Grafik: Eine Pflanze, die aus einem Haufen Geldscheine wächst
Grafik: Kristin Rabaschus

Kurz vor Beginn der Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow drängt auch die Finanzbranche auf mehr Klimaschutz. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Auswirkungen des Klimawandels auf mehr als vier Millionen Unternehmen weltweit und 1.600 Banken im Euro-Währungsgebiet untersucht.

In einem "Stresstest" wurden klimapolitische Szenarien durchgespielt.

"Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Unternehmen und Banken eindeutig davon profitieren, wenn frühzeitig Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden", lautet das bemerkenswerte Fazit, das EZB-Präsidentin Christine Lagarde der Fachwelt präsentierte.

Solches spricht sich herum: 220 Finanzinstitutionen in aller Welt haben 1.600 große energieintensive Unternehmen in einem Schreiben aufgefordert, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern. Insgesamt verwalten diese Finanziers ein Vermögen von 29,3 Billionen US-Dollar.

In Deutschland zählen zu den Unterzeichnern die Allianz, die genossenschaftliche Union Investment und die Deka von der Sparkassenorganisation. Ob sich die Konzerne daran halten, will anschließend die "Science Based Targets Initiative" (SBTI) überprüfen.

Die betroffenen Unternehmen sind zusammen für den Ausstoß von fast zwölf Milliarden Tonnen CO2 verantwortlich – rund ein Drittel der weltweiten Kohlendioxidemissionen. "Wir sind sehr stolz auf die hohe Zustimmungsrate", erklärte SBTI-Mitgründer Alberto Carrillo Pineda mit Blick auf die Reaktionen, die sehr positiv seien.

Nachhaltigkeits-Wildwuchs bei Banken

Dennoch fällt auf, dass unter den 220 Finanzdienstleistern nur sieben Banken zu finden sind. Zwar gibt es eigene Klimainitiativen des Bankensektors, aber hier zeigt sich vor allem, wie viel Wildwuchs in dem Thema "Geld und Klima" steckt.

So hat sich Ende 2020 das Investorennetzwerk "Net Zero Asset Managers" gegründet, das nach eigenen Angaben 43 Billionen Dollar verwaltet. Sogar für 55 Billionen Dollar steht das Bündnis "Climate Action 100+". Obendrein gibt es in der Versicherungsbranche, unter Investmentfonds und anderen Finanzdienstleistern mehrere klimafreundliche Initiativen. Mehrfachmitgliedschaften sind in der Geldszene dabei üblich.

Doch nachhaltige Anlagen sind nicht allein das politische Gebot der Stunde – sondern eine Nachhaltigkeitswelle überrollt bereits die Finanzmärkte. Unter professionellen Anlegern wie Kleinsparern grassiert "grünes Fieber", schreibt ein Wirtschaftsblatt. So weit, so gut.

Oder auch nicht, denn es fehlt an belastbaren, allgemein akzeptierten Kriterien, die "grüne" Geldanlagen von "grauen" unterscheiden. Wir hatten in dieser Rubrik wiederholt auf diesen letztlich entscheidenden Mangel hingewiesen.

So hat die deutsche Finanzaufsicht Bafin im September erneut die Berichtspflicht zu Nachhaltigkeitsrisiken für Banken und Versicherer verschoben. Auch für das Geschäftsjahr 2021 müssen sie diese Risiken nun nicht bilanzieren. Dabei hatte die Bafin Kriterien erstmals bereits 2019 auf einem Merkblatt festgehalten.

Vorsicht bei "grünen" Geldanlagen

In dieser heiklen Gemengelage aus Nachfrageboom und Wildwuchs bei grünen Geldgeschäften, so befürchtet die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die Zentralbank der Zentralbanken, könnte eine gefährliche "grüne Blase" anschwellen.

In ihrem jüngsten Quartalsbericht schildert die in Basel ansässige BIZ die starken Zuflüsse in Produkte rund um das Label "ESG" (environment, social, governance – Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung). Eine genaue Quantifizierung sei schon aufgrund der unklaren Abgrenzung unmöglich.

Nach Schätzungen mit einer weiten Definition legten ESG-Anlagen in nur fünf Jahren um fast ein Drittel auf 35 Billionen Dollar zu. Das entspräche etwa einem Drittel der gesamten professionell verwalteten Vermögenswerte.

Dahinter lauert laut BIZ ein großes Risiko: "Finanzanlagen, die mit grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen einhergehen, tendieren nach einem anfänglichen Investitionsboom zu großen Preiskorrekturen." Die BIZ verweist dann auf Parallelen zu früheren geplatzten Spekulationsblasen, von Eisenbahnaktien im 19. Jahrhundert bis zur Finanz- und Eurokrise in unserer Zeit.

Das alles hat Konsequenzen für Menschen, die ihr Geld nachhaltig und klimafreundlich anlegen wollen: Vorsicht bei grüner Geldanlage!

Kein Durchblick ohne Mühe

Das gilt besonders hierzulande. "Die Deutschen sind Champions im Sparen", warnt der Finanzjournalist Günter Heismann in seinem neuen Ratgeberbuch. Dank der hohen Ersparnisse im Corona-Jahr stiegen die Geldvermögen der privaten Haushalte laut Bundesbank auf umgerechnet acht Billionen Dollar.

Gleichzeitig wachse das Interesse an einem verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Vermögen, so Heismann. "Die Anleger fragen sich immer häufiger: Was geschieht mit meinem Geld?"

Werden damit nützliche Dinge unterstützt, zum Beispiel Häuser, die möglichst wenig Energie verschwenden? Windparks, die Atomreaktoren und Kohlekraftwerke ersetzen? Oder wird mit meinen Ersparnissen womöglich die Produktion von Plastik und giftigen Unkrautvernichtern finanziert?

Antworten auf diese Fragen bekommen Sie nicht kostenlos auf der Klimakonferenz in Glasgow präsentiert – und auch nicht von Ihrer Bank oder Sparkasse. Die Antworten kosten Zeit und Mühe, die Sie aufbringen müssen.

Zeit und Mühe sollten freilich erst recht die Verantwortlichen in der Finanzaufsicht sowie die neue Bundesregierung aufwenden, um endlich tragfähige "Leitplanken" für grüne Geldanlagen zu entwickeln.

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