Große chemische Industrieanlage bei Nacht.
Die Ammoniak-Herstellung verbraucht enorme Mengen an Energie. Aber auch das Endprodukt Stickstoffdünger verursacht viel klimaschädliches Lachgas. (Foto: Saoirse Lastmord/​Shutterstock)

Eine klimaneutrale Wirtschaft erfordert nicht nur, Kohle- und Gaskraftwerke abzuschalten und Elektroautos mit grünem Strom zu betanken. Mittelfristig müssen auch die gesamte Industrie und der Transportsektor weitgehend ohne Treibhausgasemissionen auskommen.

Vielfach steht die Energiewende hier aber noch völlig am Anfang, Technologien existieren höchstens als Prototypen.

Ein Bericht der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (Irena) betrachtet nun verschiedene besonders schwer zu begrünende Sektoren – von der Stahlindustrie bis zur Herstellung von Chemikalien wie Ammoniak – und listet Möglichkeiten auf, wie diese klimaneutral gestaltet werden könnten.

Für die Irena muss dabei ein Paradigmenwechsel stattfinden. Bisher habe man häufig darauf gesetzt, Emissionen teilweise zu reduzieren, etwa durch Effizienzverbesserungen oder durch den Wechsel von Kohle auf (zumindest im Idealfall) weniger klimaschädliches Erdgas.

Das sei eine riskante Strategie, die im besten Fall eine Ablenkung und im schlimmsten Fall ein Lock-in in falsche Technologien bedeutet, sagte Paul Durrant von der Irena bei der Vorstellung des Berichts.

Wie sehr viele Industrien noch am Anfang einer Transformation stehen, rechnete Dolf Gielen von der Irena an einem Beispiel vor. Weltweit gibt es einen jährlichen Bedarf an 200 Millionen Tonnen Ammoniak, das heute fast ausschließlich mit Erdgas produziert wird. Es dient vor allem als Düngemittel.

Saudi-Arabien hat angekündigt, eine Fabrik für grünes Ammoniak zu bauen, die eine halbe Million Tonnen pro Jahr produzieren soll. "In einigen Jahren werden wir daher vielleicht ein halbes Prozent grünes Ammoniak produzieren."

Ganze Branchen ohne Konzept

Die Produktion von Ammoniak ist mittelfristig nicht nur als Düngemittel relevant, sie könnte auch ausgeweitet werden, um andere Sektoren klimaneutral zu machen. So gilt Ammoniak als ein vielversprechender Treibstoff für den Schiffsfrachtverkehr, der bislang nahezu komplett mit fossilen Treibstoffen stattfindet.

In manchen Bereichen ist nicht einmal klar, welche klimaneutralen Technologien überhaupt genutzt werden können. Aluminiumhütten erzeugen ihre Emissionen vor allem durch den hohen Stromverbrauch, doch den Strom aus erneuerbaren Energien zu beziehen reicht nicht aus. In den Aluminiumhütten werden kohlenstoffhaltige Anoden eingesetzt, die bei dem Prozess verbrennen.

Theoretisch könnte man diese Emissionen durch andere Anodenmaterialien vermeiden, doch in bisherigen Forschungsprojekten fand man noch keine Materialien, die sich tatsächlich für den Einsatz in industriellen Aluminiumhütten eignen.

Ein Problemfall ist auch die Zementproduktion. Hier gibt es bislang überhaupt keine Konzepte, wie man die Treibhausgasemissionen bei der Klinkerherstellung unterbinden könnte.

In einigen Bereichen sieht die Irena daher auch eine Rolle für die CO2-Abscheidung und -Speicherung, englisch Carbon Capture and Storage (CCS). Doch Paul Durrant betont, dass dies nur eine vergleichsweise geringe Rolle sein soll. Der Boom bei erneuerbaren Energien sorge dafür, dass in vielen Bereichen inzwischen Lösungen denkbar seien, die man früher für unrealistisch hielt.

Stromproduktion müsste vervielfacht werden

Eins ist klar: Die Begrünung der Industrie wird extrem viel Strom benötigen. An vielen Stellen kann der Strom direkt genutzt werden, und mit erneuerbarem Strom erzeugter "grüner" Wasserstoff kann in vielen Sektoren eine Rolle spielen.

"Wenn wir diesen Weg wirklich gehen wollen, werden wir allein für diese Anwendungsfälle mehr Strom benötigen, als wir heute insgesamt verbrauchen", so Gielen. Im Klartext: Zukünftig muss nicht nur der Stromsektor auf Solar- und Windenergie umgestellt werden, es braucht auch ein Vielfaches der bisher weltweit produzierten Strommenge.

Neben den erwartbaren Vorschlägen nach weiterer Forschung hält es die Irena für nötig, einen Markt für grüne Produkte zu schaffen, die häufig zunächst teurer sein werden. So könnten Staaten entsprechende Quoten beschließen oder selbst bei staatlichen Investitionen für den Kauf grüner Grundstoffe sorgen.

Auch könnte es laut Irena sinnvoll sein, bestimmte Produktionsschritte an Orte zu verlegen, an denen günstig erneuerbare Energien zur Verfügung stehen.

Statt Eisenerz aus Australien nach Deutschland zu transportieren und hier zu Rohstahl zu verarbeiten, könnte man auch die Verhüttung direkt in Australien mit grünem Wasserstoff durchführen. Der Wasserstoff könnte vor Ort mit günstigem Solarstrom produziert werden.

Ein vermutlich kontroverser Vorschlag, doch Gielen betont, dass dies nur ein kleiner Teil der Wertschöpfung wäre und die Stahlveredelung weiterhin in den Konsumentenländern stattfinden könnte.

Anzeige