Zement oder Glas, auch in der Landwirtschaft, bei Abwasserbehandlung und Müllentsorgung entstehen solche "Restemissionen". Sie machen laut dem Habeck-Bericht immerhin bis zu 73 Millionen Tonnen CO2 im Jahr aus, zehn Prozent des derzeitigen Ausstoßes.

Die Frage der Akzeptanz bei den Bürger:innen steht auf einem anderen Blatt. Al-Wazir erklärt das Umdenken der Grünen damit, dass die Gefahr, die Industrie wolle CCS als Lebensverlängerung für Kohlekraftwerke nutzen, heute nicht mehr bestehe.

Joachim Wille ist Co-Chefredakteur des Online-Magazins Klimareporter°.

Dass das vielleicht nicht ganz stimmt, zeigt die FDP-Bundestagsfraktion mit ihrer Forderung, CCS nicht nur für Gaskraftwerke zu nutzen, sondern auch für Kohlekraftwerke.

Über mögliche Standorte für CCS-Endlager spricht bisher lieber niemand. Und zum Glück hat ja Norwegen angeboten, CO2 auch für andere europäische Länder einzulagern – in alten Erdgaslagern 3.000 Meter tief unter der Nordsee.

Ergänzung am 23. Dezember: Protest gegen CO2-Endlager: Die Umweltorganisation BUND kritisiert die CCS-Pläne der Bundesregierung

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