Claudia Kemfert vor verschwommener Bücherwand.
Claudia Kemfert. (Foto: Oliver Betke)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, diese Woche haben Sie eine Studie vorgestellt, bei der die DIW-Tochter Econ für die Stiftung Klimaneutralität die Bundestags-Wahlprogramme der Parteien analysiert hat. Es geht darum, ob die versprochenen Klima-Maßnahmen für die gesetzlichen Emissionsreduktionsziele ausreichen. Ganz neu sind solche Analysen nicht – was unterscheidet Ihre von den anderen?

Claudia Kemfert: Es ist die erste Plausibilitätsuntersuchung für Maßnahmen zur Erfüllung der Klimaziele, ähnlich wie sie bei der Steuer- oder Rentenpolitik seit Langem üblich sind.

Bei unserer Untersuchung haben wir nicht nur die Maßnahmen und die damit zu erwartende Emissionsminderung pro Sektor gewichtet, sondern zusätzlich anhand von ökonomischer Sekundärliteratur für alle Kriterien pro Handlungsfeld eine Reihenfolge anhand statistischer Verfahren ermittelt.

Dies ermöglicht – anders als in einigen Medien behauptet – eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Positionen, die auf statistischen Methoden und nicht auf subjektiven Einschätzungen beruht.

Zur Analyse und Bewertung klimapolitischer Ansätze und ihrer Wirkungen ist das eine völlig neuartige Methodik. Er ist erstaunlich, dass dies bisher nicht verpflichtend gemacht wurde.

Zudem vergleichen wir nicht nur Klimaziele gemäß dem Emissions-Budget-Ansatz, sondern vor allem die dahinter liegenden Maßnahmen. Beispielsweise ist ein Kohleausstieg bis 2038 nicht kompatibel mit den Pariser Klimabeschlüssen, zudem muss die Verkehrswende schneller vollzogen werden.

Dazu werden viele verschiedene Maßnahmen benötigt, vom CO2-Preis über die Förderung der energetischen Gebäudesanierung samt Ölheizungs-Ausstieg bis zum Ausbau der Ladeinfrastruktur.

Die Grünen schaffen es, mit ihrem Wahlprogramm die meisten Punkte zu holen, gefolgt von den Linken. Die Stärken der Union liegen im Industriesektor und die SPD punktet beim Verkehr. Die FDP belegt den letzten Platz, da ihr Wahlprogramm am wenigsten konkret ist.

Forscher in Europa und den USA haben jetzt die Folgen des Klimawandels für die Wirtschaftsleistung modelliert. Die Abschätzung ergab, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahrhundert gegenüber einer Entwicklung ohne Erderwärmung um durchschnittlich 37 Prozent sinken könnte. Bisherige Schätzungen gingen nur von Einbußen im einstelligen Bereich aus. Warum kommt plötzlich diese nahezu apokalyptische Zahl heraus?

Bisherige Studien haben die Schäden durch den Klimawandel erheblich unterschätzt, weil sie – wie etwa in dem von Nobelpreisträger William Nordhaus genutzten Modell – nur grobe, hoch aggregierte Schadenkostenfunktionen eingerechnet hat, die viele klimatische Faktoren unberücksichtigt lassen.

Der "Stern-Report" von 2006 hatte schon deutlich realistischere Berechnungen angestellt und erhebliche Kosten des Klimawandels ausgewiesen.

Die neue Studie konnte nun erstmals detailliertere Klima-Wirtschaft-Rückkopplungseffekte und Extremwetterereignisse in sogenannte integrierte Bewertungsmodelle einbeziehen – englisch integrated assessment models, IAM. Dabei spielen vor allem die ökonomischen Kosten im globalen Süden eine große Rolle. Dies wurde bisher nicht in diesem Umfang berücksichtigt.

Die Studie gibt damit wertvolle Hinweise auf die Entwicklung der durch einen ungebremsten Klimawandel verursachten Klimaschäden. Und belegt einmal mehr, dass die Kosten des Nichthandelns beim Klimaschutz ungleich höher sind als die Kosten des Handelns.

Wegen der steigenden Spritpreise schlägt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU jetzt eine "Deckelung" auf zwei Euro pro Liter vor. Geht der Preis darüber hinaus, soll die Steuer auf Rohöl gesenkt oder die Pendlerpauschale erhöht werden. Ein sinnvoller Vorschlag?

Bemerkenswert ist doch die Tatsache, dass der Noch-Verkehrsminister zugibt, dass der Benzinpreis auf zwei Euro wird steigen müssen, um die Klimaziele im Verkehrssektor gemäß Klimaschutzgesetz zu erreichen. Das müsste er aber auch so deutlich sagen.

Denn die Union setzt in ihrem Wahlprogramm vor allem auf CO2-Preise. Wenn man die Ziele des Klimagesetzes mit einem CO2-Preis im Verkehrssektor erreichen will, muss der CO2-Preis deutlich steigen – oder man erfüllt die Klimaziele nicht.

Im Verkehrssektor – das zeigen die Studien – ist ein CO2-Preis von 150 Euro pro Tonne notwendig, um die Emissionen zu senken. Das hätte eine Benzinpreissteigerung um etwa 35 Cent pro Liter zur Folge.

Das Aufkommen aus dem CO2-Preis sollte man – statt einer Steuersenkung oder Erhöhung der Pendlerpauschale – besser als jährliche Klimaprämie pro Kopf zurückerstatten. In dem konkreten Fall von 150 Euro hätte man eine Rückerstattung des Steueraufkommens von 220 Euro pro Kopf und Jahr, was vor allem Niedrigeinkommensbezieher entlastet.

Sinnvoll ist es jedoch, die Emissionssenkungen nicht allein durch einen CO2-Preis zu erzielen – weil dieser sozial ungerecht ist –, sondern durch eine Vielzahl von Maßnahmen, wie die Verbilligung von ÖPNV und Bahnverkehr, den Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie die Einführung von Elektroauto-Quoten für neu zugelassene PKW.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Das Bürgergutachten des Klima-Bürgerrats wurde diese Woche veröffentlicht. Es lohnt sich, es zu lesen!

Es enthält bemerkenswerte Ergebnisse und Forderungen zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels und zur Gestaltung von sozial gerechtem Klimaschutz. Ausgearbeitet wurden politische Vorschläge, die weit ambitionierter sind, als die Politik es je zu formulieren gewagt hätte – aus angeblicher Sorge vor ebenjenen Bürgern.

Das Gutachten belegt – wie auch Erfahrungen in anderen Ländern zeigen –, dass Bürgerräte eine wertvolle Ergänzung zum parlamentarischen Prozess sind und dass man den Menschen durchaus etwas "zumuten" kann. Wenn sie nämlich ausreichend informiert sind und die Gesamtzusammenhänge verstehen, zeigen sie eine große Bereitschaft und Kompetenz, sinnvolle politische Vorschläge zu unterbreiten – in diesem Fall für effektiven Klimaschutz.

Die kommende Regierung in Deutschland sollte einen Klima-Bürgerrat verbindlich einführen, der Vorschläge erarbeitet, die dann im politischen Prozess berücksichtigt werden. So hat auch schon Dänemark erfolgreich einen Klima-Bürgerrat als Teil seines Klimagesetzes eingeführt, der kürzlich großartige Vorschläge vorgelegt hat.

Fragen: Jörg Staude

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