Es sind die Männer mit den weißen Helmen, die in der Braunkohlegrube stehen. Nahezu winzig wirken sie neben dem 96 Meter hohen Bagger, und doch sind sie ganz groß – nämlich dann, wenn sie ihre Geschichten aus der Grube herausbefördern, wenn sie von dem Großvater berichten, der auch schon im selben Tagebau gearbeitet hat, und nun, wenn sie um ihren Arbeitsplatz fürchten.
Auch in der Windbranche fallen derzeit tausende Arbeitsplätze weg. Doch wer erzählt schon von dem Arbeiter, der das 80 Meter lange Rotorblatt zur Windkraftanlage fährt und dessen Job nun schwindet, weil der Windkraftausbau einstürzt?
Die Windenergie gilt angesichts der Klimakrise als große Zukunftstechnologie. Unter diesem Stern steht auch die Branchenmesse Husum Wind. Rund 600 Aussteller zeigen derzeit "Produktneuheiten, Spitzentechnologie und innovative Lösungen für den integrierten Windmarkt von morgen".
Wie in den Vorjahren gibt es auch in diesem Jahr wieder einen Karrierestand, bei dem Talente auf Arbeitsplätze in großen Windunternehmen wie Enercon hoffen können.
Doch die Hoffnungen auf eine Karriere in der Windbranche dürften derzeit nicht allzu groß sein. Nur 86 Windanlagen wurden in der ersten Jahreshälfte an Land aufgebaut – der schlechteste Wert seit 20 Jahren.
Das zwingt die Firmen zum Sparen – auch beim Personal. Allein das niedersächsische Unternehmen Enercon kündigte in den letzten eineinhalb Jahren 1.200 Arbeitnehmern, zeigt eine Umfrage der IG Metall Küste.
Windbranche erwartet weitere Entlassungen
Enercon ist nur ein Beispiel für den regelrechten Zerfall der deutschen Windbranche. Allein 2016 verloren 26.000 Menschen in der Branche ihren Job – mit dem Wissen der Bundesregierung, denn von ihr stammen die Zahlen.
Seit 2017 könnten weitere 35.000 Arbeitsplätze abgebaut worden sein, schätzt der Windkraft-Verband BWE. Und das sei noch eine "konservative Zahl", meint BWE-Sprecher Christoph Zipf. Vom Personalabbau seien vor allem Hersteller und Zulieferer betroffen, die Bereiche Service und Wartung blieben noch verschont.
Die nächste Entlassungswelle steht aber schon bevor. Der einstige Windkraftpionier Senvion hatte im April dieses Jahres Insolvenz angemeldet. Bei Senvion arbeiteten 4.000 Menschen, etwa die Hälfte davon in Deutschland.
Nachdem Gewinne in den letzten Jahren ausblieben und Windräder nicht pünktlich geliefert wurden, musste das Unternehmen seinen Kunden Strafgelder zahlen. Auch das führte letztlich zur Insolvenz.
Tarifverträge sind eher unüblich
Vielen Senvion-Standorten droht nun die Schließung. "Wahrscheinlich werden Hunderte ihren Job verlieren", befürchtet Heiko Messerschmidt von der IG Metall Küste.
Der Verkauf des Unternehmens als Ganzes ist gescheitert. Während einige Standorte noch auf Investoren hoffen können, steht das Aus für den Turbinen-Bau in Bremerhaven bereits fest. Die Mitarbeiter werden zwar für den August noch bezahlt, doch im September drohen die ersten Kündigungen.
Dass ausgerechnet Senvion in Schwierigkeiten rutschte, ist für den Gewerkschafter Messerschmidt nur schwer verdaulich. Schließlich hatte die IG Metall in diesem Unternehmen vor einigen Jahren Tarifverträge durchsetzen können – in der Windbranche keine Selbstverständlichkeit.
Der Windanlagenhersteller Enercon verweigere sogar den Dialog mit der Gewerkschaft, kritisiert der Metaller. Es gebe zwar Betriebsräte, doch Tarifverträge seien in dem 13.000-Mitarbeiter-Konzern eine Seltenheit.
Zwischen Senvion und der IG Metall laufen zurzeit viele Gespräche. Die Gewerkschaft hofft auf Transfergesellschaften, die die Entlassenen auffangen und sie möglichst an andere Windkraftunternehmen vermitteln.
Doch gerade das Ziel, die Menschen in der Branche zu halten, sei das am schwersten zu erreichende, meint Gewerkschafter Messerschmidt. Schließlich gebe es an den Standorten in Schleswig-Holstein kaum Alternativen zu den bisherigen Arbeitsplätzen. Messerschmidt befürchtet eine Abwanderung aus den betroffenen Regionen.
