Gero Lücking. (Foto: Amac Garbe)

Immer wieder sonntags: Unsere Herausgeber erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Gero Lücking, Geschäftsführer für Energiewirtschaft beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Lücking, die Denkfabrik Agora Energiewende hat in dieser Woche die gegenwärtigen Netzentgelte scharf kritisiert. Deren Genehmigungen entzögen sich praktisch jeglicher Überprüfung und Kontrolle. Ist die Kritik nicht überzogen?

Gero Lücking: Nein, in keiner Weise. Der Kritik der Agora war am Vorabend ein sehenswerter Bericht des ZDF-Magazins Frontal 21 vorausgegangen. Dort wird zum Beispiel der Präsident der für die Regulierung zuständigen Bundesnetzagentur, angesprochen auf die fehlende Transparenz, mit den Worten wiedergegeben: "Ich fürchte, Sie sind nicht ganz auf dem aktuellen Stand." Und dann: "Nehmen Sie doch mal zur Kenntnis, dass wir sogar vor Gericht ziehen, um Transparenz durchzusetzen." Solche Aussagen sind eine Frechheit.

Seine Behörde ist dafür verantwortlich, dass nach wie vor nur geschwärzte Genehmigungsbescheide an Dritte verschickt werden, also zum Beispiel an Unternehmen wie Lichtblick. Wir haben ganze Regale voll solcher Unterlagen. Damit kann man genau gar nichts anfangen. Auch Beiladungsanträge zu den Genehmigungsverfahren werden regelmäßig abgelehnt. Man muss nüchtern feststellen: Einen wirksamen Rechtsschutz zur Überprüfung der Netzentgelte gibt es derzeit nicht. Grundrechte werden beschnitten.

Und die Äußerung des BDEW, des Branchenverbands der traditionellen Energiewirtschaft, dass die Veröffentlichung sensibler Einzeldaten verfassungsrechtlich nicht zulässig sei, ist eine ebenso große Frechheit. Die Netze sind natürliche Monopole, in denen es keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geben kann. Das hat das Verwaltungsgericht Köln schon im Jahr 2016 festgestellt.

Wir brauchen einen Philosophiewechsel: Gesetzgeber und Regulierungsbehörden sind nicht für die Konzerne und Stadtwerke da, sondern für die Stromkunden und Verbraucher. Nicht die Monopolrenditen der Netzbetreiber müssen geschützt werden, sondern die Geldbeutel der Verbraucher und Stromkunden.

Solange sich die Einstellung nicht ändert, läuft es in die falsche Richtung. Und dabei wird auch nicht vor unlauteren Behauptungen und Falschaussagen zurückgeschreckt.

Zusammen mit der Umweltorganisation WWF legte Lichtblick diese Woche einen "Kohlereport" vor. Glauben Sie, dass sich die Kohlekommission und die Öffentlichkeit hier noch von Argumenten beeindrucken lassen? Sind die Fronten der Kohlegegner und -befürworter nicht längst verhärtet?

Der Report fasst die Fakten leicht verständlich und gut leserlich zusammen. Es ist selbst für uns als Fachleute immer wieder überraschend, was hier in Deutschland in Sachen Braunkohle für ein Wahnsinn betrieben wird. Wer wusste schon, dass wir das Land sind – noch vor Giganten wie China –, das weltweit die größten Mengen dieses Klimagiftes abbaut und verbrennt?

Gerade vor dem Hintergrund des immer drängenderen Klimaproblems sind solche Fakten schlichtweg unglaublich. Den Bericht muss wirklich jeder lesen. Er wird danach von der Notwendigkeit des Kohleausstiegs überzeugt sein.

Der sonnenscheinreiche Sommer und die gesunkenen Preise führen offenbar dazu, dass immer mehr Leute sich für eine eigene Solaranlage auf dem Dach entscheiden, meist noch mit Speicher im Keller. Erwarten Sie, dass sich das fortsetzt?

Bisher schien der Klimawandel weit weg und abstrakt. Man hat von Überschwemmungen, Bränden, Rekordhitze, Trockenheit in meist weit entfernten Weltregionen gelesen. Doch langsam werden die Klimaveränderungen und die damit zusammenhängenden negativen Auswirkungen zu persönlichen Erfahrungen.

Das brennt sich tief im Bewusstsein eines jeden Menschen ein. Es berührt uns ganz anders als ein Zwei-Minuten-Bericht in der "Tagesschau" oder eine Katastrophenmeldung in den Onlinemedien oder der Zeitung. Die Menschen sind vom Klimawandel unmittelbar betroffen, teilweise werden sie zu seinen Opfern.

Vor diesem Hintergrund bin ich sicher, dass der Boom beim Ausbau von Photovoltaikanlagen anhalten oder sich im besten Fall sogar noch verstärken wird. Die Qualität der Diskussion ändert sich durch die persönliche Betroffenheit.

EU-Energiekommissar Arias Cañete hat verkündet, dass die EU ihr CO2-Reduktionsziel für 2030 von 40 auf 45 Prozent anheben will, gerade auch durch einen stärkeren Ausbau der Erneuerbaren. Wird sich die EU gegen klimapolitische Bremser wie Deutschland durchsetzen können?

Davon bin ich überzeugt. Die EU wird auch hier immer mehr zum Motor. Die Politik in Deutschland ist gut beraten umzudenken. Die deutsche Volkswirtschaft muss aufpassen, dass sie nicht unter die Räder kommt.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Bundeswirtschaftsminister Altmaier nutzt seine Sommerreise, um für den Netzausbau zu werben. Ungeachtet der Notwendigkeit des Netzausbaus zeigt das genau das Dilemma. Die Politik hat kein stringentes Konzept für die Energiewende.

Deswegen macht sie das, womit sie scheinbar nichts falsch machen kann und womit zudem die Branche das meiste Geld verdient. Damit das so bleibt, macht die Branche der Politik klar, wie wichtig hohe Monopolrenditen sind. Der Kreis schließt sich.

Fragen: Jörg Staude

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