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Wer weckt die Bundesregierung auf – vielleicht ein großer Wirtschaftsverband? (Foto: Sonja Langford/​Unsplash)

2019 ist eigentlich ein gutes Energiewendejahr: Gegenüber 2018 geht die Kohleverstromung um 25 Prozent zurück, etwa zu gleichen Anteilen davon Braun- und Steinkohle. Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung legt von 35 auf 40 Prozent zu, wobei vor allem die Windkraft an Land das Plus beisteuert. Die CO2-Emissionen der Branche sinken in Jahresfrist um gut 50 Millionen Tonnen, gab der Branchenverband BDEW am Donnerstag bekannt.

Ein Faktor für die Minderung ist für BDEW-Geschäftsführerin Kerstin Andreae der CO2-Preis im europäischen Emissionshandel, der zeige "Wirkung". Die ehemalige Grünen-Politikerin, die seit Anfang November an der Spitze des gewichtigen Energiebranchenverbandes steht, zeigte sich gestern in Berlin zufrieden, dass die Politik mit dem neuen CO2-Einstiegspreis von 25 Euro pro Tonne dem Rat auch ihres Verbandes gefolgt sei und sich am EU-Preisniveau orientiert.  

Bei der Frage, ob es 2020 mit der Energiewende so gut weitergeht, versuchte sich die BDEW-Chefin zwar in Optimismus. Das stete Hinausschieben des Kohleausstiegsgesetzes bereitet der Branche aber mehr und mehr Kopfschmerzen.

Noch immer wisse man nicht, ob die Windkraft – neben der Kohle und der Kraft-Wärme-Kopplung – als drittes Element wieder ins Gesetz hineinkomme, sagte Andreae. Das würde man begrüßen. Die Ankündigung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch im Bundestag, dass das Windkraftproblem erst im März 2020 gelöst werden soll, mache ihr aber schon große Sorgen.

Wird dann auch das Ausstiegsgesetz auf den März verschoben?, fragte sich Andreae. Auch für 2022, wenn mehrere tausend Megawatt Atom- und Kohlekraft vom Netz gehen, brauche man eine klare Perspektive für eine CO2-arme Energieversorgung. "Die Zeit rennt uns langsam davon", warnte die Verbandschefin.

Kohlekompromiss "eins zu eins"

Wie im berühmten Brandbrief, den der BDEW kürzlich mit anderen Wirtschafts- sowie Umweltverbänden an die Kanzlerin schrieb, forderte Andreae auch am Donnerstag erneut, den nun bald ein Jahr alten Kohlekompromiss eins zu eins umzusetzen.

Die Punkte aus dem Kompromiss, die ihm wichtig sind, behandelt der BDEW dabei inzwischen wie ein Mantra. Die nach Ausstiegsgesetz und seriösen Studien mögliche entschädigungslose Enteignung von Kohlekraftwerken – das könne man in einem Rechtsstaat "nicht tun", entgegnete Andreae. Warum nicht? Weil im Kohlekompromiss als Forderung stehe, zu verhandeln und nicht zu enteignen.

Nichtinbetriebnahme des großen, klimaschädlichen Kohlemeilers Datteln 4? Der Kohlekompromiss empfehle auch hier eine Verhandlungslösung, so Andreae. Sie finde es schwierig, wenn es statt einer Eins-zu-eins-Umsetzung zu einer Rosinenpickerei komme. Punkt.

Zum Herunterfahren der Kohle gehört für den BDEW zwingend das Herauffahren der Erneuerbaren sowie der Kraft-Wärme-Kopplung, betonte die Spitzenfunktionärin zugleich. Besonders der Windkraft-Ausbau an Land dürfe nicht zum Erliegen kommen. Der BDEW hält hier ab 2020 einen Zubau von jährlich 3.700 Megawatt nötig, um den für 2030 angepeilten Anteil von 65 Prozent Ökostrom am Strommarkt zu erreichen.

Dünner Gesprächsfaden

Die Mehreinnahmen von 5,4 Milliarden Euro aus dem 25-Euro-CO2-Preis würde der BDEW gern gänzlich in die Senkung der EEG-Umlage stecken. Nach den Angaben würde der Strompreis dann um 1,75 Cent je Kilowattstunde sinken. Bereits eingerechnet sind dabei die 0,25 Cent, um die der Strompreis aufgrund des alten Einstiegspreises von zehn Euro sinken sollte.

Auch wenn diese Idee Wirklichkeit würde – auf einen sinkenden Strompreis im kommenden Jahr machte Kerstin Andreae wenig Hoffnung. Höhere Beschaffungskosten wie auch höhere Netzentgelte würden die Senkung wohl kompensieren.

Keine Chance gibt der BDEW Gedankenspielen aus der Union, wieder in die Atomkraft einzusteigen, nun wegen der Klimaziele. "Welch kleine Debatte", kritisierte Andreae. Sie kenne kein Mitgliedsunternehmen des BDEW, das "Lust" auf Atomkraft habe. Es gebe weltweit keine Endlager-Lösung und kein AKW, das wirtschaftlich betrieben werden könne, und es gebe nach wie vor die Sicherheitsbedenken.

Die neue BDEW-Chefin ließ durchblicken, dass im Wirtschaftsministerium dem Rat ihres Verbandes zuletzt wenig Gehör geschenkt wurde. Dass bei den jüngsten Energiegesetzen die Verbändeanhörungen auf wenige Stunden "zusammengeschnurrt" waren, empfinde der BDEW als "unglücklich", sagte Andreae. "Das hatte dann zur Folge, dass manches nicht ausdiskutiert wurde, was man hätte ausdiskutieren können, wenn man mehr Zeit gehabt hätte."

Bei aller Kritik klingt das am Ende doch butterweich. Sorgen, dass ihm der BDEW aufs Dach steigt, muss sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vorerst nicht machen.

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