Das Kohleausstiegsgesetz ist der letzte große Baustein für den Klimaschutz. Jetzt wurde ein Referentenentwurf bekannt, der Klimareporter° vorliegt.
Worauf das Land seit Monaten allerdings wartet – Fortschritte beim klimapolitisch entscheidenden Ausstieg aus der Braunkohle –, da prangt in dem jetzt schon mehr als 160-seitigen Gesetzentwurf noch eine Leerstelle. Wann die mit konkreten Abschaltdaten für zunächst rund 3.000 Megawatt Braunkohle-Kapazität gefüllt wird, die bis Ende 2022 laut Kohlekommission vom Netz gehen sollen, ist unklar. Die Bundesregierung soll sich aber, so viel wurde bekannt, schon in finalen Verhandlungen mit den Betreibern befinden.
Dick ist der Gesetzentwurf auch geworden, weil der schon vorliegende Gesetzentwurf zum Auslaufen der Steinkohleverstromung integriert wurde. Nach einer ersten Durchsicht besteht hier die größte Änderung darin, dass der Gesetzgeber nunmehr erst ab 2027 damit droht, Kraftwerke unwilliger Betreiber, die ihre Anlagen nicht über Ausschreibungen stilllegen wollen, dann ordnungsrechtlich außer Betrieb zu setzen. In einem älteren Entwurf des Gesetzes stand diese Drohung schon von Anfang an im Raum.
Für besondere Aufregung sorgt am heutigen Dienstag eine Regelung, die landauf, landab als eine Lex für das neue große Steinkohlekraftwerk Datteln 4 interpretiert wird. Im Paragrafen 29 des Kohleausstiegs-Entwurfs heißt es wörtlich: "Es ist verboten, neue Stein- und Braunkohleanlagen in Betrieb zu nehmen, es sei denn, für die Kohleanlage wurde bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt."
In den Gesetzentwurf sei eine Bestandsschutzregelung aufgenommen worden, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums. Inhaber einer bestehenden Genehmigung könnten dies nutzen. "Das gebieten Recht und Gesetz und das wird im Gesetzentwurf wiedergegeben", so die Sprecherin.
Uniper kann sich Datteln 4 teuer abkaufen lassen
Der Betreiber des Steinkohlekraftwerks Datteln bei Recklinghausen – die ehemalige Eon-Tochter Uniper – soll seit 2017 im Besitz einer gültigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Anlage sein, ausgestellt von der damaligen nordrhein-westfälischen Landesregierung. Uniper kann also – und so läuft es derzeit – das Kraftwerk nach und nach einfach in Betrieb nehmen – und sich dieses Recht höchstens abkaufen lassen.
Letzteres strebt die Bundesregierung derzeit offenbar noch an. Sollte dies aber zu teuer werden, könnte sich auch die Haltung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) durchsetzen, dass ein neues fossiles Kraftwerk besser sei als weiterlaufende alte. Wie die Bundesregierung dann allerdings die CO2-Reduktionsziele einhalten und wie sie mehr alte Anlagen stilllegen will, steht in den Sternen.
Bei der Windkraft übernimmt der Gesetzentwurf alle rigiden Einschränkungen, die schon in diversen Regierungspapieren zuvor die Branche fesseln sollten. Windanlagen sollen demnach nicht zulässig sein, wenn sie "in einem Mindestabstand von weniger als 1.000 Metern zur zulässigen Wohnbebauung in einem im Bebauungsplan festgesetzten reinen oder allgemeinen Wohngebiet oder zur zulässigen zusammenhängenden Bebauung mit mehr als fünf Wohngebäuden in einem festgesetzten Dorfgebiet" errichtet werden sollen.
Fatal ist dabei nicht nur die Vorschrift, dass schon von einer Wohnbebauung mit fünf Häusern der Tausend-Meter-Abstand einzuhalten ist. Der Windbranchenverband BWE kritisiert auch, dass die jetzt geplante Regelung einige bisher undefinierte Rechtsbegriffe enthält.
Fünf-Häuser-Regelung bei Windkraft noch umstritten
Während das Baugesetzbuch die Begriffe "reine Wohnbebauung" oder "Dorfgebiet" kenne, sei die "zulässige zusammenhängende Bebauung" ein neuer Rechtsbegriff, der erst noch ausgelegt und juristisch interpretiert werden müsse, erklärte der Verband. Das werde mit Sicherheit zu einer Vielzahl rechtlicher Streitigkeiten und Prozessen führen, die den Ausbau der Windenergie weiter verlangsamen, befürchtet der BWE nicht zu Unrecht.