Kohle-Jobs bestimmen die Debatten
Schleichend gingen in der Windkraftbranche in den letzten vier Jahren fast dreimal so viele Arbeitsplätze verloren, wie in der Braunkohle bundesweit überhaupt noch vorhanden sind.
Doch genau diese maximal 20.000 Stellen dominieren die politischen Entscheidungen. Es gab eine Kohlekommission, einen Kohle-Gipfel und Politiker machten die Rettung der Kohle zum Wahlkampfthema – mit Erfolg.
Die Angst um die Braunkohlejobs ist viel lauter vernehmbar, entgegen den Statistiken. In Brandenburg arbeiten etwa 4.500 Menschen im Kohlesektor, während 7.000 in der Windbranche beschäftigt sind. Hinter Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern ist Brandenburg das Bundesland, in dem der Anteil der Beschäftigten im Erneuerbaren-Sektor am größten ist.
Wenn es um den fossilen Energieträger geht, dann geht es auch um "Reviere" und um "Kumpel", sprich um eine Kultur und eine Sozialstruktur. Es geht um die Identität einer Bevölkerungsgruppe, die auf dem Sockel einer 150 Jahre alten Tradition sitzt.
"Nach der deutschen Vereinigung gingen in der Lausitz schon mehr als 80.000 Braunkohle-Arbeitsplätze verloren. Die jetzt noch vorhandenen circa 8.000 haben also eine weiterhin große, auch symbolische Bedeutung", erklärt die Arbeits- und Wirtschaftssoziologin Heike Jacobsen von der TU Cottbus.
Dagegen sei die Windbranche regional breiter gestreut und nicht so sehr von den Landstrichen abhängig. Windräder können schließlich in vielen Regionen stehen. "Entsprechend lockerer ist auch die Identifikation der Bevölkerung mit diesem Wirtschaftszweig", meint die Soziologin.
So seien auch die Arbeitsplätze der Windbranche weniger regional konzentriert. Braunkohle werde von wenigen Großunternehmen gefördert, deren Arbeitnehmer – anders als in der Windbranche – in hohem Maße betrieblich organisiert seien, erläutert Jacobsen.
"Die Beschäftigten in Großbetrieben richten höhere Erwartungen an ihre Arbeitsbedingungen und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten als die Beschäftigten in Klein- und Mittelbetrieben. Deshalb ist ihre Enttäuschbarkeit höher."
Bessere Jobchancen für Windarbeiter
Außerdem seien die Beschäftigten in der Windbranche überdurchschnittlich qualifiziert, jünger und hätten eine viel kürzere Betriebszugehörigkeit, beschreibt die Soziologin den Arbeitsmarkt. "Das verschafft ihnen Vorteile auf dem externen Arbeitsmarkt. Sie können leichter eine andere Beschäftigung finden als Beschäftigte in der Braunkohle."
Um mit der immer lauter werdenden Angst um die letzten Kohle-Arbeitsplätze umzugehen, schlägt Heike Jacobsen zwei Strategien vor. Für ostdeutsche Reviere sei Empathie und Solidarität der Schlüssel, um der Angst zu begegnen.
Anerkennung der bisherigen Arbeit sei besonders wichtig, so die Soziologin. "Dazu gehört auch, dass der Kohlekompromiss nicht wieder eingerissen wird." All das schafft ihr zufolge am Ende das nötige Vertrauen in die Politik.
Für die Kohle-Beschäftigten fordert die Soziologin aus Cottbus bundesweit Anpassungsgeld und Qualifizierungsmaßnahmen. Die Arbeiter müssten Sicherheit über ihre berufliche Zukunft entwickeln. "Dabei ist zu berücksichtigen, dass bis zum allerletzten Tag und darüber hinaus qualifizierte Fachkräfte in der Braunkohle gebraucht werden. Diese zu halten dürfte gar nicht so einfach sein."
Mindestens ebenso schwer wird es wohl sein, die Arbeitsplätze in der zurzeit unattraktiven Windbranche zu halten – und auch neue zu finden. Denn dass es ohne Ausbau der Windkraft keine Energiewende geben kann, steht für die Branche, aber auch für viele Energieexperten fest.
Die derzeitigen Arbeitsbedingungen in der Windbranche dürften den Nachwuchs allerdings eher verschrecken. Vielleicht könnten Tarifbindung und wirksame Arbeitnehmervertretung daran etwas ändern – und auch das Fundament für eine neue Tradition der Erneuerbaren bilden.