Claudia Kemfert. (Foto: Stanislav Jenis)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, gerade gibt es eine wahre Flut von Gutachten und Positionspapieren zur CO2-Steuer. Gerade stellten die Wirtschaftsweisen ihr Gutachten vor. Welcher Vorschlag bringt bisher am meisten für den Klimaschutz?

Claudia Kemfert: Sicher nicht die Ausweitung des EU-Emissionshandels auf die Sektoren Verkehr und Wärme, die jetzt diskutiert wird. Das hätte entscheidende Nachteile. Wenn man den Emissionsrechtehandel auf die bisher nicht erfassten Sektoren ausweitet und die Emissionsminderung um 80 Prozent bis 2050 bindend macht, würde der CO2-Preis sehr stark ansteigen, aufgrund der sehr hohen CO2-Vermeidungskosten vor allem im Verkehrssektor.

Abgesehen davon, ob eine solche Erweiterung tatsächlich umsetzbar wäre – sie ist juristisch aufwendig und kann im EU-Rahmen ein Jahrzehnt dauern, wenn überhaupt alle EU Staaten zustimmen –, ist es auch fraglich, ob sie zielführend wäre.

Wir hätten dann einen einheitlichen, sehr hohen CO2-Preis, aber es gibt unterschiedliche Vermeidungskosten in den einzelnen Sektoren. Die Einführung von Preiskorridoren widerspricht den Zielen einer eigenständigen, rein marktgetriebenen Preisfindung. Hohe CO2-Preise sind für die Industrie problematisch, die dann tatsächlich Gefahr läuft, nicht mehr im Wettbewerb bestehen zu können oder ins Ausland abzuwandern. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, unterschiedliche CO2-Bepreisungen zuzulassen.

Eine Einführung eines nur in Deutschland stattfindenden Emissionsrechtehandels für die Sektoren Wärme und Verkehr wäre administrativ enorm aufwendig, was zu ungeheuer hohen Transaktionskosten führen würde. Der einzige Vorteil läge in der möglichen Anschlussfähigkeit an das Europäische Emissionshandelssystem. Zum Erreichen der Klimaziele ist es notwendig, dass in Deutschland die Emissionen schon bis 2030 massiv gesenkt werden. Ein weiterer zeitlicher Aufschub von notwendigen Maßnahmen ist nicht möglich, es muss rasch gehandelt werden.

Unter diesen Umständen ist eine Energiesteuerreform allen anderen Maßnahmen überlegen. Die Einführung einer CO2-Steuer ist leichter umsetzbar, sorgt für Transparenz und kann über eine Erhöhung des Steuersatzes zu einer adäquaten Lenkungswirkung führen. Sie sorgt für Planungssicherheit, da Investoren heutige Investitionsentscheidungen vor dem Hintergrund fällen, dass der CO2-Preis stark ansteigen wird und sich die Emissionsminderung auszahlt.

Eine Reform der Energiesteuern ist ohnehin überfällig, denn fossile Energien werden seit langem zu gering und Strom zu hoch besteuert. Es bietet sich somit an, dass eine derartige Reform am CO2-Ausstoß der fossilen Energieträger ausgerichtet wird.

Zudem kann das Steueraufkommen leicht rückerstattet werden – einmal, um weitere soziale Ungleichheiten zu vermeiden, und zum anderen, um finanzielle Anreize für mehr Klimaschutz zu geben, beispielsweise durch Förderung der Elektromobilität und der energetischen Gebäudesanierung. Somit ist eine CO2-Abgabe im Zuge einer Energiesteuerreform das Mittel der Wahl.

In Ihrem Gutachten zum CO2-Preis schreiben Sie, dass selbst eine ambitionierte Bepreisung nicht ausreicht, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Welche ordnungspolitischen Maßnahmen sind im Verkehrs- und Gebäudesektor nötig?

Ein CO2-Preis kann tatsächlich nur eine Maßnahme von vielen sein, der von uns vorgeschlagene Preis könnte nur maximal ein Drittel der notwendigen Emissionsminderungen bis 2030 erzielen.

Daher ist es nötig, gerade im Verkehrsbereich eine Reihe von Maßnahmen aufzulegen – von einer Elektroauto-Quote für neu zugelassene Fahrzeuge und dem Ausbau der Ladeinfrastruktur über die Stärkung des Schienenverkehrs und des ÖPNV bis zu der Einführung einer blauen Plakette und einer weiteren Verschärfung der EU-Emissionsgrenzwerte für Fahrzeuge.

Im Gebäudesektor wären vor allem Maßnahmen zur finanziellen Förderung der energetischen Gebäudesanierung sinnvoll.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte an, sich nach der Sommerpause um einen "Klimakonsens" mit den anderen Parteien bemühen zu wollen. Ist das ernst zu nehmen?

Man muss es ernst nehmen, da sonst die Glaubwürdigkeit immer weiter schwindet. Durch das zu lange Festhalten am Alten, durch das gezielte Ausbremsen der Energiewende und durch die nicht existente Verkehrswende hat Deutschland das Problem, die Klimaziele für 2020 zu verfehlen.

Und weiteres Nichtstun wird dazu führen, dass auch die Klimaziele für 2030 nicht erfüllt werden. Nichtstun wird teuer. Und je länger wir warten, desto teuer wird es. Die Bürger wollen aktive Klimaschutzpolitik. Die jungen Menschen werden weiter streiken.

Daher ist es dringend notwendig, dass die Politik konkrete Lösungsvorschläge für effektiven Klimaschutz liefert. Wird es keinen Klimakonsens geben, werden noch mehr Menschen die Grünen wählen. Das wird Annegret Kramp-Karrenbauer nicht wollen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Der Sachverständigenrat für Wirtschaft hat mich mit seinem Gutachten tatsächlich überrascht: Die "Wirtschaftsweisen" werben für einen raschen Klimaschutz, der realisierbar ist, und ziehen sogar einen sozialen Ausgleich in Betracht.

Bisher wurde entweder nur für globale Lösungen geworben, die ohnehin nicht umsetzbar waren, oder es wurde ausschließlich ein Instrument in Betracht gezogen, dessen Einführung unrealistisch war. Die dann folgenden Diskussionen haben für den Klimaschutz wenig gebracht, im Gegenteil. Man hat sich verzettelt in unnötigen Debatten, die – vielleicht absichtlich – dazu geführt haben, dass die Klimaziele nicht erreicht werden.

Diejenigen, die noch heute empfehlen, man möge warten, bis in Europa – oder sogar weltweit – alle einem einheitlichen Emissionshandel für sämtliche Sektoren zustimmen, haben vor allem im Sinn, dass sich möglichst lange gar nichts ändert und schon gar kein aktiver Klimaschutz betrieben wird.

Dass nun zumindest nationale Lösungen, auch eine CO2-Steuer, in Betracht gezogen werden, ist hilfreich für die Diskussion. Es ist ein echter Quantensprung im Vergleich zu früheren Gutachten. Nun gibt es jedenfalls keine Ausreden für die Politik mehr, es sei nicht möglich, schnell für mehr Klimaschutz zu sorgen. Es ist Zeit zu handeln. Endlich!

Fragen: Friederike Meier