Der schnelle Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas kann die schlimmsten Klimafolgen noch abwenden. (Bild: CDP)

"Die Entscheidungen und Maßnahmen, die in diesem Jahrzehnt umgesetzt werden, werden sich jetzt und in den kommenden Tausenden von Jahren auswirken." Das ist der Schlüsselsatz der Zusammenfassung des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC, des sogenannten Syntheseberichts, der am heutigen Montag im schweizerischen Interlaken vorgestellt wurde.

Die Welt hat nur noch ein sehr begrenztes CO2-Budget, wenn die Klimaerwärmung bei 1,5 oder bei zwei Grad gestoppt werden soll. Um die Erwärmung bei 1,5 Grad mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu stoppen, darf die Menschheit jetzt nur noch 380 Milliarden Tonnen CO2 emittieren.

Dieses "Guthaben" ist allerdings in weniger als zehn Jahren aufgebraucht, wenn die Emissionen auf dem aktuellen Niveau von 40 Milliarden Tonnen pro Jahr bleiben. Folglich ist dieses Jahrzehnt entscheidend.

Für das 1,5-Grad-Ziel müssen die globalen CO2-Emissionen zum Ende des Jahrzehnts um 48 Prozent unter ihrem heutigen Niveau liegen, im Jahr 2050 netto null erreichen, und anschließend muss der Atmosphäre sogar CO2 entzogen werden.

Wenn die Erwärmung erst bei zwei Grad gestoppt werden soll, hat die Menschheit noch ein wenig mehr Zeit. In diesem Fall müssen die Emissionen bis zum Jahr 2040 halbiert werden und bis 2070 auf netto null sinken.

Konkret bedeutet das, dass ein großer Teil der bekannten Vorkommen an Öl, Kohle und Gas im Boden bleiben muss, denn: "Die prognostizierten CO2-Emissionen aus der bestehenden Infrastruktur für fossile Brennstoffe würden das verbleibende CO2-Budget für 1,5 Grad überschreiten."

Derart schnelle Emissionsreduktionen seien aber möglich, sagt US-Umweltforscher Alden Meyer vom Thinktank E3G: "Die gute Nachricht des Berichts ist, dass wir immer noch die Möglichkeit haben, den Kurs des Raumschiffs Erde zu korrigieren und auf einen nachhaltigeren Weg zu bringen."

Klimatechnologien kosten weniger als Weiter-so

Der Bericht zeigt, dass das sowohl technisch als auch wirtschaftlich machbar ist. Im letzten Jahrzehnt sind die Kosten für Solarstrom um 85 Prozent, für Windstrom um 55 Prozent und für Batterien um 85 Prozent gesunken.

Das hat zur Folge, dass viele Klimaschutzmaßnahmen niedrigere Kosten haben als ihre herkömmlichen Alternativen. Das gilt etwa für Solar- und Windstrom, Elektroautos oder die Förderung des öffentlichen Verkehrs und der Fahrradinfrastruktur.

Auch andere Maßnahmen mit großem Potenzial sind relativ günstig: Der Schutz der Regenwälder kostet weniger als 20 US-Dollar für jede Tonne vermiedener CO2-Emissionen, und in den Böden ließen sich für 50 Dollar pro Tonne große Mengen an zusätzlichem Kohlenstoff speichern.

Trotzdem müssen die Investitionen in den Klimaschutz drastisch steigen. Für das 1,5-Grad-Ziel müssen sie bis zum Ende des Jahrzehnts um das Sechsfache erhöht werden. Dieses Geld ist laut Bericht aber vorhanden: "Angesichts der Größe des globalen Finanzsystems gibt es genügend Kapital, um die globalen Investitionslücken zu schließen."

Auch wenn es zu dieser Kurskorrektur kommt, werden aber die Schäden infolge des Temperaturanstiegs weiter zunehmen. Dazu gehören mehr Hitzetote, eine Zunahme von Krankheiten und mentalen Problemen, ein Rückgang der Artenvielfalt, mehr Überschwemmungen und in manchen Regionen ein Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge.

"Die Risiken sowie die damit verbundenen Verluste und Schäden durch den Klimawandel eskalieren mit jedem Zehntelgrad an zusätzlicher Erwärmung", stellt der Bericht trocken fest. Doch wenn die Emissionen einmal bei netto null stabilisiert wurden, nehmen die Erwärmung und die damit verbundenen Folgen zumindest nicht weiter zu.

Dies gilt allerdings nicht für den Meeresspiegel. Selbst wenn die Erwärmung bei 1,5 Grad gestoppt wird, wird der Meeresspiegel – über einen sehr langen Zeitraum – um zwei bis drei Meter steigen.

Und auch für den Golfstrom gibt der Bericht nicht wirklich Entwarnung: Es lasse sich nur mit "mittlerer Sicherheit" sagen, dass der Golfstrom in diesem Jahrhundert nicht "abrupt kollabiert".

CO2-Entnahme ersetzt radikalen Fossil-Ausstieg nicht

Während aktuell der Fokus auf schnell umsetzbaren Emissionsreduktionen liegen muss, rückt der Bericht aber auch ein Thema ins Blickfeld, das erst längerfristig relevant wird: die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre.

Denn "in naher Zukunft wird die globale Erwärmung selbst beim Szenario mit sehr niedrigen Treibhausgasemissionen wahrscheinlich 1,5 Grad erreichen". Das bedeutet, dass die Temperatur das 1,5-Grad-Ziel "überschießen" wird und anschließend wieder gesenkt werden muss, indem man der Atmosphäre Kohlendioxid entzieht.

Das würde noch dringlicher werden, falls dieses "Überschießen" Rückkopplungsmechanismen auslöst, die die Erwärmung zusätzlich beschleunigen, wie Waldbrände oder das Tauen des Permafrosts.

Für die CO2-Entnahme gibt es verschiedene Optionen wie Aufforstung, die Ausbringung von Biokohle auf Äckern oder von Gesteinsmehl im Meer. Ob das im nötigen Ausmaß gelingen kann, hängt aber wiederum von den Emissionen der nächsten Jahre ab.

 

Denn "je höher und je länger" das Temperaturziel überschritten wird, desto mehr negative Emissionen sind anschließend nötig, was "Machbarkeits- und Nachhaltigkeitsbedenken sowie soziale und ökologische Risiken im Zusammenhang mit der CO2-Entnahme in großem Maßstab" nach sich zieht.

Kurz, auch wenn in Zukunft die CO2-Entnahme großtechnisch möglich sein sollte, müssen wir die Emissionen jetzt sehr schnell senken.

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Kommentar von Joachim Wille:

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