Dass Deutschland in diesem Jahr den stärksten Anstieg von CO2-Emissionen seit 30 Jahren verzeichnen wird, liegt nicht nur am Ende des Corona-Lockdowns, sondern auch an "strukturellen Defiziten der Umsetzung der Energiewende", schrieb der Thinktank Agora Energiewende diese Woche in einer Analyse.
Dazu gehörten vor allem der schleppende Ausbau der erneuerbaren Energien, besonders der Windkraft an Land, sowie die in den letzten zehn Jahren im Wesentlichen stagnierenden Emissionen in den Sektoren Industrie und Verkehr.
Diese Defizite werden sich längerfristig in der deutschen CO2-Bilanz ziemlich desaströs auswirken, jedenfalls nach heutigem Stand. Das geht aus dem Entwurf für den "Projektbericht 2021" des Umweltbundesamts hervor, an dem mehrere Institute derzeit arbeiten und der Klimareporter° vorliegt. Im Jahr 2030 könnte der Treibhausgasausstoß in Deutschland nur um 49 Prozent unter dem von 1990 liegen, heißt es im Bericht.
Dabei sollen die Emissionen bis zum Ende des Jahrzehnts eigentlich um 65 Prozent sinken. Das sieht das reformierte Klimaschutzgesetz vor, das die große Koalition im Juni dieses Jahres eilig geändert hatte, nachdem das Klimagesetz vom Bundesverfassungsgericht für teilweise grundgesetzwidrig erklärt wurde.
Selbst für das zuvor geltende Ziel von 55 Prozent Minderung reicht es nun voraussichtlich nicht. Für 2040 sieht es nicht besser aus. Bis dahin prognostiziert der Bericht eine Senkung der klimaschädlichen Emissionen um 67 Prozent im Vergleich zu 1990. Ziel sind laut dem novellierten Klimagesetz aber 88 Prozent.
Dem Berichtsentwurf zufolge verfehlen im Grunde alle Sektoren die Klimaziele für 2030. Die Energiewirtschaft wird laut den Projektion zum Ende dieses Jahrzehnts mit 193 Millionen Tonnen CO2 noch 18 Millionen Tonnen zu viel ausstoßen. Die Industrie dürfte ihr 2030er-Ziel um fast 15 Millionen Tonnen verfehlen.
Besonders groß fällt die Lücke im Verkehr mit 31 Millionen und im Gebäudesektor mit 21 Millionen Tonnen CO2 aus. Die Landwirtschaft könnte ihr Klimaziel für 2030 um vier Millionen Tonnen verpassen. Einzig der Abfallsektor ist auf Kurs.
Auch mit den neuen Maßnahmen reicht es nicht
Das zuständige Bundesumweltministerium wiegelt jedoch laut Medienberichten ab. Und auch im Berichtsentwurf selbst heißt es in einer Kapitelüberschrift, die Bundesregierung mache sich die Ergebnisse der vorgelegten Emissionsszenarien nicht zu eigen.
Begründet wird das damit, dass der vom Öko-Institut, dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, dem Institut für Ressourceneffizienz und Energiestrategien und dem Thünen-Institut erstellte Projektionsbericht nur Klimamaßnahmen berücksichtigt, die bis Ende August 2020 verabschiedet wurden, wie etwa das Klimaschutzprogramm 2030.
Maßnahmen, die in diesem Sommer beschlossen wurden, wie der sogenannte Klimapakt oder das Nachsteuern bei den Emissionen im Gebäudesektor, seien dagegen nicht berücksichtigt.
Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass selbst beim Einrechnen dieser Maßnahmen etliche im Projektionsbericht als gesetzt angenommene Zielmarken der Energie- und Verkehrswende kaum zu erreichen sind. So geht der Bericht davon aus, dass 2030 der nationale CO2-Preis für Kraft- und Brennstoffe bei 125 Euro liegt. Dafür gibt es noch keine politischen Beschlüsse.
Bei den erneuerbaren Energien beziffert der Projektionsbericht entsprechend dem Stand vom August 2020 den bis 2030 geplanten Ausbau auf 71.000 Megawatt Windkraft an Land, 20.000 Megawatt Offshore-Wind und rund 100.000 Megawatt Photovoltaik. Gleichzeitig veranschlagt der Bericht den für 2030 angenommenen Stromverbrauch auf knapp 600 Milliarden Kilowattstunden.
Inzwischen rechnet das Bundeswirtschaftsministerium für 2030 mit einem Stromverbrauch von etwa 655 Milliarden Kilowattstunden – Beschlüsse zu einer parallelen Erhöhung der Ausbauziele für die Erneuerbaren gibt es bis dato aber nicht.
Im Klimapakt heißt es dazu nur, der Ausbau müsse beschleunigt werden. Einzige konkrete Maßnahme des Pakts war die Absicht, im Bundeshaushalt für 2022 bis zu acht Milliarden Euro zur Finanzierung weiterer Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung stellen.