Der Entwurf räumt den Ländern die Möglichkeit ein, 18 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes beim Abstand zur Wohnbebauung abweichende Landesgesetze zu verkünden. Diese Ausnahmeregelung brandmarkte der niedersächsische Umwelt- und Energieminister Olaf Lies (SPD) schon letzten Freitag in der Debatte im Bundesrat. Für ihn ist der 1.000-Meter-Abstand ein "völlig falsches Signal" – und die Möglichkeit, dass die Länder davon abweichen dürfen, helfe überhaupt nicht.
Was wird passieren, fragte Lies in seiner Rede, wenn ein Land auf 800 Meter geht? Jeder Kritiker werde dann sagen: Die Bundesregierung wird noch nicht einfach so die tausend Meter festgelegt haben, dafür wird es doch einen Grund geben – so malte Lies die Reaktion auf abweichende Länderregeln aus.
Für ihn gibt es übrigens, wie er betonte, keinen Grund, warum es gerade die tausend Meter sein sollen. Der Abstand sei reine Willkür. "Es hätten auch 980 oder 1.100 Meter sein können", erklärte der Minister. Vor Ort müssten die Länder deswegen, wenn sie von den 1.000 Metern abwichen, etwas erklären, "was man gar nicht erklären kann". Die pauschale Festlegung auf 1.000 Meter sei deswegen völlig falsch.
Auch der BWE sieht da keinen Zusammenhang: "Die Festlegung auf 1.000 Meter hat keinen Bezug auf die tatsächlichen Immissionen der Anlage am spezifischen Standort, sondern ist ein willkürlicher politischer Kompromiss, mit dem der Ausbau der Windenergie, besonders im Fall der sehr engen Auslegung des Referentenentwurfs, beinahe zum Erliegen kommen wird", erklärte Verbandspräsident Hermann Albers.
Hoffen darf die Branche noch auf die laufende Ressortabstimmung zum Gesetz. Die Fünf-Häuser-Regelung soll auf Betreiben des Bauministeriums mit Horst Seehofer (CSU) an der Spitze in die Vorlage gekommen sein. Das Kabinett will über den Gesetzentwurf auf seiner Sitzung in der kommenden Woche entscheiden.
Doppelter Bonus für neue Gaskraftwerke im Süden
Während der erneuerbare Strom aus Wind derart geknebelt wird, hält der Entwurf für die Erdgasbranche einen schönen Bonbon bereit: Wird eine Anlage zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), die bisher mit Kohle gefeuert wurde, auf Erdgas umgestellt – für das Gesetz sind das "moderne KWK-Systeme" –, gibt es für die neue Anlage einen Bonus von 180 Euro je Kilowatt pro ersetzter Kohle-Leistung.
Die Gesetzesvorlage rechnet das auch gleich mal aus: "Damit erhält zum Beispiel der Betreiber einer neuen Gas-KWK-Anlage, die eine Kohle-KWK-Anlage mit einer Leistung von 100 Megawatt ersetzt, zusätzlich zur Grundförderung einen Kohleersatzbonus in Höhe von 18 Millionen Euro einmalig ausgezahlt."
Die süddeutschen Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg sicherten sich zudem bei der KWK noch einen "Süd-Bonus". Angeblich gerät im Süden bei einem Kohleausstieg die Netzstabilität in Gefahr. Deshalb wollen sich diese Bundesländer nicht nur neue große Gaskraftwerke fördern lassen, sondern – so der Gesetzestext – auch um zehn bis 20 Prozent "überdimensionierte" KWK-Anlagen, die "auch in Zeiten, in denen keine Nutzwärmenachfrage besteht, in voller Höhe der elektrischen Leistung" Strom erzeugen – gewissermaßen neue, meist erdgasbetriebene und damit fossile Kleinkraftwerke.
Dafür soll es dann einen Bonus von einmalig 60 Euro je Kilowatt elektrischer Leistung des KWK-Leistungsanteils geben – zusätzlich zu den 180 Euro des Kohleersatzbonus. Neue Gas-KWK im Süden wird sich vermutlich rentieren, bevor überhaupt eine einzige Kilowattstunde erzeugt ist. Mit dem Ziel der Klimaneutralität hat das offensichtlich wenig zu tun.