Der Spruch ist alt. Gilt aber immer noch. Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.
Nur leider hat sich das nicht herumgesprochen bis hinauf zum Ampel-Minister Volker Wissing, dem Mann, der über die Zukunftsfähigkeit unseres Verkehrswesens bestimmt. Er hat am Freitag eine Prognose für den Verkehr in Deutschland vorgelegt, der staugeplagten Autofahrern genauso wie eingefleischten Klimaschützern den Schweiß auf die Stirn treiben muss.
Bis Mitte des Jahrhunderts wird es danach im Gütersektor einen Zuwachs der Verkehrsleistung um 46 Prozent geben, also fast der Hälfte des jetzigen Volumens. Und im Personenverkehr rechnet das Haus Wissing noch mit einem Plus von 13 Prozent. Zahlen, die schockieren.
Und was will Wissing da tun? Radikale Verlagerung auf die Schiene? Dafür sorgen, dass Transporte und Fahrwege eingespart werden können? Kostenwahrheit im Verkehr herstellen?
Nein, der Bundesverkehrsminister will vor allem neue Autobahnen, Autobahn-Erweiterungen auf bis zu zehn Spuren und andere Straßen bauen lassen. Und das aber subito, mit "Planungsbeschleunigung". Nur so lasse sich der Wohlstand in Deutschland sichern.
"Dafür müssen wir jetzt etwas tun", forderte der oberste Verkehrslenker der Nation, der sich bei diesem Thema seit Wochen mit den Grünen fetzt, die den Turbo nicht für die Straße, sondern nur für die Bahn und die Sanierung des zunehmend maroden Straßennetzes wollen.
Politik fürs Volk?
Hat Wissing den Termin der Prognose-Vorstellung bewusst auf den Tag des großen Klimastreiks der Fridays-for-Future-Bewegung gelegt? Das weiß man nicht. Auf jeden Fall aber hat er damit quasi Benzin ins Feuer der öffentlichen Debatte gekippt.
Die Klima-Aktivisten hatten diesmal schließlich den Verkehrssektor als Hauptproblem mit der schlechtesten CO2-Bilanz aller Sektoren ins Visier genommen. Und sich dabei auf Wissing als Oberbremser eingeschossen – den Minister, der sich bisher weigerte, einen nachvollziehbaren Plan vorzulegen, wie er die ambitionierten – und vor allem auch verbindlichen – Ziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes für 2030 denn einzuhalten gedenkt.
Danach müssen die jährlichen CO2-Emissionen des Verkehrs binnen sieben Jahren auf 85 Millionen Tonnen sinken, das heißt, um mehr als 40 Prozent. Doch statt in der Verkehrspolitik radikal umzusteuern, wie es angezeigt wäre, hält Wissing an den alten Mustern fest, die dazu geführt haben, dass die Emissionen seit dem Klimaschutz-Basisjahr 1990 praktisch nicht gesunken sind.
Wissing mag sich zugutehalten, dass er nicht für Fridays-Aktivisten, sondern für das ganze Volk Politik machen muss. Und da hat er, schaut man nur die Zahlen an, einen Punkt. Denn allen Klimaschutz- und Verkehrswende-Forderungen zum Trotz ist die Motorisierung auch in den letzten Jahren weiter deutlich angestiegen, auf inzwischen über 48 Millionen Pkw und zwölf Millionen andere Fahrzeuge, bis hinauf zum 40-Tonnen-Gigaliner-Lkw.
Das Problem dabei ist eben nur: Das war kein automobiles Naturgesetz, die Politik hat diese Entwicklung nach Kräften gefördert – eben durch Straßen-Ausbau, Schrumpfung des einst flächendeckenden Schienennetzes, zu geringe Ausstattung des ÖPNV sowie Vernachlässigung des Fahrrad- und Zu-Fuß-Verkehrs in den Städten und Ballungsgebieten.
Wer Alternativen sät, wird Verkehrswende ernten
Wie es besser geht, machen uns andere Länder und Großstädte dort vor. Die Schweiz zum Beispiel, die pro Bürger:in viel mehr in den Bahnverkehr investiert, die Niederlande, wo der Radverkehr einen viel höheren Stellenwert als bei uns hat, Kommunen wie Barcelona oder Kopenhagen, in denen die Verkehrswende erfolgreich umgesetzt wird.
Aber auch hierzulande zeigen Vorreiter, dass die Bürger durchaus bereits sind umzusteigen, wenn das Angebot – etwa von reaktivierten Bahnlinien oder bequemen, sicheren Fahrradwegen – stimmt. Daraus kann man lernen: Wer Alternativen baut, wird Verkehrswende ernten.
Wissing und seine FDP allerdings scheinen diese Zusammenhänge bewusst auszublenden und die "Freie Fahrt für motorisierte Bürger" asphaltieren zu wollen – auf Wunsch auch noch für Jahrzehnte im Benziner oder Diesel mit ineffizienten E‑Fuels. Wofür Wissing sich sogar als Enfant terrible auf EU-Ebene aufführt, in dem er das praktisch beschlossene Verbrenner-Verbot ab 2035 mit seinem Veto zu torpedieren versucht.
Und ihm scheint auch völlig egal zu sein, dass er damit die Ampel-Statik ins Wackeln bringt und die Bundesrepublik auf der EU-Bühne blamiert. Den Anspruch, eine Fortschrittskoalition zu sein, die den rasenden Stillstand von 16 Jahren Merkel-Regierungen überwindet, tritt er so in die Tonne.
Damit ist es Zeit, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mal wieder ein Machtwort spricht. Nachdem er das schon mal bei den Grünen getan hat, weil sie AKW-Laufzeiten nicht verlängern wollten, ist nach Wissings Amokfahrt nun die FDP dran.
Es müssen jetzt die Weichen umgestellt werden, um bei der Verkehrsende endlich in die Spur zu kommen. Das Thema auszusitzen, wird nicht funktionieren.